Deutsche Außenpolitik:Neue Strategen braucht das Land

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Wenn sie nur wüssten, wie das geht! In der deutschen Außenpolitik wird zu selten strategisch gedacht. Dabei ist Strategie nicht allein politische Kunst, sondern auch erlernbares Handwerk. Doch in Deutschland fehlen die Meister. Ein Plädoyer für mehr Strategie in der deutschen Außenpolitik.

Georg Schulze Zumkley

Der Ruf nach mehr Strategiefähigkeit in der Außenpolitik hallt seit dem Ende des Kalten Krieges immer wieder vehement durch Deutschland - zuletzt nach der Entscheidung der Bundesregierung, sich am 17. März 2011 bei der Abstimmung über die Sicherheitsratsresolution 1973 zu Libyen zu enthalten. Passiert ist: nie viel. Zu lange haben die, die das Richtige wollen, sich in Deutschland auf die Frage konzentriert, ob das Land einen nationalen Sicherheitsrat oder ein nationales Strategiepapier braucht.

Das Auswärtige Amt in Berlin: Strategie ist nicht allein politische Kunst, sondern auch erlernbares Handwerk. (Foto: dpa)

Strategiefähigkeit und Strukturen

Das braucht es zwar, aber diese Debatte ist bis heute fruchtlos geblieben, weil der institutionelle Rahmen der deutschen Außenpolitik sich nicht ad hoc verändern lässt. Daran ändert auch ein Zukunftsreport Moderner Staat nichts, der schon im Jahr 2008 feststellt: "Strategische Steuerung in der Verwaltung wird angesichts der Herausforderungen der nächsten Jahre unabdingbar werden."

Ein Bundessicherheitsrat könnte vielleicht für mehr strategische Steuerung sorgen. Ein Außenminister wird für sich und sein Haus dafür Sorge tragen, dass Kompetenzen im Auswärtigen Amt am Werderschen Markt bleiben und nicht Richtung Bundeskanzleramt an der Willy-Brandt-Straße wandern. Kompetenzclaim geht vor Steuerungsanspruch. Das ist politisch und bürokratisch nur rational.

Strategiefähigkeit in die Köpfe

Weiter führen könnte es dagegen, wenn Energie und Kreativität dorthin gelenkt werden, wo mehr Strategiefähigkeit tatsächlich möglich ist. Strategiefähigkeit beginnt in den Köpfen derjenigen, die Außenpolitik für Deutschland gestalten. Fragt sich: Wer ist das? Und: Wie geht das?

"Wenn die führenden Leute nicht strategisch denken und vor allem handeln, ist das durch nichts zu ersetzen." So hat es einmal ein früheres Regierungsmitglied gegenüber dem Autor formuliert. Das ist richtig. Wenn es aber der Weisheit letzter Schluss wäre, hinge das Schicksal der deutschen Außenpolitik Deutschlands allein an einem kleinen ministeriellen Führungszirkel. Das entspricht nicht der Realität und würde der Rolle der Ministeriumsmitarbeiter nicht gerecht. Vom Referenten bis zum Staatssekretär im Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministerium trägt jeder Verantwortung. Jeder könnte im Alltag strategisch denken und handeln - wenn man nur wüsste, wie das geht.

Es beginnt damit, dass Strategie nicht allein politische Kunst, sondern auch erlernbares Handwerk ist. Strategiefähigkeit entsteht nicht durch Zuständigkeitsverteilungen auf Organigrammen und weniger durch politischen Genius als durch Werkzeugwissen in den Köpfen. Jeder kann im außenpolitischen Alltagsgeschäft kleine Werkzeuge mit großer Wirkung für die Strategiebildung und -umsetzung nutzen.

Allein, Deutschland fehlen die Meister. Altmeister wie Wilhelm Grewe - bei aller historischen Last, die er mitbrachte, sind seine Leistungen unbestritten - oder Walter Hallstein, die Diplomaten und Gelehrte waren, gibt es heute kaum. Selbst wenn es sie gibt, wird ihr Wissen über strategische Gestaltung der Außenpolitik nicht weitergegeben.

Die universitären Veranstaltungen zu den internationalen Beziehungen sind allzu theorielastig und praxisfern. Die hauseigenen Ausbildungen von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium setzen eigene Schwerpunkte, bilden aber nicht unbedingt zum strategischen politischen Gestalten aus. Statt Grewes "Spiel der Kräfte in der Weltpolitik", Kissingers "Diplomacy" oder Liddell Harts "Strategy" wird eine offenbar nicht ganz gründlich recherchierte historische Studie zum Nationalsozialismus zur Pflichtlektüre des Diplomatennachwuchses erklärt. Strategiefähigkeit fördert das nicht.

Strategie in die Hierarchie - Werkzeugwissen zählt

Dabei könnten die Lehren vorangegangener Generationen helfen, Politik der Zukunft zu gestalten. Vor allem aber ist es die Fähigkeit zur Anwendung von Strategiewerkzeugen, die es möglich machen könnte, das eigene Handeln zielgerichteter zu gestalten, die politische Führung besser zu beraten und die deutsche Außenpolitik strategisch voranzubringen. Es geht nicht um Zauberlehrlinge, sondern um solides außenpolitisches Handwerk.

Ein Beispiel ist das Denken in Optionen. Die Suche nach einer einzigen "richtigen" Lösung wird der Komplexität der Welt nicht gerecht. Die Herausforderung der Außenpolitik liegt darin, dass sie in einer Welt vor sich geht, in der der Wandel ständige Unsicherheit mit sich bringt. Unter Unsicherheit lassen strategische Ziele sich aber nicht auf einem einzigen klar festgelegten Weg erreichen. Nur das Durchdenken verschiedener Handlungsoptionen gewährleistet die notwendige Orientierung und Flexibilität bei Veränderungen.

Im kollektiven Gedächtnis amerikanischer Strategen steht dafür das "Projekt Solarium". Als Präsident Eisenhower 1953 vor der Frage stand, welche Richtung er der Politik der USA gegenüber der immer bedrohlicher werdenden Sowjetunion geben sollte, ließ er seine Berater verschiedene Handlungsoptionen durchspielen, bevor er sich darauf festlegte, die Sowjetunion durch starke US-Kräfte in Europa abzuschrecken und die Verbündeten dabei zu unterstützen, eigene Streitkräfte aufzubauen, ohne aber das Risiko einer direkten Konfrontation einzugehen.

Schmidt vs. Strategiefähigkeit - politische Kultur

Ein kollektives außenpolitisches Gedächtnis muss in Deutschland ebenso noch wachsen wie eine strategische Kultur. Da ist es tragisch, dass zielgerichtetes Denken in Zukunftsbildern immer wieder mit dem Wort von Altbundeskanzler Schmidt abgewürgt wird. Das kann der Staatsmann Schmidt nicht gewollt haben, als er seinerzeit jedem, der Visionen habe, zum Arztbesuch riet. Roman Herzog hat klug unterschieden zwischen sinnvoller Vision und maßloser Utopie. Der Altbundespräsident formuliert "Visionen sind Strategien des Handelns. Das unterscheidet sie von Utopien." Diese Worte sollten heute jedem achtlosen Schmidt-Zitat entgegenstehen. Hier also eine Vision für eine strategisch gestaltete deutsche Außenpolitik:

Strategiefähigkeit - eine Vision

Im Jahr 2019, dreißig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, mündet die öffentliche Debatte über Deutschlands Stellung in der Welt und seine außenpolitischen Ziele in die alle zwei Jahre vorgelegte Außen- und Sicherheitspolitische Strategie der Bundesregierung.

Das gemeinsame außenpolitische Lagebild der Bundesregierung wird täglich aktualisiert und breit in den Ministerien verteilt, die Außenpolitik gestalten oder an ihr mitwirken. Eine kleine Strategie-Einheit stellt Strategie-Expertise für alle Bundesministerien zur Verfügung und richtet deren Blick verstärkt auf Ergebnisorientierung. Die Diskussion, ob ein Bundessicherheitsrat die Außen- und Sicherheitspolitik koordinieren sollte, erfährt einen neuen Impuls.

Attachés des Auswärtigen Amtes, Offiziere aus dem Verteidigungsministerium, ihre Kollegen vom Bundesnachrichtendienst, aus dem Entwicklungs- und dem Innenministerium kommen gemeinsam mit Assistenten der wichtigsten politikwissenschaftlichen Fakultäten Deutschlands zum dreimonatigen praktischen Kursmodul "Außenpolitik strategisch gestalten" zusammen. In der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, die sich zum weltweit nachgeahmten Modell für praxisnahe Ausbildung entwickelt hat, werden sie sie mit den Worten begrüßt: "Taktik heißt, die Dinge richtig tun. Strategie heißt, die richtigen Dinge tun."

Dr. Georg Schulze Zumkley ist Angehöriger des höheren Auswärtigen Dienstes und derzeit als Berater des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag tätig. Sein Beitrag ist Teil einer Reihe zu aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen weltweit, die Süddeutsche.de in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2012 veröffentlicht. Die Autoren gehören zum Netzwerk der Munich Young Leaders, einem Kooperationsprojekt von Münchner Sicherheitskonferenz und Körber-Stiftung. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder.

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