Deutscher Herbst - Tag 23:Jan-Carl Raspe redet von "toten Gefangenen"

Die Entführer nehmen die Verhandlungen über eine Freilassung von Hanns Martin Schleyer wieder auf und stellen neue Forderungen. Unterdessen plant Kanzler Helmut Schmidt jeglichen Kontakt zwischen Verteidigern und Häftlingen zu unterbinden.

Robert Probst

Dienstag, 27. September 1977: Nach einer längeren Zeit des Verhandlungsstillstands melden sich die Entführer von Hanns Martin Schleyer wieder zu Wort. Sie haben am Tag zuvor in Paris zwölf identische Briefe aufgegeben. Diese sind unter anderem an verschiedene Medien gerichtet, jedem Brief liegt ein Bild des Arbeitgeberpräsidenten bei. Er hält darauf ein großes Schild mit der Aufschrift: "Seit 20 Tagen Gefangener der RAF.''

Jan-Carl Raspe redet von "toten Gefangenen".

Jan-Carl Raspe: Der RAF-Häftling deutet im Fall des Eingreifens der Polizei eine Katastrophe an.

(Foto: Foto: AP)

In ihrem Schreiben fordern die Entführer den Fahndungsstopp in Frankreich, Holland und in der Schweiz. Sie weisen erneut darauf hin, dass "unsere forderung nach einstellung aller fahndungsmaßnahmen nach wie vor gilt.'' Offenbar haben die Terroristen auch mitbekommen, dass Vermittler Denis Payot abgehört wird, sie warnen die Regierung weiterhin "fangschaltungen oder dergleichen als fahndungsmittel'' einzusetzen. Die erfolglosen Bemühungen von Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski im Ausland erfüllen die Entführer ebenfalls mit Sorge. Sie teilen mit, "daß wir sicher wissen, daß es länder gibt, die zur aufnahme der 11 gefangenen bereit sind''.

In Stuttgart-Stammheim bittet Jan-Carl Raspe um den Besuch eines BKA-Beamten, er habe etwas mitzuteilen. Der Terrorist übergibt ein Schreiben, worin es heißt: "Vorausgesetzt, die bereits genannten Länder lehnen die Aufnahme ab, nennen wir noch eine Reihe weiterer Länder: Angola, Mozambique, Guinea-Bissau, Äthiopien.'' Dem Beamten fällt das Wort "wir'' auf, er fragt Raspe, ob sich die Gefangenen untereinander verständigen können - aufgrund der Kontaktsperre müsste eigentlich jede Kommunikation unterbunden sein. Raspe wird verlegen und schweigt.

Dann sagt er laut Gesprächsprotokoll: Die lange Dauer der Entführung lasse darauf schließen, dass eine "polizeilichen Lösung'' beabsichtigt sei. Damit wäre eine "politische Katastrophe'' programmiert, nämlich "tote Gefangene''

Regierung berät Gesetzesentwurf

In den Niederlanden wird nach den beiden Schießereien mit großer Intensität nach RAF-Mitgliedern gesucht. Zu den Verdächtigen gehören auch Angelika Speitel und Sigrid Sternebeck. Der Terrorist Knut Folkerts, der einen Polizisten erschossen hatte und danach in Utrecht verhaftet worden war, wird mehrfach befragt. Er schweigt bei allen Verhören. Sein Anwalt Pieter Bakker-Schut behauptet, man habe Folkerts eine Million Mark und einen neuen Pass geboten, wenn er etwas über den Aufenthalt von Schleyer verrate. Diese Aussage wurde nie offiziell bestätigt.

In Bonn beraten die Bundestagsfraktionen den in aller Eile erstellten Gesetzentwurf für eine "totale Kontaktsperre''. Kanzler Helmut Schmidt sagt vor der SPD-Fraktion, die Regierung sei "zu dem Ergebnis gekommen, dass während der Andauer der Entführung Schleyers die Unterbrechung aller Kontakte zwischen Verteidigern und bestimmten terroristischen Häftlingen unabdingbar notwendig war''. Mehrere Abgeordnete melden rechtspolitische Bedenken an, ebenfalls der Koalitionspartner FDP.

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