Deutsche Reaktion auf britische Krawalle:Instant-Angst mit Schauderlust

Echte Sorge, Rechthaberei oder egozentrische Profilierungssucht? Kaum brennt es in London, flackert hier die Debatte hoch, ob und wann die Gewalt uns erreicht. Deutsche Politastrologen verwenden schlechte Nachrichten aus aller Welt allzu gern für ihre Zwecke - das Kalkül erinnert an Tütensuppen: aufreißen, Wasser rein, hochkochen.

Heribert Prantl

Es gibt so etwas wie einen deutschen Katastrophen-Vampirismus. Er nutzt Unglücke, Attentate und Verbrechen, die anderswo in der Welt passieren, um sie sogleich für die politische Debatte in Deutschland zu verwerten. Das ist nicht unbedingt immer verwerflich, aber rasend egozentrisch.

Ealing Cleans Up after London Riots

Mann in zerstörtem Friseursalon in London: Wieso kommt sofort die Berlin-Debatte?

(Foto: dpa)

Die Massenmordtaten des rechtsextremistischen Attentäters Breivik in Norwegen dienten hierzulande umgehend dazu, die Debatte um ein Verbot der NPD neu zu entfachen. Sogar der Streit über die Vorratsdatenspeicherung wurde norwegisch aufgeladen. Die Diskussionen darüber, ob "so etwas" wie in Norwegen auch in Deutschland passieren und wie man es verhindern könne, ersetzten vielfach das gemessene Gedenken.

Nun geschieht angesichts der Krawalle in Großbritannien Ähnliches: In London brennt es - und in Deutschland flackern die Debatten darüber, ob und wann nun auch in Berlin die Gewalt zunehmen wird. Die Weltbetrachtung in Deutschland ist selbstbezogen. Sie ist ausgerichtet an einer quicken politischen Kommerzialisierung und sie führt zu einer Art Experten-Astrologie. Die einen kündigen an, dass alsbald auch hierzulande die sozialen Spannungen eskalieren werden, die anderen erklären, warum genau das nicht eintreten wird.

In solch wieselflinke Reaktionen mischen sich Sorge, Rechthaberei, Lust am Schauder, da und dort vielleicht auch schlechtes Gewissen. Vor allem aber zeigt sich in diesen Reaktionen, wie fast ein jeder sein bisheriges Haupt- und Lieblingsthema nun mit einer neuen Einleitung versieht - was sollte er auch auf die Schnelle anderes tun. Also zeigen und belegen die Londoner Krawalle angeblich genau das, was der Politiker, der Experte oder Publizist auch schon bisher verfochten hat - woran also hierzulande die Integration, das Schul- und Bildungswesen, die Prävention und die Repression angeblich kranken.

Man muss sich über solche Darlegungen nicht überheblich mokieren; auch der Journalismus ist ja darauf geeicht, Lösungen für Großprobleme wie Tütensuppen anzubieten - aufreißen, Wasser zugeben, aufkochen - und sich schuldig zu fühlen, wenn er solche Instant-Kost nicht sofort zur Krawall- oder Katastrophenbegleitung anbieten kann. Formulierungen wie "es muss doch endlich" signalisieren einen Sofortismus, der die Nachdenklichkeit ersetzt.

Der Sofortismus ist seit gut drei Jahrzehnten ein Kennzeichen der Politik der inneren Sicherheit. Immer wenn es Nacht wird in Deutschland, lässt man die Rollläden herunter. Ähnlich mechanisch reagiert Politik: Immer wenn etwas passiert, muss sofort etwas passieren - man produziert in aller Eile ein Sicherheitspaket.

Es herrscht der Ehrgeiz, dies in Rollladengeschwindigkeit zu machen. Man zieht kräftig am Gurt und das Ding knallt herunter. So hat das die Politik zu Zeiten des RAF-Terrorismus gelernt, so hat sie es nach dem 11. September 2001 praktiziert - und so hat es Eingang gefunden in das politische Denken insgesamt.

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