Deutsche Börse:Zu eng gedacht

Eine Fusion zwischen den Börsen in Frankfurt und London droht zum fünften Mal zu scheitern. Das ist bitter, denn ein europäischer Finanzplatz mit einheitlichen Regeln wäre sinnvoll. Wenn London partout nicht will, muss die Deutsche Börse den Blick nach Asien richten.

Von Andrea Rexer

Wer vier Mal scheitert und es dann noch einmal versucht, der hat einen starken Willen. Die Deutsche Börse unternimmt gerade den fünften Anlauf, um sich mit der Londoner Konkurrenz zusammenzuschließen. Und nun droht schon wieder eine Niederlage. Denn die Briten haben die Reißleine gezogen. Das ist nicht nur peinlich für die Deutsche Börse; es ist nicht nur eine schlechte Nachricht für Europas Unternehmen: Scheitert der Deal, so hat Europa eine wichtige Chance vertan.

Die Fehler muss man in erster Linie beim Management suchen: Voreilig haben beide Seiten ausgehandelt, dass der Sitz des Unternehmens in London sein wird - ohne dabei die Volksabstimmung zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union abzuwarten. Das zeugt von mangelndem politischen Gespür. Dass nach einem Brexit-Votum der Druck hoch würde, den rechtlichen Hauptsitz innerhalb der EU anzusiedeln, hätte allen Beteiligten klar sein müssen.

Mangelndes Fingerspitzengefühl muss man auch dem Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, persönlich vorwerfen. Er hat nur zwei Monate bevor die Fusionsgespräche öffentlich wurden, Aktien des eigenen Unternehmens gekauft. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn wegen Verdachts auf Insidergeschäfte überschatten seither die Gespräche.

London ist verloren; nun muss sich der Blick nach Asien richten

Beide Themen dürften eine Rolle dabei gespielt haben, dass sich nun die Briten zurückgezogen haben. Offiziell gaben sie bekannt, eine verhältnismäßig nebensächliche Auflage der Wettbewerbskommission nicht erfüllen zu wollen. Es ist eine leicht durchschaubare Ausrede, die dazu dient, den Prozess gesichtswahrend zu stoppen.

Wirtschaftlich gesehen wäre ein großer europäischer Finanzplatz sinnvoll. Börsen sind im wesentlichen IT-Unternehmen. Je mehr Kunden sie haben, desto besser sind die Systeme ausgelastet - und umso billiger können sie ihre Leistungen anbieten. Dieses Argument gewinnt mit fortschreitender Digitalisierung stetig an Gewicht. Von niedrigeren Kosten profitieren letztendlich die Kunden: die Unternehmen. Sie profitieren auch ganz direkt von der Größe eines Börsenplatzes. Je mehr Investoren sich dort tummeln, desto leichter fällt es ihnen, Anteilscheine zu platzieren.

Eine entscheidende Rolle gespielt haben jedoch die politischen Hürden. Die Briten wollten auf den Hauptsitz nicht verzichten - genauso wenig wie die Frankfurter. Während in Hessen die Brexit-Karte gespielt wurde, polterten Abgeordnete in London, dass hier britische "Kronjuwelen" verscherbelt würden. Und wieder einmal zeigt sich: Europa tut sich schwer damit, in Finanzfragen über Grenzen hinweg zu denken. In einer Zeit, in der die Politik in Brüssel auf Hochtouren daran arbeitet, eine Bankenunion zu schmieden, damit Geldgeschäfte in allen Ländern Europas gleichermaßen streng reguliert werden, ist es geradezu anachronistisch, dass es keinen gemeinsamen Börsenplatz in Europa gibt.

Natürlich ist es richtig, wenn sich die Politik einmischt, denn Börsen arbeiten im öffentlichen Auftrag. Doch die Selbstverständlichkeit mit der nationale Interessen vor europäische Interessen gestellt werden, ist kurzsichtig. Europa muss daran gelegen sein, dass sich seine Unternehmen an einem Kapitalmarkt finanzieren können, der europäischen Spielregeln gehorcht. Gibt es diesen Finanzplatz nicht, werden Unternehmen auf Handelsplätze in den USA oder Asien ausweichen.

Einen sechsten Anlauf für eine Fusion wird es wohl kaum geben. Wahrscheinlicher ist, dass die Amerikaner Londons Finanzplatz umwerben. Der Deutschen Börse bleiben dann zwei Optionen: Entweder man begnügt sich mit einer Nische des Marktes - oder man streckt die Fühler nach Asien aus.

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