Deutsche Asylpolitik:Sieg des Menschenverstands

Die sogenannte Residenzpflicht ist eine Schande für den deutschen Rechtsstaat, es ist ein Instrument der Willkür und Kriminalisierung: Überschreitet ein Flüchtling die ihm vorgegebene Grenze, und sei es nur, um seine schwangere Freundin zu besuchen, begeht er eine Straftat. In Bayern und Sachsen existiert die Regelung noch.

Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Seit 31 Jahren gibt es im deutschen Asylrecht die sogenannte Residenzpflicht. Sie wurde geschaffen vom damaligen Innenminister Friedrich Zimmermann, der war von der CSU. Seit dieser Zeit ist diese Regelung eine Schande für den deutschen Rechtsstaat. Sie bestimmt, dass Flüchtlinge sich nur innerhalb enger Grenzen bewegen dürfen, solange ihr Asylverfahren läuft oder sie nur geduldet sind.

Es ist ein Instrument der Willkür: Das eine Bundesland erlaubt Bewegungsfreiheit auf seinem ganzen Gebiet, das andere nur innerhalb eines Regierungsbezirks. Es ist ein Instrument der Kriminalisierung: Überschreitet ein Flüchtling die Grenze, und sei es nur, um seine schwangere Freundin zu besuchen, begeht er eine Straftat, obwohl er niemanden gefährdet und niemandem schadet. Auch andere Staaten in Europa gehen wenig nett mit Flüchtlingen um - die Residenzpflicht aber gibt es nur in Deutschland. Sie steht im Gegensatz zum Genfer Flüchtlings-Abkommen, das Flüchtlingen Freizügigkeit garantiert.

Der wichtigste politische Grund für diese Regelung war: Die Flüchtlinge sollten merken, dass ihr (oft hoffnungsloser) Asylantrag sie nicht ins gelobte Land bringt. Es sollte ihnen nicht zu gut gehen. Deshalb gibt es bis heute auch das Arbeitsverbot sowie Essenspakete und Massenunterkünfte. Alle diese Dinge sind kaum geeignet, die steigende Zahl von Flüchtlingen für Kommunen, Länder, Bund und Bürger handhabbar zu machen; manche sind geradezu kontraproduktiv.

Sie dokumentieren den Sieg einer Abschreckungsideologie über den Menschenverstand. Diese Ideologie provoziert geradezu Proteste - bis hin zu Selbstzerstörungsaktionen wie den Hungerstreik von Flüchtlingen vor zwei Monaten am Münchner Rindermarkt. Sie gibt auch den Fremdenhassern unter den Einheimischen Auftrieb.

Nur noch Bayern und Sachsen sind restriktiv

Deshalb ist es nur gut, dass nun allmählich der Menschenverstand über die Ideologie siegt. So hat jetzt als 14. Bundesland Rheinland-Pfalz die Residenzpflicht gestrichen, Thüringen hat dies im Juli getan. Nur noch Bayern und Sachsen sind restriktiv. In Bayern immerhin sollen künftig Jugendliche, die ohne Begleitung gekommen sind, nicht mehr in Massenquartieren, sondern bei der Jugendhilfe untergebracht werden. Die Stadt Leverkusen bringt nun Flüchtlingsfamilien möglichst schnell in Wohnungen, also dezentral, unter; für die Familien ist das ein Segen, und die üblichen Proteste der Anwohner gegen die nächste Sammelunterkunft fallen aus.

Das Flüchtlingsproblem der Welt wird dadurch so wenig gelöst wie die deutsche Schwierigkeit, die der Asyl-Artikel des Grundgesetzes schafft: Er schützt zwar politische Flüchtlinge, hilft aber den wenigsten, die hierher kommen, weil sie zwar nicht Verfolgung, wohl aber Not, Bürgerkrieg, oder latenter Diskriminierung entgehen wollen. Nun aber zeigt Deutschland Humanität - und das ist ja auch klug: Viele, die heute als Flüchtlinge kommen, werden morgen gute Bundesbürger sein. Daran zu denken, ist auch eine Frage des Menschenverstands.

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