Deutsche "Patriot"-Waffen für die Türkei:Wir geben euch Raketen, ihr haltet euch zurück

Wozu Luftabwehrraketen? Die Türkei ist nicht akut von Luftangriffen bedroht. Rein militärisch ist die Verlegung der Bundeswehr-Waffen an die Grenze zu Syrien deshalb nicht von Belang. Politisch sieht das anders aus: Die Bundesregierung könnte langfristig von der Stationierung profitieren. Und ein Nein wäre für das Ansehen Deutschlands gefährlich.

Peter Blechschmidt, Berlin

"Patriot"-Raketen der Bundeswehr sollen in der Türkei stationiert werden

Raketensystem Patriot der Bundeswehr bei einer Übung in Norwegen: Ein starkes Signal, dass das Beistandsversprechen des Nato-Vertrags keine leere Floskel ist.

(Foto: dpa)

Mörsergranaten kann man nicht mit Flugabwehrraketen unschädlich machen. Da hat der Grüne Omid Nouripour wohl recht. Bislang wurde die Türkei von syrischem Gebiet aus, so weit bekannt, nur mit Mörsern beschossen, nicht aber mit Raketen oder Kampfflugzeugen attackiert. Warum also soll nun die Nato das Luftverteidigungssystem Patriot, das auf Flugzeuge und Raketen abzielt, an die türkisch-syrische Grenze verlegen?

Rein militärisch ist es nicht entscheidend, dass die Nato der türkischen Bitte stattgibt. Natürlich muss abgewogen werden, wie real die Gefahr eines Luftangriffs auf die Türkei tatsächlich ist. Es gab eine Phase im syrischen Bürgerkrieg, in der man sowohl der Regierung in Damaskus als auch den Rebellen ein Interesse daran unterstellen konnte, den Konflikt zu internationalisieren, indem man ihn über die Landesgrenzen hinausträgt. Das barg auch die Gefahr von Übergriffen auf türkisches Territorium. Aus aktueller Sicht scheint dieses Risiko nicht sehr groß zu sein - zumal die hochgerüstete türkische Armee sehr wohl in der Lage sein dürfte, solche Attacken abzuwehren.

Politisch stellt sich die Lage anders dar. Die Türkei trägt unter den Nachbarn Syriens neben Jordanien die Hauptlast der Bürgerkriegsfolgen: hohe Flüchtlingszahlen, eine tief greifende Verunsicherung der eigenen Bevölkerung und innenpolitischer Streit zwischen den Sympathisanten beider Lager, der jederzeit eskalieren kann.

Mahnung an Ankara

In der Vergangenheit hat sich die Regierung in Ankara wiederholt über einen Mangel an Unterstützung durch ihre Bündnispartner in der Nato beklagt. Die Entsendung von Patriots wäre also zunächst einmal ein starkes Signal, dass das Beistandsversprechen des Nato-Vertrags keine leere Floskel ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat immer wieder die bisherige besonnene Haltung der Türkei in dem syrischen Konflikt gelobt. Wenn die Türkei nun um die Patriots bittet, wäre das eine Möglichkeit, dieser verbalen Anerkennung auch Taten folgen zu lassen. Außerdem würde die Entscheidung es den Verbündeten erleichtern, in anderen Fragen, bei denen sich die Türkei als ein schwieriger Partner erwiesen hat - Stichwort Zypern - von Ankara mehr Entgegenkommen einzufordern.

In seinem Marschbefehl für die Patriot-Staffeln wird der Nato-Oberkommandierende den rein defensiven Charakter der Stationierung betonen. Auch das wird eine unmissverständliche Mahnung an Ankara sein, die bisherige Zurückhaltung nicht aufzugeben. Derlei Vorsicht ist angebracht. Womöglich verfolgt die türkische Regierung doch weitergehende Absichten als nur die Sicherung ihrer Grenzen. Die Opposition in Deutschland spekuliert, es gehe der Türkei um die Errichtung einer Flugverbotszone im nördlichen Syrien. Sie könnte den Rebellen Schutz vor der syrischen Luftwaffe gewähren. Die Patriots könnten, so die Überlegungen, dafür sorgen, dass das Flugverbot eingehalten würde.

Beherrschbares Risiko

Die Bundesregierung glaubt, dies verhindern zu können. Für eine Flugverbotszone wäre ein Mandat der Vereinten Nationen erforderlich. Das aber ist angesichts der Unterstützung Russlands und Chinas für die Regierung in Damaskus kaum denkbar. Allerdings - sollte es wider Erwarten in der nächsten Zeit doch ein Flugverbot der UN geben und die Patriots sollten es überwachen, dann säße Deutschland mit im Boot. Jetzt die Abwehrraketen zur Verfügung zu stellen, aber sich dann der Verantwortung für die Umsetzung eines UN-Mandats zu entziehen - das wäre unvorstellbar.

Eine weitere Unwägbarkeit betrifft die Sicherheit der Deutschen im Einsatz. Mag auch die Wahrscheinlichkeit derzeit gering sein, dass die Bundeswehr-Soldaten im Leitstand der Patriot-Staffeln in bewaffnete Auseinandersetzungen hineingezogen werden, so ist doch eine weitere Eskalation an der türkisch-syrischen Grenze nicht auszuschließen. Schon deshalb ist es rechtlich zwingend und politisch geboten, dass die Bundesregierung für die Entsendung der Patriots ein Mandat des Bundestags einholt. Derzeit spricht alles dafür, dass sie dies tun wird.

Die Entscheidung über die Stationierung fällt niemandem leicht. Die Zweifel an der Entsendung der Patriots sind nachvollziehbar. Die Erfahrungen zeigen, dass man relativ leicht in ein militärisches Engagement hineingerät, dass aber der Rückzug schwierig werden kann. Mit Blick auf die Patriots kann man sagen, dass die Risiken beherrschbar erscheinen. Am Ende steht wieder die Frage, ob Deutschland ein verlässlicher Bündnispartner ist. Solidarität gibt es nicht um jeden Preis. Im Fall der Patriots aber würde ein Nein das Ansehen Deutschlands stark beschädigen.

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