Deutsches Militär in Syrien:Deutschland strapaziert das Recht auf Selbstverteidigung

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Wackeliges Fundament für den Einsatz: Ein Tornado des Taktischen Luftwaffengeschwaders 51 "Immelmann" in Jagel. (Foto: REUTERS)

Kein einziges der Argumente für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien ist wirklich stichhaltig.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Bundesregierung verfährt beim Bundeswehreinsatz in Syrien, dem der Bundestag zugestimmt hat, nach dem Motto "Viel hilft viel". Sie beruft sich auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht, auf die Beistandsverpflichtung der EU-Bündnispartner sowie auf drei UN-Resolutionen zum sogenannten Islamischen Staat. So richtig solide ist freilich keines dieser Fundamente.

Ist der Einsatz durch die Vereinten Nationen legitimiert?

Grundsätzlich ist der UN-Sicherheitsrat die richtige Adresse. Nach der UN-Charta kann der UN-Sicherheitsrat Ausnahmen vom Gewaltverbot autorisieren. In seiner jüngsten Resolution 2249 vom 20. November fordert er die Staaten dazu auf, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden" - insbesondere solche des IS. Das klingt allerdings verbindlicher, als es ist. Denn die Resolution mandatiert gerade keine Militäraktionen nach Kapitel 7 der Charta. Dies aber wäre erforderlich, damit eine Ausnahme vom Gewaltverbot greift: Die Resolution müsste die "notwendigen Maßnahmen" konkret benennen.

Kann sich Deutschland auf das Recht der Selbstverteidigung berufen?

Das ist das zentrale Argument der Bundesregierung. Artikel 51 der UN-Charta normiert die zweite Ausnahme vom Gewaltverbot, das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegen einen "bewaffneten Angriff". Umstritten ist indes, ob die Attentate von Paris bereits diese Dimension erreicht haben; ein reiner Terroranschlag wäre kein Fall fürs Militär, sondern für die Polizei. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags führt hier ins Feld, dass die Anschlagsserie vom 13. November - wenngleich nicht mit 9/11 vergleichbar - sehr sorgsam koordiniert gewesen sei. Zudem habe nur der Zufall verhindert, dass die Gewalttäter ins Fußballstadion gelangten - was womöglich Tausende Opfer gefordert hätte. Entscheidend könnte sein, wie sicher sich nachweisen lässt, dass die Basis der Anschläge in Syrien gelegt wurde.

Der "Islamische Staat" ist, trotz seines Namens, kein Staat. Gilt hier gleichwohl das eigentlich doch auf Staaten bezogene Selbstverteidigungsrecht?

In diesem Punkt bewegt sich die Bundesregierung auf besonders dünnem Eis. Denn Angriffe gegen den IS führen auf syrisches Gebiet - also auf das Terrain eines souveränen Staates, der dafür kein Plazet gegeben hat. Zwar wurden nach den Anschlägen von New York und Washington Militäraktionen gegen al-Qaida ebenfalls auf afghanischem Gebiet geführt. Allerdings ist dies damals mit der "Safe-Haven-Doktrin" gerechtfertigt worden: Staaten, die Terroristen einen sicheren Hafen bieten, müssen sich deren Aktionen zurechnen lassen. Davon kann in Syrien, das den IS bekämpft, keine Rede sein. Deshalb wird von einigen Völkerrechtlern gefordert, das Selbstverteidigungsrecht auf das Terrain von Staaten auszudehnen, die nicht willens oder - das könnte man im Fall Syriens anführen - nicht in der Lage sind, Terroristen im eigenen Land wirksam zu bekämpfen. Damit will man verhindern, dass diese sich hinter dessen Souveränität verstecken können. Mit diesem Ansatz würde aber faktisch der Schutz der territorialen Integrität der Staaten aufgehoben, warnt der Völkerrechtler Norman Paech in einem Gutachten für die Linke.

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Und was sagt das Grundgesetz dazu?

Artikel 24 erlaubt Bundeswehreinsätze in einem "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit", also im Rahmen der Nato oder eines UN-Mandats - keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt. Deshalb kommt hier die EU ins Spiel, Frankreich hat erstmals in der Geschichte den EU-Bündnisfall ausgerufen. Ob die EU ein solches System kollektiver Sicherheit ist, das ist allerdings umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies im Lissabon-Urteil von 2009 noch verneint.

Könnte das Verfassungsgericht den Einsatz für verfassungswidrig erklären?

Wahrscheinlich wird dieser rechtlich so heikle Fall nicht nach Karlsruhe gelangen. Eine Organklage halten nicht einmal Grüne und Linke für zulässig, weil der Bundestag ja angerufen wurde und die Gegner des Einsatzes sich damit nicht auf eine Verletzung ihrer Rechte berufen können. Und eine Normenkontrollklage scheitert schon daran, dass die Opposition das 25-Prozent-Quorum nicht erreicht. Denkbar wäre die Verfassungsbeschwerde eines Soldaten, der sich auf den Schutz von Leben und Gesundheit beruft. Dass sich eine gerichtliche Kontrolllücke auftut, ist problematisch, weil sich das Völkerrecht auch aufgrund der "Staatenpraxis" herausbildet: Der "Verfassungsbruch" setze sich fort, "weil das ja irgendwann Rechtspraxis wird", sagt Katja Keul (Grüne).

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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