Deutsch-türkischer Streit:Lammert weist Erdoğan zurecht, Merkel applaudiert

Der Bundestagspräsident ist über die "hasserfüllten Drohungen" des türkischen Staatschefs infolge der Armenien-Resolution entsetzt - und attackiert im Plenum Ankara scharf.

Von Nico Fried, Berlin

Begleitet vom Beifall von Kanzlerin Angela Merkel hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) türkische Angriffe auf das Parlament wegen der jüngst verabschiedeten Armenien-Resolution zurückgewiesen und Präsident Recep Tayyip Erdoğan scharf kritisiert. "Jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen: Er greift das ganze Parlament an", so der Bundestagspräsident, dessen Erklärung am Donnerstag wiederholt mit Applaus aus allen Fraktionen bedacht wurde. Der Bundestag hatte in einer Resolution die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft.

"Die zum Teil hasserfüllten Drohungen und Schmähungen", sagte Lammert weiter, seien "leider auch durch Äußerungen hochrangiger türkischer Politiker" befördert worden. "Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten." Obwohl Kanzlerin Merkel auf der Regierungsbank saß, von wo aus üblicherweise nicht applaudiert wird, klatschte sie an dieser Stelle. Auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der in der anschließenden Debatte zu einem anderen Thema als erster Redner auftrat, dankte Lammert für dessen "klare Worte". Die Linken-Fraktion zog einen Antrag zurück, über die Drohungen gegen Abgeordnete in einer Aktuellen Stunde zu debattieren.

Erdoğan hatte Abgeordneten mit türkischen Wurzeln wegen ihrer Zustimmung zur Resolution vorgeworfen, sie seien ein Sprachrohr der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Auch diesen Vorwurf wies Lammert zurück. Für den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir hatte Erdoğan noch in einer Rede am Mittwochabend den türkischen Begriff "kani bozuk" verwendet, der sowohl "charakterlos" wie auch "verdorbenes Blut" bedeutet. Erdoğan betonte, er habe diesen Begriff nicht biologisch gemeint. Allerdings hatte er wenige Tage vorher Blutproben der türkisch-deutschen Abgeordneten gefordert, die für die Resolution gestimmt hatten, um ihre Herkunft zu überprüfen.

Lammert dankte ausdrücklich dem Verband der türkischen Gemeinden in Deutschland sowie dem Türkischen Bund Berlin/Brandenburg, die sich von den Angriffen distanziert hatten. Er wünsche sich, so der Bundestagspräsident, dass auch andere türkische Organisationen in Deutschland Partei für die Abgeordneten ergreifen würden, "mit ähnlich klaren und eindeutigen Stellungnahmen, wie sie bei anderen Gelegenheiten häufig sehr schnell und sehr lautstark abgegeben werden".

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, rügte in einem Brief an Erdoğan dessen Vorgehen als "absoluten Tabubruch" und wies die Vorwürfe zurück. "Die Freiheit der Mandatsausübung, insbesondere die Freiheit von jedwedem äußerem Druck, ist einer der entscheidenden Gradmesser für die Qualität einer Demokratie."

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