Deutsch-türkische Kolumne "Die Isartürkin":"Frau Aykanak" oder wie ich Anna Graf wurde

Die Isartürkin

Der Weg zum Wohnungsschlüssel kann für Deutsch-Türken steinig sein.

(Foto: Montage SZ)

Der Name unserer deutsch-türkischen Autorin weckt bei Vermietern schlimme Fantasien. Und die deutschen Behörden machten sie kurzerhand zum Mann. Zweite Folge der Kolumne "Die Isartürkin".

Von Deniz Aykanat

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas gewaltig schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. Unsere Redakteurin Deniz Aykanat, 31, als Tochter einer Deutschen und eines Türken in Bayern geboren, trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut.

Für eine halbe Türkin bin ich viel zu blond. Wenn ich meinen Namen sage, bekomme ich deshalb erst mal Nachfragen: Ines? Dennis? Denise? Briefe vom Amt beginnen mit: Sehr geehrter Herr Denzi Ayzakat, Hallo Herr Dennis Eierkanat oder - wenn ich Glück habe, stimmt zumindest die Anrede - sehr geehrte Frau Aykanak.

Als ich für ein paar Monate in Australien wohnte, verwirrte mein Name meine chinesische Mitbewohnerin so sehr, dass ich entnervt aufgab und ihr anbot, mich einfach Anna zu nennen. So hieß meine Uroma, Anna ist mein zweiter Name. Den konnte ich später noch einmal gut gebrauchen. Mein dritter Name ... ach, lassen wir das, der ist noch schlimmer als Deniz.

So kam es auch, dass ich acht Jahre lang unter einer männlichen Sozialversicherungsnummer registriert war. Wäre es dem Sachbearbeiter bei meiner neuen Krankenkasse nicht aufgefallen, ich wäre wohl immer noch ein Mann. Nun will ich den deutschen Behörden keine spezielle Ignoranz vorwerfen. Auch in der Türkei ist Deniz ein Unisex-Name. Ein rein deutsches Problem ist das also nicht.

Aber da ist noch ein anderes. Und das ist sehr wohl ein deutsches Problem, oder besser ein münchnerisches: Die Wohnungssuche! Die Mieten: steil. Die Bewerberlisten: unendlich. Die ranzigen Küchen, die man zum Wucherpreis ablösen muss: von Ikea. Das Problem haben natürlich alle.

Wenn aber der eigene Nachname Aykanat ist, macht das alles noch schlimmer. Aykanat bedeutet "Flügel des Mondes". Es gibt eigentlich schlimmere Namen. Leberwurst zum Beispiel.

Bei manchen Menschen lässt Aykanat aber offenbar andere Bilder im Kopf entstehen: von Ehrenmorden, Terroristen oder lauten Großfamilien, die ständig kochen. Letzteres ist für Vermieter das schlimmste Szenario. Dabei habe ich die vermutlich kleinste und damit untypischste türkische Familie der Welt. Und selbst die wollte ich nicht einmal mitnehmen in die Ein-Zimmer-Wohnung, die ich suchte.

Das ist einem vorurteilsbehafteten Münchner Vermieter, der die Qual der Wahl hat, aber herzlich wurscht. Der sortiert bei hundert Wohnungsanfragen täglich erst einmal die Ahmets, Ayşes und Wladimirs aus. Und diese komische Denise mit Z eben auch. Und überhaupt, wo gibt's denn bitte Ypsilons in deutschen Nachnamen!?

"Bist du adoptiert? Wirst du braun in der Sonne?"

Bevor ich das erste Mal mit Münchner Vermietern in Kontakt kam, gab es wenige Gründe, mich zu beschweren. In Deutschland glaubt man ja immer noch, dass alle Türken Hakennase, dunkle Haut und Monobraue haben. Ich hingegen - blond, fast durchsichtig, gar keine Augenbrauen - war quasi undercover unterwegs. Den alltäglichen Rassismus konnte ich zwar beobachten, bekam ihn aber nie direkt ab. Hier und da musste ich einer Freundin erklären, dass die bekopftuchte Frau, die ihr gerade mit ihrem Dreier-BMW den Weg abgeschnitten hat, kein "verdammter Mullah" ist, und "Aber du bist ja anders" ein saudummes Argument.

Aber Pseudo-Anerkennung wie "Du sprichst aber gut deutsch" wurde mir nie zuteil. Und der Smalltalk war nie langweilig (Bist du adoptiert? Wirst du braun in der Sonne?).

Und dann das. Auf dem Münchner Wohnungsmarkt begann mein persönlicher Horrortrip mit Migrationshintergrund. Keine Einladungen zu Wohnungsbesichtigungen. Keine Rückrufe. Nie. Nichts.

Ich musste mir etwas einfallen lassen, wenn ich nicht bis zu meinem Lebensende im Kinderzimmer hausen wollte.

Der Mensch hat Vorurteile und er ist tendenziell oberflächlich. Ich baute also darauf, dass eine Halbtürkin, die in der Sonne rot wird wie ein Engländer und zur Begrüßung "Servus" flöten kann, die Bedenken eines Münchner Vermieters schon ausräumen würde. Doch um überhaupt zu einer dieser begehrten Wohnungsbesichtigungen zugelassen zu werden, musste ich mir einen neuen Namen zulegen. Anna Graf war geboren. Der Name meiner Urgroßmutter plus Mädchenname meiner Mutter: anna.graf@gmx.de. Voilà - und nur halb gelogen. Dachte ich.

Jedes Mal aber, wenn ich bei der Besichtigung die Selbstauskunft mit meinem echten Namen darauf übergab, schauten mich die Vermieter und Makler an, als hätte ich ihnen ohne Vorwarnung eine volle Windel in die Hand gedrückt: überrascht und angewidert.

Das war das Ende von Anna Graf.

Ich fand nach Jahren trotzdem eine Wohnung. Die Vormieterin, die die Anzeige aufgab, hatte einen griechischen Namen, die Vermieterin einen polnischen.

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