Deutschland-Besuch des Dalai Lama:Bonbons und Bonmots

Schon mit kleinen Gesten kann das Oberhaupt der Tibeter Tausende faszinieren, doch seine Botschaft geht im innenpolitischen Gezänk fast unter.

Karin Steinberger

Es ist wie immer. Sie warten schon. Zoomen mit ihren Kameras Polizisten heran und wieder weg. Ist ja sonst noch keiner da. Im Rathaus von Bochum ist die Hölle los, Journalisten streifen durch die Flure, vor dem Haus rennen Tibetanhänger vom Innenhof zum Hintereingang, Mitarbeiter scherzen hinter dem Absperrseil am Bürgerbüro. "Ich könnte mit der Mao-Bibel winken, wenn er da ist." Gekicher. Wer hat schon das Glück, dass ein Gott ins Haus kommt, einfach so, am Freitagmorgen, während der Arbeitszeit.

Deutschland-Besuch des Dalai Lama: Der Dalai Lama bei seinem Besuch in Deutschland.

Der Dalai Lama bei seinem Besuch in Deutschland.

(Foto: Foto: ddp)

Draußen im Regen fliegen Tibetflaggen und Wuschelmikrofone an der offenen Tür vorbei, die Oberbürgermeisterin steht bereit, die Goldene Kette um den Hals. Dann geht es los, Polizei, Blaulicht, Limousine, Applaus, ein Mönch huscht zur Tür herein. "Oh Gott, ist der klein", schreit eine, fast entsetzt. "Das ist doch nur ein Mitmönch", sagt eine andere.

Dann ist er da, in ihrem Rathaus, leibhaftig, der Dalai Lama, er hat die Oberbürgermeisterin an der Hand, bleibt vor den Rathausangestellten stehen, lächelt, sagt guten Morgen, Fotoapparate klicken. Er kennt das schon. Die anderen nicht. Sie stehen da wie erschlagen.

Und schon ist er wieder weg, die Treppe rauf, zum Goldenen Buch der Stadt. "Aber er hat uns gegrüßt", sagt eine Frau, schaut sich die Fotos auf dem Display an. Sonst glaubt's ja keiner.

Ein paar Räume weiter warten die Journalisten. Es spricht gerade der Vorsitzende der Tibet Initiative Deutschland, Wolfgang Grader. Er ist bei allen Veranstaltungen dieser Reise das Vorprogramm. Angenehm ist das nicht. Er ist Füllmaterial. Er ist der, der da ist, wenn der andere noch nicht da ist.

Ein leises Hallo

Er redet trotzdem, erzählt von Tibet als ungelöstem Weltkonflikt, von den 5000 Demonstranten, die seit dem 10. März in Gefängnissen sitzen, von dem Unrecht, den Menschenrechtsverletzungen. Die Wand aus Kameraleuten vor ihm steht verkehrt herum, der Dalai Lama wird von hinten kommen.

Wolfgang Grader macht trotzdem weiter, erzählt, dass man den Dalai Lama bereits vor drei Jahren eingeladen habe, dass man vor 15 Monaten die Zusage bekommen habe und nun seit einem Jahr plane. Dann der März, Unruhen in Tibet, Verletzte, Tote, Verhaftungen, die Olympische Fackel kam in Bedrängnis, die Spiele wurden in Frage gestellt. Tibetische Demonstranten beherrschten die Weltnachrichten, die Welt solidarisierte sich. China reagierte beleidigt.

Der Dalai Lama ist in Deutschland, und es sieht jetzt für viele so aus, als sei das geniales Timing, politischer Schachzug eines Mannes, der sich von seinen politischen Aufgaben schon lange freiwillig zurückgezogen hat. "Semiretired", wie er sagt, im Halbruhestand.

Vor den Olympischen Spielen besucht der Friedensnobelpreisträger nun also dieses Land, das ihn immer schon besonders verehrt hat. Oder belächelt. Als gäbe es nichts dazwischen. Und so hat der Besuch eine ganz eigene Dynamik bekommen, ist zum Politikum geworden, zur SPD-Krise. Wer trifft ihn, wer nicht. Der Friedensbringer - plötzlich ist er innenpolitischer Sprengsatz, man ist entweder für oder gegen ihn. Tibet, begraben im politischen Gezänk.

"Danke fürs Zuhören", sagt der Vorsitzende noch zu den Kameramännerrücken, dann kommt der Dalai Lama, lächelt, grüßt, sieht asiatische Gesichter unter den Journalisten, fragt sofort: China? Nein, Japan.

Der nächst aber ist Chinese, von der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Ausgerechnet. Der Dalai Lama greift seine Hand. Xinhua, das sind die, die von der Dalai-Clique als Anführer der Aufstände in Tibet schreiben, die ihn als Dämon im Mönchsgewand bezeichnen. Er hält die Hand des Journalisten, lässt sie gar nicht mehr los.

Der Dalai Lama ist anders als das, was man so kennt, all das Unaufrichtige, Glatte. Er rennt durch die Welt im tibetischen Mönchsgewand, seit Jahren mit der selben Botschaft, sitzt mit Schlappen neben einer amerikanischen Staatssekretärin, lacht, wenn ihm danach ist, greift nach Händen, wenn er laut Protokoll etwas anderes machen sollte, er winkt vor Tausenden Roland Koch zu, rennt aus seinem Sicherheitstross heraus, scherzt, wenn alle ernst sind.

Er ist eine Zumutung für Sicherheitsbeamte. Und er ist eine Art Pop-Phänomen. Der Dalai Lama, politisches und religiöses Oberhaupt der Tibeter. Er braucht nicht lange, um einen Saal wie den Ruhr-Congress in Bochum mit Tausenden Zuhörern für sich einzunehmen. Meist reicht das erste Wort, das er nach langer Pause in den Saal raunt. Ein leises: "Hallo." Jubel.

Bonbons und Bonmots

Er hört das nicht gern: Popstar. Weil es nur ein Teil des Ganzen ist, und weil es um so viel mehr geht. Fast ein halbes Jahrhundert ist er nun schon im Exil, setzt er sich ein für die Belange seines Volkes ohne Staat, seit einem halben Jahrhundert hört er sich die Geschichten der Menschen an, die jedes Jahr wieder über den Himalaya fliehen.

Deutschland-Besuch des Dalai Lama: Eine Art Pop-Phänomen: Der Dalai Lama.

Eine Art Pop-Phänomen: Der Dalai Lama.

(Foto: Foto: ddp)

Jeden von ihnen empfängt er, jedem spricht er Mut zu, für jeden sorgt die tibetische Exilgemeinde. Er sei wie sein Volk, immer unterwegs. Und während er durch die Welt streift, füllt er Säle, gibt buddhistische Belehrungen, hält Vorträge. Die einen sehen darin eine Verteidigung der Belange seines Volkes, andere Propaganda.

Maos Flaggen-Frage

Ihm ist beides suspekt, abgöttische Verehrung und ablehnender Zynismus. Für die einen sagt er am Anfang jedes Vortrags, dass man von ihm keine Wunder erwarten dürfe. Er komme mit nichts, sei nur ein einfacher Mönch. In England habe er einmal gesagt, er bräuchte selber einen Wunderheiler, weil er so ein Kratzen habe, am Hals. Am nächsten Tag habe ihm jemand eine Salbe geschickt. Das sei wahre Wunderheilung. Den anderen, den Gehässigen, empfiehlt er innere Ruhe.

Er sitzt also da, die Kameramänner stehen jetzt richtig herum. Gespannte Stille, er wäre jetzt dran, man hört seinen Atem, er grummelt ein paar tibetische Worte, dann Pause, scheinbar endlos. "Wie oft war ich eigentlich schon hier?", fragt er plötzlich, schaut fragend, wie er es immer macht, wenn ihm ein englisches Wort nicht einfällt, eine Jahreszahl. "31?" Genuschel. "Es ist das 33. Mal, dass ich in diesem Land bin. Ich habe als Kind über Deutschland gelesen, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Asche wieder auferstanden ist. Ihr seid eine hart arbeitende Nation", sagt er, flüstert mit der Oberbürgermeisterin, während der Übersetzer übersetzt, schaut hoch an die Decke, Kameras klicken, ihm gefällt der Saal. "Schauen sich hier ihre Mitarbeiter Kinofilme an?" - "Nein, nein", sagt die Oberbürgermeisterin.

Er lacht, gluckst ins Mikrofon, wird wieder ernst. Es ist ihm ernst. Er hat ein Anliegen, er hat ein Volk ohne Heimat. ein Volk, das er vertritt, für das er spricht, das an ihn glaubt. Zumindest in großen Teilen. Auf die deutsche Innenpolitik geht er nur ein, wenn er danach gefragt wird wie im Interview mit den "Tagesthemen". Ob er finde, dass die Bundesregierung genug tue für Tibet. Er lacht, sagt: "Ich weiß es nicht. Natürlich gibt es da offensichtlich Grenzen. Dafür habe ich Verständnis. Ich sage immer, ihr müsst Realisten sein. Also muss ich auch Realist sein."

Und während der in Berlin tätige chinesische Botschaftsrat Junhui Zhang sagt, die Forderung des Dalai Lama nach echter Autonomie sei nichts anderes als eine verdeckte Unabhängigkeitsbestrebung, wiederholt der Dalai Lama sein ewiges Mantra. Auch hier muss er Realist sein, China glaubt ihm nicht, will nicht glauben.

Er sagt es trotzdem immer wieder: Dass er keine Unabhängigkeit wolle, dass Tibet die Wirtschaft Chinas brauche, dass die Han-Chinesen Brüder der Tibeter seien, dass er die Chinesen als die führenden Schüler Buddhas respektiere und die Tibeter als die nachgeordneten, weil der Buddhismus Chinas viel älter sei, dass es für ihn keine Alternative zur Gewaltlosigkeit gebe, dass er abdanken werde, wenn sein Volk anders handelt, dass es schon seit Jahrzehnten Tibeter gebe, die nach Unabhängigkeit strebten, und andere, die seinen Mittelweg mit einer Autonomie innerhalb Chinas unterstützten. Das, was die westliche Presse immer als Bruch innerhalb der Tibeter bezeichnet. Für ihn ist es demokratisches Selbstverständnis.

Sein Englisch ist holprig, er redet trotzdem in dieser Sprache, auch wenn es um Politik geht und um China, wo jedes Wort missverstanden werden kann. Er ruft den Reporter von Xinhua auf, beantwortet seine Frage, setzt nach. "Ihr schreibt doch immer, ich bin ein Dämon. Aber einer ohne Hörner", sagt er, kichert. Er weiß, dass auch diesmal nur Propaganda in den chinesischen Medien erscheinen wird.

Er hat Appelle an das chinesische Volk geschrieben, die dieses Volk nie zu lesen bekam, er will es trotzdem nicht lassen. Er kennt ihre Argumente. Es gebe viele, die sagten, es sei ein Widerspruch, vor der tibetischen Fahne zu sitzen und für die Autonomie Tibets einzutreten. "Nicht wahr, ihr glaubt doch, das ist ein Widerspruch? General Mao selbst hat mir die Genehmigung dazu gegeben."

Mao, den er so bewundert hat, als revolutionären Führer. "Nicht als religiösen", sagt er, lacht. Er war so jung und unerfahren, als er 1954 in Peking war, damals glaubte er noch, er könne die Chinesen überzeugen. Lange her. Damals habe ihn der Vorsitzende gefragt, ob die Tibeter eine Flagge hätten. Es sei wichtig, eine Flagge zu haben. Jetzt haben sie eine. Der Schwarze-Männer-Pulk um ihn herum wird unruhig, er muss weiter, in den Kindergarten St. Nikolaus. Beim Hinausgehen umarmt er den chinesischen Journalisten. Dann ist er weg.

Die Kinder in der Kirche warten schon, als der Dalai Lama endlich da ist, reden sie über Fußball und das Alter. Ein kleiner Junge nimmt dem Dalai Lama die Brille ab, schätzt ihn auf 50. Der lacht. Ja, 50, schön wäre es, dann hätte er noch mehr Zeit. Alle hätten mehr Zeit, es wird nach ihm möglicherweise lange keinen geben, mit dem eine Lösung der Tibetfrage möglich ist. Wenn sie wieder einen kleinen Jungen als seinen Nachfolger bestimmen, wird es viele Jahre keine Autorität geben, die für die Tibeter sprechen kann. 72 Jahre ist er jetzt alt. Er weiß, dass ihm die Zeit ausgeht.

Draußen umlagert das Bundeskriminalamt die Kirche, als müsse man mit dem Schlimmsten rechnen. Und Mike, Joel und Esra rasen herum, von einer Kamera zur nächsten, Interviews geben. Zwölf Jahre sind sie alt, sie sind von einer Schule in der Nachbarschaft, sie wollen den Dalai Lama anschauen.

Aber hier sind nur viele Menschen und Beamte und Polizisten und grimmige Männer, die die Menschen filmen, die gekommen sind. Dann geht die Kirchentür auf. "Da ist er, was schreien wir denn jetzt?" Esra ist aufgeregt, Mike überlegt, dann plärrt er los: "Freiheit für Tibet. Tibet soll ein freies Land werden." Esra kräht: "Ja, kein chinesisches." Dann hört man Autotüren schlagen. Sie sehen nicht viel hinter all den anderen Leuten. "Ist er weg?", fragt Mike. Und in der Kirche sind die Kleinen so aufgeregt, dass sie sich nicht mehr daran erinnern, was der Mann in den komischen Kleidern jetzt eigentlich gesagt hat.

"Armer Junge, guter Junge"

Der Mann aber erinnert sich. Immer wieder in den nächsten Tagen erzählt er von den Kindern, weil sie so ehrlich sind, weil ihnen egal ist, wer er ist, wichtig oder nicht, schwarz oder weiß. "Nicht wie wir Erwachsenen, mit unseren Ängsten und unserem Argwohn." Und hat doch fast nur noch mit Erwachsenen zu tun.

Freitag Bochum, Samstag Mönchengladbach, Sonntag Nürnberg, als Abschluss diesen Montag Berlin. In großen Hallen, in kalten Hangars, am Brandenburger Tor. Wo auch immer er ist, werden seine Bücher angeboten, Tibetflaggen, Sticker, Unterschriften werden gesammelt.

Und er zieht die Schuhe aus, setzt sich bequem hin, spricht über Werte und säkulare Ethik, ohne Zettel, im Schneidersitz und gut gelaunt. Wenn der Übersetzer übersetzt, wird er unruhig, wippt hin und her, schaut sich seine Finger an, die Wände, die Leute, steckt Moderatorin Sandra Maischberger ein paar Bonbons zu, die er aus seinem Umhang kramt. Er weiß, wie man Menschen zum Lachen bringt.

Manchmal springt seine Stimme weit nach oben, bleibt hängen in großer Höhe. "So full stop, finish, now questions." Sagt er, wartet. Also fragen sie: Was er empfinde, wenn er das Bild von sich sehe, als kleiner Junge, gerade inthronisiert, erdrückt von diesem Gewand, dieser Last. Todernst. "Erst denke ich: armer Junge", sagt der Dalai Lama. "Dann denke ich: guter Junge." Applaus.

Gefragt hat ihn nie einer. Sie folgten den Zeichen, gingen nach Amdo, in die Richtung, die der 13. Dalai Lama ihnen im Tod gewiesen hatte. Alles deutete auf diesen Jungen hin. Dann trug man ihn im Oktober 1939 auf einer Sänfte durch die Tore der heiligen Stadt Lhasa. Tausende standen am Straßenrand, schmissen sich auf den Boden, weinten.

So war es sein Leben lang. Irgendwann kommt die Frage, was er gerne geworden wäre, wenn er nicht Dalai Lama geworden wäre: "Ingenieur", sagt er, fuchtelt mit den Armen herum, nein, nicht Computeringenieur, einer, der was mit den Händen macht. Das wäre er geworden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: