Deutsche Geschichte:"Demokratie ist kein Deckchensticken"

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Von den K-Gruppen bis zum Auswärtigen Amt: Maos Lehren fanden im Westen keinen Anklang, seine Sprüche schon.

Von Willi Winkler

Am 24. November 1966 erreichte die chinesische Kulturrevolution Berlin. Eine Handvoll Studenten der Freien Universität stürmte eine Veranstaltung des Uni-Präsidenten Hans-Joachim Lieber, der ihren Anliegen keineswegs abgeneigt und sogar als Marxismus-Experte ausgewiesen war. Die Revolutionäre hatten sich mit rot-goldenen Mao-Buttons bewaffnet, die aus der Botschaft der Volksrepublik China in Ost-Berlin stammten, und verteilten Flugblätter mit der Weigerung, "uns von professoralen Fachidioten zu Fachidioten ausbilden zu lassen".

Eine besonders entschlossene Gruppe gründete am Jahresende nach dem Vorbild der chinesischen Volkskommune die "Kommune 1". Vier Monate später, im April 1967, wurde sie ausgehoben, weil die Berliner Polizei unterstellte, es werde dort ein Attentat auf den amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey vorbereitet. Für die stramm antikommunistische Berliner Boulevardpresse handelte es sich bei den Tätern um "FU-Chinesen", die einen "Mao-Cocktail" hergestellt hätten: "Maos Botschaft in Ost-Berlin lieferte die Bomben."

Bomben waren es keine, die chinesische Botschaft lieferte vor allem Worte, nicht irgendwelche, sondern die "Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung", wie Maos Name damals ins Deutsche transkribiert wurde, in leicht abwaschbares rotes Plastik geschlagen, deshalb bald bekannt als "rotes Büchlein". Es passte in jede Jeans-Tasche und war bei der Suche nach einer passenden Losung jederzeit zu konsultieren. Der große Germanist Peter Szondi klagte 1967, dass die Studenten "heute Maos Sprüche nicht anders zitieren, als es ihre Großväter mit den Sprüchen des Weimarer Dichterfürsten taten".

Goethe war er nicht, aber der greise Revolutionsheld wurde plötzlich populär. Andy Warhol siebdruckte ihn zur Ikone, gleichauf mit Elvis und Marilyn Monroe. Die Beatles erwähnten ihn, allerdings abwehrend, in ihrem Song "Revolution". Sergio Leone zitierte ihn als Motto für seinen Film "Todesmelodie" (im italienischen Original: C'era una volta la rivoluzione, 1971): "Die Revolution ist kein Festessen, kein literarisches Fest, kein Deckchensticken, die Revolution ist ein Akt der Gewalt." Sogar Richard Nixon und Henry Kissinger hofierten ihn. Auch der ebenfalls nicht unbedingt kommunistischer Sympathien verdächtige Franz Josef Strauß machte 1975 dem Großen Vorsitzenden seine Aufwartung und kam damit dem kaum weniger faszinierten Kanzler Helmut Schmidt knapp zuvor.

Joschka Fischer war kein Maoist - aber Mao zitierte er schon

Maos Gedichte erschienen nicht bloß in der eindeutig linken Zeitschrift Kursbuch, sondern auch im Thomas-Mann-Verlag S. Fischer. Der einflussreiche linksliberale Publizist Sebastian Haffner bevorwortete 1966 bei Rowohlt Maos "Theorie des Guerillakrieges". Der Sinologe und Mao-Übersetzer Joachim Schickel besuchte Carl Schmitt, den Kronjuristen des Dritten Reiches, und tauschte sich mit ihm von links nach rechts über Maos Lehren aus.

Der politische Einfluss Maos im Westen blieb dennoch gering. Zwar orientierte sich ein Teil der entstehenden K-Gruppen nach Peking, aber das Agitieren der Arbeiterklasse erwies sich als mühsam und recht fruchtlos. Auch die sogenannte Rote Armee Fraktion (RAF) konstituierte sich 1970 mit dem Mao-Imperativ "Dem Volke dienen!", allerdings verstand sie unter diesem Dienst am Volk tatsächlich brutale Gewalt. Im Untergrund studierte Ulrike Meinhof nebenbei Mao und spickte das von ihr verfasste "Konzept Stadtguerilla" mit seinen Sprüchen. Der Imperialismus und alle Reaktionäre seien nichts weiter als "Papiertiger", es gelte das Primat der Praxis oder, im besten Carl-Schmitt-Sound: "Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen!"

In den Dreißigern hatte Mao Zedong seine Anhänger durch Krieg und Bürgerkrieg auf einen "Langen Marsch" geführt, der letztlich erst 1949 endete, als er die Volksrepublik China ausrufen konnte. Rudi Dutschke verwandelte die kriegerische Version in eine Friedensdividende und eröffnete ungeahnte Karrieremöglichkeiten, als er zum langen Marsch durch die Institutionen aufrief. Deshalb traten 1969, als sich das Ende der ersten großen Koalition abzeichnete, viele Studenten trotz der Mao-Bibel in die SPD ein und halfen damit nicht nur ihrem eigenen Fortkommen, sondern sorgten auch dafür, dass Willy Brandt Kanzler wurde.

Noch in Joschka Fischers Selbsterfahrungsschrift "Mein langer Lauf zu mir selbst" (1999) klingt Maos legendärer "Langer Marsch" nach. Für Fischer, der kein Maoist war, aber 1968 in Frankfurt mit einigen anderen die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität gestürmt hatte, führte der lange Marsch zuletzt ins Außenministerium und in den Jugoslawienkrieg. Im Planungsstab beschäftigte er einen gewissen Joscha Schmierer, den ehemaligen Chef des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW). 1976, als Mao starb, hatte Schmierer auf einer von 40 Gedenkveranstaltungen noch mal die "immer siegreichen Maotsetung-Ideen" beschworen: "Die richtigen Ideen der Menschen können nur aus der gesellschaftlichen Praxis herrühren, nur aus dem Produktionskampf, dem Klassenkampf und dem wissenschaftlichen Experiment" und so dröhndröhn weiter. Das Mao-Experiment war da längst gescheitert, selbst für Schmierer, der zuletzt den Schlächter Pol Pot verehrte. 2001 überschrieb Schmierer einen Rückblick auf sein politisches Leben mit einem update Maos: "Demokratie ist kein Deckchensticken."

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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