Deutscher Kaiser Wilhelm II.:Narreteien von Gottes Gnaden

Die Pose war alles: Deutschlands letzter Kaiser Wilhelm II., der vor 150 Jahren zur Welt kam, war kein Mann der Tat - er liebte die Show.

Franziska Augstein

Der Überlieferung zufolge brachte seine Lektüre Wilhelm II. dazu, auf den Bau einer starken Flotte zu drängen: 1890 erschien Alfred T. Mahans einflussreiches Werk über die Bedeutung von Seestreitkräften, "The Influence of Sea-Power upon History".

kaiser wilhelm 1915

Oberster Kriegsherr, doch in Wirklichkeit nicht mehr Herr der Lage: Wilhelm II. im Kriegsjahr 1915

(Foto: Foto: oh)

Der Kaiser las es, war angetan und wollte nun auch eine starke Kriegsflotte haben. Admiral Tirpitz, der das ähnlich sah, kam Wilhelm wie gerufen. Und so begab sich das Deutsche Reich 1897 in einen maritimen Rüstungswettlauf mit Großbritannien, was zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beitrug.

Der Neid des Enkels

Wilhelms Mahan-Lektüre bestätigte aber nur ein altes Ärgernis: Der Enkel der Queen Victoria war in seinen jüngeren Jahren gelegentlich im englischen Yachthafen Cowes zu Gast, wo Lebemänner dem Regattasport frönten. So elegant ging es in deutschen Häfen nicht zu. Wilhelm war neidisch.

Und es wurmte ihn, dass deutsche Werften nicht in der Lage waren, so schnelle Segelschiffe zu bauen wie die Briten. In Kiel, dessen Marine-Regatta-Verein 1891 auf sein Geheiß zum "Kaiserlichen Yacht Club" wurde, tat er groß auf seiner Segelyacht namens Meteor, die freilich von einer englischen Werft gebaut worden war.

In den neunziger Jahren lagen oftmals imposante Schiffe der britischen Kriegsmarine in Kiel vor Anker: Auch das noch! Der Kaiser, der sein Minderwertigkeitsgefühl mit Protzigkeit zu kompensieren suchte, muss es als persönliche Kränkung wahrgenommen haben.

Im Bund mit der Vorsehung

Für Wilhelms schlechtes Selbstgefühl gab es gute Gründe: Nicht nur verstümmelten die Ärzte ihm bei der Geburt am 27. Januar 1859 einen Arm.

Schlimmer noch mag gewesen sein, dass er deshalb während seiner ersten Jahre vielen medizinischen Torturen ausgesetzt wurde, quacksalberischen Quälereien - das Englische hielt für dergleichen den Ausdruck "heroic medicine" bereit.

Narreteien von Gottes Gnaden

Am schlimmsten war wohl, dass die Mutter ihren ältesten Sohn nicht mochte. Das fiel auch der Großmutter auf: Queen Victorias Ermahnung an die Tochter - "Du musst Dich Deinem Kind zuwenden" - war aber in den Wind gesprochen.

kaiser wilhelm II. jugend

Wilhelm als 14-Jähriger.

(Foto: Foto: Das Gupta)

Der deutsche Thronfolger wuchs zu einem Mann heran, der so gut wie jeden für klug hielt, der ihm schmeichelte. Dies ergab sich auch daraus, dass Wilhelm nicht besonders intelligent war. Der Historiker Christopher Clark meint zwar, er sei sicherlich intelligent gewesen, lediglich an Urteilskraft habe es ihm gemangelt.

Das läuft am Ende aber auf dasselbe hinaus: Mangels Urteilskraft war der Kaiser nicht fähig, eine Situation richtig einzuschätzen. Seine kaiserlichen Meinungen, die er in die Welt setzte, wie andere Leute niesen, waren sprunghaft. "Wilhelm der Plötzliche" hieß er im Volksmund.

Bismarcks Fehler

Sein aufgesetztes Sendungsbewusstsein machte ihn megaloman. Zwar verstand er sich nicht auf viel, doch er interessierte sich für fast alles, so auch für Archäologie.

Als er einmal auf Korfu neben einer Ausgrabungsstätte stand, sagte er: "Es ist sehr gut möglich, dass die Vorsehung mich, obwohl ich Laie bin, auserwählt hat, der Archäologie neue Wege zu weisen." Mit der gleichen Emphase erklärte er: "Ich bin der einzige Lenker & Herr der deutschen Außenpolitik." Man kann verstehen, warum Hans-Ulrich Wehler sagt: Wilhelms Intelligenz hätte dazu hingereicht, ein Beamter oder mittelmäßiger Schulmeister zu werden.

Wären die Zeiten nicht so angespannt gewesen, Wilhelm II. wäre als unbedeutender Sprücheklopfer in die Geschichte eingegangen, bekannt vor allem dafür, dass er sich seine Glitzerorden selbst entwarf. Man würde ihn als Monarchen würdigen, der die mediale Bedeutung der Selbstinszenierung verstanden hatte.

Bismarcks Entlassung, nicht ganz zu Unrecht

Unglücklicherweise übernahm er die Regentschaft über ein Land, das der große Bismarck darauf zugeschnitten hatte, dass er selbst es führte: gewieft, verschlagen, nüchtern, umsichtig.

Das Parlament hatte Bismarck weitgehend zu dem reduziert, als was er es betitelte: zu einer Schwatzbude. Um seine Legitimität als Kanzler zu stärken, hatte er die Bedeutung des Kaisers ganz hoch gehängt; er war davon ausgegangen, dass der Kaiser, einerlei wie er heißen mochte, tun würde, wozu der Kanzler ihm riet.

Nachdem der einunddreißig Jahre alte Wilhelm II. den betagten Bismarck 1890 - mit schlechten Gründen, aber nicht ganz zu Unrecht - geschasst hatte, durfte er sich einbilden, nun wirklich autokratisch zu regieren. "Persönliche Monarchie" nannte sich das.

Narreteien von Gottes Gnaden

Bismarck ließ ein Reich zurück, in dem quasi byzantinische Verhältnisse herrschten. Wem es gelang, dem Kaiser zu suggerieren, dass er, Wilhelm II., die Entscheidungen fälle, konnte seine Politik durchsetzen. Wilhelm durchschaute die Ränke nicht.

kaiser wilhelm II. exil 1918

Kaiser Wilhelm (3.v.re.) auf dem Weg ins Exil im November 1918

(Foto: Foto: Bundesarchiv)

So ging er 1900 dem neuen Reichskanzler Bernhard von Bülow auf den Leim. 1908 gewährte Wilhelm dem Daily Telegraph ein Interview, in dem er sich herablassend über die britische Politik äußerte. Es ist nicht ganz klar, ob von Bülow ihn absichtlich ins offene Messer rennen ließ - den Text, den Wilhelm ihm zur Prüfung vorlegen ließ, hat der Reichskanzler jedenfalls nicht bearbeitet.

In London reagierte man empört. Hernach gab von Bülow sich enragiert: Den Geheimrat Klehmet, der den Artikel des Daily Telegraph gegengelesen hatte, fuhr er an: "Haben Sie noch nicht erfasst, dass die persönlichen Wünsche seiner Majestät bisweilen Narreteien sind?" Im deutschen Offizierskorps war von da an von Wilhelms "Soldatenspielerei" die Rede.

Der gewollte Krieg

Die "persönliche Monarchie" Wilhelms II.: Sie war ein Sammelsurium von Narreteien. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben einige Autoren sein Andenken retten wollen. Die meisten hängen romantischen Ideen von Reich und Kaisertum nach, die sie mit dem Rückgriff auf mittelalterliche Vorstellungen zu untermauern suchen.

Der 2008 verstorbene Nicolaus Sombart zum Beispiel hat die vielen Vergnügungsreisen, die der Kaiser in Europa unternahm, mythographisch überhöht.

So habe Wilhelm "die sakrale Position des Reiches, als Reich der Mitte, in allen vier Himmelsrichtungen demonstrativ markiert". Vergleichbares findet sich in Büchern, die jetzt, anlässlich Wilhelms 150. Geburtstag, erschienen sind.

Selbst wo der Kaiser recht hatte, kann man ihm dafür keinen Kranz winden. Allzu zahlreich waren jeweils die Gelegenheiten, bei denen er das Gegenteil sagte. Den Ersten Weltkrieg wollte er zwar nicht, aber zu seinem Ausbruch hat er dennoch beigetragen.

Seit Beginn der neunziger Jahre wollten viele Politiker und Generale einen neuen Krieg. Wilhelm griff das auf.

Majestät ging auf die Nerven

1912 forderte er von den führenden Politikern und Militärs, sie sollten Deutschland auf einen Krieg vorbereiten. Als der dann 1914 kam, hatte Wilhelm seine Meinung wieder geändert. Da Reichskanzler Bethmann-Hollweg ihn nicht mehr ganz ernst nahm, war Wilhelms Votum nebensächlich.

Die Entscheidungen der Obersten Heeresleitung beeinflusste der Kaiser nur insofern, als er den Generalen durch seine ständige Anwesenheit in Nähe ihres Hauptquartiers auf die Nerven ging.

Nach dem üblichen egozentrischen Ausflug in die Rhetorik ("Das beste wird schon sein, ich schieße mich tot") reiste er am 10. November 1918 ohne Absprache mit der Regierung ins holländische Exil.

Als Walter Rathenau nach der Niederlage gefragt wurde, ob der Kaiser Schuld am Ausbruch des Kriegs gewesen sei, antwortete er, die Frage stelle sich nicht.

Narreteien von Gottes Gnaden

Damit hatte Rathenau recht. Bemerkenswerterweise standen die wahren Entscheidungsträger ihrem Kaiser an Unfähigkeit kaum nach. Volker Ullrich hat die deutsche Politik in der Vorkriegsphase als ein "merkwürdiges Gemisch aus übertriebenen Befürchtungen, irrationalen Erwartungen und dilettantischen Fehlrechnungen" beschrieben.

kaiser wilhelm exil doorn

Ergraut, vollbärtig, machtlos: Der Ex-Kaiser im niederländischen Exil

(Foto: Foto: Bundesarchiv)

Der Kaiser - kluge Zeitgenossen sahen das schon zu seinen Lebzeiten - war das Spiegelbild all dessen, was das Kaiserreich zu einem bornierten, autoritären Militärstaat machte.

Das Volk, die "Schweinebande"

Tirpitz' Flottenaufrüstung ist beispielhaft für die damals herrschende verantwortungslose Politik. Tirpitz hatte lächerlich hohe Ziele: Er wollte Großbritannien zwingen, es hinzunehmen, dass Deutschland sich ein ausgedehntes Kolonialreich schuf.

Das, so meinte er, werde helfen, den Einfluss von Parlament und Sozialdemokratie in Deutschland einzudämmen. Nichts davon war realisierbar. Dass ein neuer Krieg vor allem zu Land ausgefochten werden würde, war absehbar. Doch das war ein Detail, auf das die deutschen Machthaber nicht viel gaben.

Der Flottenbau konsumierte immense Summen - in die Aufrüstung des Heeres wurde umso weniger investiert. Bis 1916 war die kaiserdeutsche Flotte vor allem damit beschäftigt, sich vor den britischen Schiffen in Sicherheit zu bringen.

Der größte Effekt der maritimen Aufrüstung: Als die Matrosen Ende Oktober 1918 erfuhren, dass sie in einem letzten "Todeskampf" vor der sicheren Niederlage ihr Leben opfern sollten, meuterten sie. Das war der Ausbruch der Revolution.

Wie Adolf Hitler war Kaiser Wilhelm von "seinem" Volk am Ende enttäuscht: Er nannte es "eine Schweinebande". Die Weimarer Republik war eine "Saurepublik". Vor Hitlers Wahlsieg 1933 setzte er darauf, dass die Nationalsozialisten ihn nach Deutschland zurückholen würden.

Als das fehlschlug, war er beleidigt und verdammte die Nazis. Der Historiker John Röhl hat mit staunenswerter Sorgfalt allen Blödsinn zusammengesucht, den Wilhelm geäußert hat. Röhls biographische Vernichtung des Kaisers kulminiert darin, dass Wilhelm - Rassist war er auch - erklärte, die Juden müssten "vom Deutschen Boden vertilgt und ausgerottet" werden: "Das beste wäre wohl Gas."

Nein, auch diese Idee hätte Wilhelm nie umgesetzt. Es wäre falsch, ihn als Hitlers Vorläufer zu bezeichnen. Seine Fähigkeit beschränkte sich darauf, große Worte zu machen. Er hat sein Leben lang den Monarchen vor allem gemimt. Zu mehr reichte es nicht.

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