Deutsch-türkische Kolumne "Die Isartürkin":Die Mär vom Kümmeltürken

Isartürkin

Isartürkin Feuchttücher mit Kümmegeschmack - das wäre doch etwas. (Illustration)

(Foto: SZ)

Türken und dreckig? Unsere Autorin kennt kein Volk, das so reinlich ist. Wenn sie könnten, würden sie sogar Feuchttücher essen. Die elfte Folge der "Isartürkin".

Von Deniz Aykanat

Es gibt dieses Bild vom dreckigen Türken. Vom Türken, der nach Kümmel riecht, den eine Dampfwolke aus Knoblauch umgibt, der mit Vorliebe Unbekömmliches wie Schafsinnereien isst. Von den Türkinnen, die unter ihrem engen Kopftuch bestimmt schwitzen und müffeln. Die türkischen Familien, die gerne mit Aldi-Tüten verreisen, in denen sie bestimmt lauter Unrat herumschleppen. Und dann das ganze Essen, immer riecht es bei denen überall nach Essen!

Ich weiß nicht, woher das kommt. Denn ich kenne kein Volk, das so viel Zeit mit Putzen beschäftigt ist wie die Türken. Sie putzen ununterbrochen: sich selber, die Wohnung, das Auto. Türken putzen sogar den Staub.

Isst man an einem Kebab-Stand in der Türkei, bekommt man kein Leitungswasser hingestellt, sondern einzeln luftdicht abgepackte Wasserportiönchen im Becher. Setzt man sich in einen Überlandbus, geht nach fünf Sekunden der Busfahrer mit Kölnisch Wasser durch die Reihen und tauft damit alle Fahrgäste großzügig. Vorher gibt es keine Nüsse! Das Wort "Islak mendil" ist das meistbenutzte auf jedem türkischen Ausflug oder Picknick. Es bedeutet: Feuchttücher. Wenn sie bekömmlich und schmackhaft wären, würden Türken Feuchttücher auch essen.

Mit Straßenschuhen in der Wohnung? In der Türkei eine Todsünde

Im Hochsommer kann man den Gipfel der Sauberkeit beobachten. Türken schrubben den Asphalt vor ihren Läden und Restaurants, damit sich der aufgewirbelte Staub dort nicht auf die parkenden Autos legt.

Apropos Staub: Als ich in Istanbul studierte, hatte ich das große Glück, ein kleines Zimmer mit Balkon bewohnen zu dürfen. Mein Glück hielt jeden Tag bis Schlag 9.30 Uhr an. Dann schüttelte und klopfte meine türkische Nachbarin von oben stundenlang alle Teppiche ihres Haushalts gründlich aus. Jeden Tag machte der Staub meinen Morgen zur Nacht, es war wie im Film "Independence Day", wenn der Himmel sich plötzlich vor lauter Ufos verdunkelt. Mein persönliches Staub-Armageddon gipfelte darin, dass der flatternde Teppich in hohem Bogen mein Teeglas, das ich mal wieder draußen vergessen hatte, über die Brüstung schleuderte.

Zu meiner Schande musste ich nach paar Wochen, in der ich meiner Nachbarin den Tod durch Asthma gewünscht hatte, feststellen, dass der ganze Staub nicht von ihren Teppichen kam. Nein, die klopfte sie ja täglich aus. Es handelte sich einfach nur um den aufgewirbelten Dreck meines eigenen Balkons.

Fehlte es mir jetzt an typisch deutscher oder typisch türkischer Reinlichkeit? Um meinen Identitätskonflikt zu kompensieren, stauchte ich meine französischen und holländischen Mitbewohnerinnen zusammen, die immer mit Straßenschuhen die Wohnung betraten. In Deutschland ein Unding, in der Türkei eine Todsünde. Sollten die doch selber entscheiden, ob da die Türkin oder die Deutsche aus mir spricht.

Während meines Studiums in Istanbul bekam ich oft Besuch aus Deutschland. Meine Freundinnen fragten mich, ob sie das Kopftuch denn schon im Flugzeug aufziehen müssten. Nein, das ist nicht Iran. Auch unter Erdoğan nicht. Oder sie wollten wissen, ob es in Istanbul zugehe wie in Kairo. Nein, weil ... ist ja Istanbul.

Nach derlei Startschwierigkeiten überwog dann aber auch bei meinen Besucherinnen der Drang, vollends in die türkische Kultur einzutauchen. Und dazu gehört dem Klischee nach auch ein Besuch im Hammam. Wie ich schon sagte: Die Türken sind besessen von Sauberkeit - angefangen bei den eigenen Achselhöhlen.

Im Hammam warteten Hatice und Nilüfer mit einer Extra-Behandlung

Meinen Freundinnen wollte ich natürlich einiges bieten und so verfrachtete ich sie ins total authentische Hammam in meiner Straße, wo nur die Einheimischen hingehen. Oder niemand. Weil die Hammam-Kultur in Istanbul eigentlich längst ausgestorben ist. Jedenfalls waren nur meine Freundinnen und ich da, dafür bekamen wir dann offenbar eine Extra-Behandlung. Verabreicht von Hatice und Nilüfer, zwei kräftigen Mittvierzigerinnen in schwarzer Baumwollunterwäsche.

Auf der beheizten Marmorplatte - die in meinem Freundeskreis nur noch die "Schlachtplatte" genannt wird - wurden wir mit einem Hektoliter Seifenwasser übergossen und anschließend von Nilüfer mit einem groben Seidenhandschuh, der an feinkörniges Schmirgelpapier aus dem Baumarkt erinnerte, abgerubbelt, bis wir rosig wie Spanferkel waren.

Auftritt Hatice, die Unbarmherzige: Mit einem beherzten Schubser ließ sie mich über die klatschnasse Marmorplatte schlittern und hielt mich, kurz bevor ich am anderen Ende auf den Fliesenboden knallte, am großen Zeh fest.

Währenddessen wusch Nilüfer meiner Freundin die Haare. Sechs Mal hintereinander. Mit Kernseife. Meine Freundin hatte ein paar Tage vorher viel Geld in neue Strähnchen investiert. Mit einer Mischung aus Hass und unendlicher Traurigkeit blickte sie zu mir herüber. Ich glaube, ein Teil ihrer freundschaftlichen Gefühle mir gegenüber hat sich an diesem Nachmittag unwiderruflich im Wasserdampf aufgelöst.

Allerdings: Sollte sich meine Freundin zuvor aber irgendwie mit Kümmel in dieser von Kümmeltürken bewohnten Großstadt besudelt haben, dann war nach dem Hammam-Besuch auch der letzte Geruchspartikel verflogen. Wir rochen danach wie frisch gechlortes Schwimmbad.

Das mit dem Kümmel verstehe ich sowieso nicht. In der türkischen Küche kommt er praktisch nicht vor. In der bayerischen hingegen schon! Im Obazdn, im Schweinebraten, im Kartoffelsalat. Man muss das köstliche aber schwere Zeug ja irgendwie bekömmlich machen.

Wenn überhaupt Kümmeltürke, dann doch wohl Kreuzkümmeltürke!

Übrigens: Schafsinnereien sind wirklich unbekömmlich. Verdammt unbekömmlich sogar, wenn man sie nicht gewohnt ist. Vielleicht sollte man mal ein bisschen bayerischen Kümmel drüber streuen.

Kolumne "Die Isartürkin"

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas gewaltig schief. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat, 34, trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Hier schreibt sie regelmäßig über ihr Leben zwischen Bayern und Bosporus. Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.

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