Deutsch-Türken:Wie sich Deutschland gegen Erdoğans Wahlkampfoffensiven wehren kann

Demo von Erdogan-Anhängern in Köln

Szene am Rand der Erdoğan-Großkundgebung in Köln im vergangenen Jahr

(Foto: picture alliance / dpa)

Sich dem deutschen Grundgesetz verpflichtet fühlen und trotzdem für den Möchtegern-Sultan in der Türkei stimmen? Der Doppelpass gehört reformiert.

Kommentar von Tomas Avenarius

Vor einiger Zeit wiegelte Moskaus Außenminister die russische Gemeinde in Deutschland auf. Ein russischstämmiges Mädchen sei entführt und vielfach vergewaltigt worden, in Berlin, von muslimischen Migranten. Gestimmt hat an der Geschichte von "unserem Mädchen Lisa" nichts, funktioniert hat sie dennoch: Die Beschützerrhetorik war Ausdruck einer Art Flecktarn-Außenpolitik, mit den in Deutschland lebenden Russen als dienstbaren und ahnungslosen Statisten: Sie demonstrierten, klagten an. Das Klima war vergiftet, Wladimir Putin hatte seinen Punkt gemacht.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan handelt ähnlich. Nur fehlt es da an Raffinesse. Das Referendum, mit dem er seine Herrschermacht ausbauen will, wird kein Durchmarsch, Erdoğan braucht jede Stimme, sogar die der Deutsch-Türken oder die der in den Niederlanden lebenden Landsleute. Also schickt er sein Kabinett auf Wahlkampftour nach Europa, polemisiert, bezichtigt ausgerechnet die deutsche sowie die niederländische Regierung, Nazi-Methoden anzuwenden.

Erdoğans Kampagne lehrt: Der Doppelpass gehört reformiert

Das politische Klima in Europa, lange Zeit Ort biedermeierhafter Friedfertigkeit, ändert sich. In Russland und der Türkei regieren Politiker, die garantiert keine lupenreinen Demokraten sind; in Europa gewinnen Krawall-Populisten an Boden. Der Kurswert eines zivilisierten politischen Umgangs sinkt. Lautstärke gilt schon als Rhetorik, Troll-Kriege und Fake News werden zu Staatskunst.

In diesem Umfeld wird in Deutschland auch der Ruf nach einer Abkehr von der doppelten Staatsbürgerschaft laut. Dass Hallen voller angeblich integrierter türkischer Mitbürger in Hamburg oder Köln dem Möchtegern-Sultan in Ankara zujubeln, ist befremdlich. Da stehen Bürger, von denen viele dank Doppelpass das Wahlrecht in der deutschen Parlamentsdemokratie haben, und sie unterstützen einen Mann, der das türkische Parlament zur reinen Zustimmungsmaschine degradieren will.

Als Bürger, die zumindest ideell dem Grundgesetz mit seinem unwiderruflichen Verbot der Todesstrafe und der Garantie der Pressefreiheit verpflichtet sein sollten, applaudieren sie einem, der indirekt, aber unmissverständlich den Galgen für die Putschisten vom Juli 2016 fordert; einem Mann, der Armee und Staatsdienerschaft "säubert", die Pressefreiheit stranguliert, ausländische Korrespondenten wegsperrt und Imame in Deutschland als IMs einsetzt.

Der Doppelpass, der nicht wirklich weit verbreitet ist, bei dem die Türken nicht die größte Gruppe stellen und der von ihnen immer weniger nachgefragt wird, hat zumindest als Instrument der Integration nur bedingt gewirkt; das geben selbst Befürworter zu. Die Probleme mit Parallelgesellschaften sind jenseits der Integration vieler türkischstämmiger Menschen in Deutschland die alten geblieben.

Eher scheint der Ausweis gut für anderes zu sein: Er verschafft Visafreiheit in der EU, macht Geschäftsleuten und Touristen das Leben leichter, ohne sie auf Grundsätzliches zu verpflichten. Doch bei der Staatsangehörigkeit geht es eben auch um Staatsbürgerschaft - Betonung auf Bürger. Das sollte selbstverständlich sein, obwohl selbst viele Deutsche dies nicht sehen. Ohne Identität als Bürger, der Bürgerrechte hat und Bürgerpflichten erfüllt, ist Integration undenkbar.

Einige Deutschtürken wählen hier CDU oder SPD - und in der Türkei Erdoğan

Aber auf die Werte des Grundgesetzes lassen sich viele der Nutznießer nur schwer verpflichten - andernfalls jubelten kaum so viele Deutsch-Türken bei den Erdoğan-Werbeveranstaltungen. Die Migranten-Mitbürger jedenfalls, die früher innerlich zerrissen waren, weil sie sich zwischen alter und neuer Heimat, zwischen deutscher Zukunft und türkischen Wurzeln entscheiden mussten, bringen heute das Kunststück zustande, hier SPD oder CDU und dort Erdoğan zu wählen. Was ihnen möglicherweise deshalb leichtfällt, weil sie die Repressionen in der Türkei ja nicht erdulden müssen.

Jetzt wird der Doppelpass noch zum Hebel für Staatsführer, die es mit der Bundesrepublik und der EU nicht gut meinen. Abschaffen muss man ihn deshalb nicht. Aber muss die doppelte Staatsbürgerschaft zwingend ein doppeltes Wahlrecht enthalten? Das Wahlrecht könnte an den Aufenthaltsort gekoppelt werden: Der Bürger wählt da, wo er seinen Lebensmittelpunkt hat, in der Bundesrepublik.

Sollte er trotzdem auch in der Türkei wählen, sollten die Behörden den deutschen Pass infrage stellen dürfen. Ja, das ist schwer zu kontrollieren. Aber so könnte sich Berlin künftig Erdoğans Wahlkampfoffensiven erwehren. Und den Deutsch-Türken bliebe es erspart, sich immer wieder neu zwischen zwei unterschiedlichen politischen Modellen entscheiden zu müssen.

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