Deutschland:Die Regelbrecher

Ton und Auftritt des US-Präsidenten sind unerträglich. Leider aber sind es die Deutschen selbst, die Trump für seine verbalen Ausfälle gegen die Bundesrepublik immer wieder die Munition liefern.

Von Claus Hulverscheidt

Als die EU-Staaten Mitte der Neunzigerjahre um die Einführung des Euro rangen, kam es im beschaulichen Bonn zu einer Kleinkrämerdebatte, wie sie wohl nur Deutsche führen können. Es ging darum, ob Länder, die mitmachen wollen, die vereinbarte Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung nur genau oder doch ganz genau einhalten müssen - bis zur soundsovielten Nachkommastelle. Rein ökonomisch gesehen, so klug war man damals sehr wohl schon, ist es natürlich völlig wurscht, ob die Neuverschuldung nun 2,9 oder 3,1 Prozent beträgt. Aber es ging nicht um Ökonomie. Es ging um deutsche Gründlichkeit.

"Drei ist drei" lautete der knappe Merksatz, den der damalige Finanzminister Theo Waigel prägte - und mit dem Generalsekretäre bayerischer Parteien und andere Geistesgrößen fortan jeden Staat gängelten, der sich der Schludrigkeit verdächtig machte. Ja, Deutschland ist gut darin, Nachbarn, gerne jene im Süden, zu schurigeln. Zugleich kann Deutschland aber auch ein erstaunlich taktisches Verhältnis zur Einhaltung von Versprechen entwickeln - vor allem dann, wenn man mal nicht der Klassenprimus ist oder heimische Dogmen infrage gestellt werden. Beispiele sind die Entwicklungshilfe, die Handelspolitik und, zuletzt, der Wehretat.

Es ist unerträglich, wie Trump über Partner herzieht. Aber diese liefern die Munition selbst

Natürlich ist der Satz richtig, dass hohe Verteidigungsausgaben allein noch keine kluge Sicherheitspolitik sind. Umgekehrt gilt aber auch: Wer im Nato-Rahmen zusagt, den Etat auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, kann nicht Jahre später nonchalant erklären, es sei doch schon großartig, wenn man 2025 bei 1,5 Prozent landen würde. Anders gesagt: Selbstverständlich ist der Ton, mit dem Donald Trump über Angela Merkel und ihre Verteidigungspolitik herzieht, eines Regierungschefs unwürdig, das Genöle des Präsidenten unerträglich, sein intellektuelles Niveau unterirdisch. Dass die Deutschen aber überhaupt angreifbar sind, haben sie sich allein selbst zuzuschreiben.

Das gleiche Muster lässt sich bei jener UN-Regel beobachten, wonach Industrieländer mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgeben sollten. 2017 hielt die Bundesregierung die Vorgabe erstmals ein - genau 47 Jahre nach der Vereinbarung und nur deshalb, weil plötzlich ein Teil der Ausgaben für Flüchtlinge in Deutschland als Entwicklungshilfe deklariert werden durfte.

Und ähnlich sieht es schließlich auch beim Leistungsbilanzüberschuss aus, der laut EU-Absprache sechs Prozent der Wirtschaftsleistung nicht übertreffen darf. Grund ist, dass das Plus des einen immer die Verschuldung des anderen ist, was die Gefahr von Finanzkrisen erhöht. Seit 2011 liegt der deutsche Überschuss beständig über der Höchstgrenze, was jedoch in Berlin niemanden stört - auch diejenigen nicht, die Franzosen oder Italienern bei einem Etatdefizit von 3,01 Prozent gerne eine Hängemattenmentalität bescheinigen. Im Gegenteil: Selbst Hinweise von Wohlmeinenden wurden als purer Neid diskreditiert - bis Trump kam und mit brachialer Gewalt eine Schneise der Verwüstung durch die Weltwirtschaft zog.

Niemand gesteht gerne Fehler ein - zumal nicht, wenn es ausgerechnet der tumbe Schulhofschläger ist, der in der Sache gar nicht so unrecht hat. Und doch sollte man bald aufwachen in Berlin: Noch unerträglicher nämlich ist die Erkenntnis, dass es oft die Deutschen selbst sind, die Trump für seine verbalen Ausfälle gegen die Bundesrepublik die Munition liefern.

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