Deutsch-türkischer Dialog:Reglos auf der roten Linie

Deutsch-türkischer Dialog: Die Außenminister Guido Westerwelle und Ahmet Davutoglu beim deutsch-türkischen Dialog in Berlin.

Die Außenminister Guido Westerwelle und Ahmet Davutoglu beim deutsch-türkischen Dialog in Berlin. 

(Foto: AFP)

Der türkische Außenminister Davutoglu deutet eigene militärische Schritte an, der deutsche Außenminister Westerwelle schaut ernst - und versucht, die Forderungen nach einer Intervention in Syrien abzuwehren. Beim Treffen in Berlin sollten gute Nachrichten produziert werden. Doch in der Syrien-Frage liegen Deutsche und Türken über Kreuz.

Von Daniel Brössler, Berlin

Und wieder ist der Rahmen schön. So wie unlängst, als der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu den engeren Kreis der Freunde der syrischen Opposition geladen hatte. Guido Westerwelle und die anderen Außenminister tagten im geschmackvoll renovierten Adile-Sultan-Palast hoch über dem Bosporus im asiatischen Teil Istanbuls. Diesmal ist Davutoglu in Berlin zu Gast und wird vom Außenminister nicht minder stilvoll empfangen, in der Villa Borsig am Tegeler See.

Verändert haben sich in den drei Wochen seit der ergebnisarmen Istanbuler Konferenz eigentlich nur die Umstände: Sie sind noch hässlicher geworden. Nicht nur wegen des Doppelanschlags in Reyhanli, sondern auch, weil Türken wie Amerikaner kaum noch daran zu zweifeln scheinen, dass das Regime von Baschar al-Assad Chemiewaffen gegen das eigene Volk eingesetzt hat.

Miserable Voraussetzungen

Für das Treffen in der Villa Borsig am Sonntag schafft das ziemlich miserable Voraussetzungen, obwohl es doch eigentlich anberaumt worden war, um gute Nachrichten zu produzieren angesichts des holprigen Starts des NSU-Prozesses und der feststeckenden Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union. Versprochen wurde der "Startschuss für einen neuen strategischen Dialog" beider Außenminister, der die Beziehungen auf eine "neue Ebene heben" soll. Solche Worte aber können das Offenkundige nicht vernebeln: In der Syrien-Frage liegen Deutsche und Türken über Kreuz.

Insbesondere fürchtet die Bundesregierung jene von US-Präsident Barack Obama gezogene "rote Linie", die aus Sicht der Türken durch die Chemiewaffen-Berichte nun überschritten ist. Schon längst ist die Türkei überzeugt, dass die Weltgemeinschaft zu wenig tut, um den leidenden Syrern zu helfen. Mindestens möchte sie "humanitäre Korridore" auf syrischem Territorium schaffen. Das liefe wohl letztlich auf Flugverbotszonen hinaus, die sich nur durch militärisches Eingreifen durchsetzen ließen. Davon aber hält die Bundesregierung bislang ebenso wenig wie von Waffenlieferungen an die Rebellen, obgleich sie intern Wert auf die Feststellung legt, Franzosen und Briten von solchen weder abhalten zu können noch zu wollen.

"Wir haben die Macht dazu"

Besonders heikel ist die Lage aus deutscher Sicht wegen der zwei Patriot-Feuereinheiten der Bundeswehr, die zum Schutz des Nato-Partners vor möglichen Angriffen aus Syrien in der Türkei stationiert wurden. Der Bundestag hatte der Entsendung der Flugabwehrsysteme und von maximal 400 Soldaten unter der Voraussetzung zugestimmt, dass es sich um einen strikt defensiven Einsatz handelt - ein Umstand, an den die Bundesregierung in Gesprächen mit den Türken immer wieder erinnert. Das Thema ist wenige Monate vor der Bundestagswahl von hoher Brisanz.

Schon jetzt verlangt die Linkspartei Konsequenzen. "Wir fordern den sofortigen Abzug der Patriots und aller Bundeswehrsoldaten aus der Konfliktregion", sagte die Vorsitzende Katja Kipping am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. "Die Gewalt-Eskalation ändert die Situation radikal. Deutschland kann über Nacht zur Kriegspartei im Nahen Osten werden. Das ist vom Geist des Mandats nicht gedeckt." Mahnungen der Linken werden weder Westerwelle noch Angela Merkel beeindrucken. Aufmerksam aber dürften Kanzlerin und Außenminister registrieren, ob in anderen Bundestagsparteien das Unbehagen wächst.

"Das ist eine schwere Stunde für die Türkei"

Es gebe durch die Terroranschläge keine neue Lage für die Bundeswehr und die Patriots in der Türkei, sagt Westerwelle am Sonntag. Doch beide Minister sind bemüht, ihre Differenzen nicht öffentlich auszutragen. Während der Pressekonferenz spricht Westerwelle als Erstes sein Mitgefühl aus angesichts der Terroropfer in der Türkei. "Das ist eine schwere Stunde für die Türkei, und Deutschland steht an der Seite der Türkei", sagt Westerwelle. "Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass wir nicht nur mitfühlen, sondern auch mithandeln", fügt er hinzu. Doch es wird nicht klar, wohin diese Entschlossenheit führen könnte. Im Verlauf der Pressekonferenz erläutert der Außenminister, die Bundesregierung werde ihre Schlussfolgerungen erst ziehen, sobald sie über ausreichend Erkenntnisse verfüge - sowohl über den Einsatz von Chemiewaffen als auch über die Urheber des Anschlags in Reyhanli.

Davutoglu hat, wie er einfließen lässt, Informationen mitgebracht nach Berlin. Und er betont, die rote Linie sei längst überschritten - "nicht nur wegen des Einsatzes von Chemiewaffen, sondern auch, weil sich in Syrien Ereignisse wie in Srebrenica wiederholen". Die Welt müsse handeln, appelliert der Türke und bemängelt, dass der UN-Sicherheitsrat keine Haltung beziehe. Die Türkei selbst sei in der Lage, nötige Maßnahmen zu treffen, so deutet er vage eigene militärische Schritte an. "Wir haben die Macht dazu", sagt Davutoglu, während Westerwelle ernst schaut, "und wir haben die Kraft dazu."

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