Deutsches Flut-Krisenmanagement:"Leuchtendes Beispiel" oder "völlig unfähig"?

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Eine Familie aus Franken überlebte den Tsunami in Sri Lanka. Bei der Rückreise fühlte sie sich von der deutschen Botschaft vollkommen im Stich gelassen. Das Auswärtige Amt verteidigt seine Mitarbeiter in Colombo. Zwei völlig unterschiedliche Versionen des deutschen Katastrophen-Managements.

Von Bernd Oswald

Die Reise war als Höhepunkt des Jahres geplant: Weihnachten und Silvester im Club Bentota in Colombo, Sri Lanka, dem Urlaubsparadies, das die Familie Krauß schon zuvor bereist hatte. Am 25. Dezember um acht Uhr erreichen die Kraußes ihr Feriendomizil.

Am 30.12. berät ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Colombo ein Paar über die Rückreisemöglichkeiten. Umstritten ist, wo die Botschaftsvertreter am 27.12. waren. (Foto: Foto: dpa)

Doch statt zehn Tagen Traumurlaub gibt es einen Tsunami, die Angst um das Leben der Tochter und eine überstürzte Flucht ins Landesinnere.

Im Auffanghotel Mount Lavinia bei Colombo erklärt der für mehrere Veranstalter zuständige Reiseleiter, die deutsche Botschaft in Colombo habe angewiesen, dass alle Deutschen umgehend ausfliegen sollen. Deswegen verwerfen die Kraußes ihre Gedanken, den Urlaub im Inselinneren fortzusetzen. "Als braver deutscher Staatsbürger hört man ja auf das, was die Botschaft sagt", erinnert sich Birgit Krauß. Nach nur zwei Tagen in Sri Lanka tritt die Familie die vorzeitige Rückreise an.

"Warum dürfen wir nicht nach Hause?"

Am Bandaranayake International Airport von Colombo herrscht am Morgen des 27. Dezember großes Chaos. Zwei, drei deutsche Reiseleiter versuchen die unzähligen Anfragen der aufgebrachten Touristen abzuarbeiten. Das Problem von Familie Krauß: Sie haben nur ihren Hotelaufenthalt, nicht aber den Flug über den Veranstalter DER gebucht. Deswegen werden sie von den Reiseleitern abgeblockt. Dabei steht eine Condor-Maschine bereit. Geplanter Abflug: 11.45 Uhr.

Verzweifelt versucht Detlef Krauß drei Plätze in einem Flugzeug zu bekommen - vergeblich. Seine elfjährige Tochter Natascha steht noch immer unter Schock. Auf dem Flughafen wird es dem Mädchen zuviel: "Warum dürfen wir nicht nach Hause?", schreit sie.

Ein srilankischer Flughafenmitarbeiter sagt Detlef Krauß, dass ein Krisenstab der Deutschen Botschaft da sein müsse. Doch die Kraußes finden weit und breit keinen deutschen Diplomaten. Also rufen sie in der Botschaft an - und erreichen den Anrufbeantworter. Die Ansage geht mit keinem Wort auf die Flutkatastrophe ein. Weitere Versuche enden mit demselben Ergebnis.

Birgit Krauß erzählt von anderen Deutschen, die persönlich versucht hätten, zur Botschaft zu gelangen, aber ein abgeriegeltes Gebäude vorgefunden hätten, in das niemand mehr hineinkam.

Brandbrief an das Auswärtige Amt

Detlef Krauß gelingt es schließlich, bei der Fluggesellschaft Emirates Tickets für seine Familie zu lösen. Noch am gleichen Tag fliegen die drei nach Dubai, wo sie noch eine Nacht verbringen müssen. Am 28.12. geht es weiter nach Frankfurt.

Am Tag nach ihrer Ankunft im heimischen Heßdorf bei Nürnberg schreibt Detlef Krauß einen geharnischten Brief an das Auswärtige Amt, in dem er die aus seiner Sicht vorliegenden Missstände anprangert.

Von "völliger Unfähigkeit im Katastrophenfall aktiv zu reagieren" ist die Rede. Krauß, Personaldirektor eines Satellitenbetreibers, fordert eine Antwort binnen einer Woche. Drei Wochen später haben die Kraußes immer noch nichts aus Berlin gehört.

Schwere Vorwürfe. Eigentlich unvorstellbar, dass deutsche Diplomaten so versagen. Was sagt das Auswärtige Amt zu den Anschuldigungen?

"Alles Menschenmögliche getan"

Das Auswärtige Amt (AA) lässt nichts über das Krisenmanagement der Deutschen Botschaft in Colombo kommen. Botschafter Jürgen Weerth sei selbst rund um die Uhr im Einsatz gewesen, sagt ein Sprecher, der nicht mit Namen zitiert werden will. "Die Botschaft in Colombo ist die ersten 72 Stunden nach der Katastrophe rund um die Uhr besetzt gewesen", erklärt er. Sogar Freiwillige und auch Ehepartner hätten mitgeholfen.

Im Botschaftsgebäude in der Alfred House Avenue 40 in Colombo seien alle verfügbaren Kräfte für Hilfsmaßnahmen rekrutiert worden und hätten "alles Menschenmögliche getan", um den verzweifelten deutschen Urlaubern zu helfen: Essen und Kleidung besorgt, vorläufige Reisepapiere ausgestellt, medizinische Erstversorgung gewährleistet.

In Colombo war Botschafter Johannes Weerth nach der Flut laut Auswärtigem Amt "rund um die Uhr im Einsatz". (Foto: Foto: dpa)

Selbstverständlich hätten betroffene Deutsche dort konsularische Hilfe bekommen, wenn auch nach mitunter langer Wartezeit. Auch am Flughafen seien "durchgehend" mehrere Vertreter der Botschaft gewesen, widerspricht der für die Flutkatastrophe zuständige AA-Sprecher der Darstellung von Familie Krauß. Konkrete Zahlen lässt er sich nicht entlocken, auch nicht, was die generelle Personalstärke der Botschaft betrifft, die die sueddeutsche.de-Anfrage ans Auswärtige Amt weitergeleitet hat.

Zusammen mit der deutschen Vertretung in Bangkok sei die Colomboer Botschaft das Koordinationszentrum für die EU-Staaten gewesen. Beide Botschaften bezeichnet der PR-Diplomat als "leuchtende Beispiele" für Krisenmanagement während der Flut.

"Viel Verständnis für emotionale Extremsituationen"

Was aber ist aus dem Beschwerdebrief der Familie Krauß geworden? In den ersten zwei Wochen nach der Flutkatastrophe seien sämtliche Mitarbeiter des zuständigen Referats 511 "Konsularische Hilfe für Deutsche im Ausland" in den Krisenstab abgezogen worden.

Erst seit 17. Januar säßen sie wieder an ihrem eigentlichen Platz und würden sich nun umgehend an die Abarbeitung von Briefen betroffener Bürger machen. Auch das Schreiben der Familie Krauß werde nun beantwortet.

An mehreren Stellen ist der Seebeben-Sprecher um Versöhnung bemüht: Er habe "viel Verständnis für emotionale Extremsituationen". Es gebe sicher Anlass zu berechtiger Kritik.

Er gesteht auch ein, dass nicht alles optimal gelaufen ist und man manche Sachen vielleicht das nächste Mal besser machen könne. Zum Beispiel die Sichtbarkeit der deutschen Botschafts-Vertreter am Flughafen: "Mit einem Deutschland-Schild am Flughafen wäre dieser Brief nicht entstanden", sagt er mit Blick auf das Beschwerde-Schreiben der fränkischen Familie.

Sri Lanka, wir kommen wieder

In Heßdorf reagiert Birgit Krauß mit Unverständnis, als sie über die Stellungnahme aus Berlin informiert wird. "Es gab definitiv keinen deutschen Botschaftsvertreter am Flughafen", bleibt sie bei ihrer Version. Der Flughafen von Colombo sei relativ überschaubar, sie sei mit Mann und Kind von 9 bis 17 Uhr da gewesen und auch am Nachmittag, als es schon wieder etwas leerer war, haben sie keinen deutschen Diplomaten gesehen.

Birgit Krauß verweist auf einen Landsmann, mit dem sie abwechselnd versuchte, die Botschaft telefonisch zu erreichen: "Auch der hat niemanden gesehen."

Mit einem Schuldeingeständnis des Auswärtigen Amtes hat die die 44-Jährige nicht wirklich gerechnet: "Es war nicht zu erwarten, dass die einen Fehler nach dem anderen zugeben. Es ist aber eine Frechheit zu behaupten, es wäre jemand am Flughafen gewesen."

Trotz des Unmuts über die auswärtigen Vertretungen des eigenen Landes und trotz der Flut wollen die Kraußes nach Sri Lanka zurückkehren: "Wir haben das noch nicht abgeschlossen. Es ist dort wie im Paradies, und das wollen wir auch unserer Tochter zeigen", erklärt Birgit Krauß.

Obwohl selbst zu den Flutopfern gehörend, hat das Ehepaar gespendet. Empfänger: das von der Flut zerstörte Kinderkrankenhaus in Galle, Sri Lanka.

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