Muslimische Bewegung:Was die Gülen-Bewegung in Deutschland zum perfekten Sündenbock macht

Muslimische Bewegung: Eine Kindertagesstätte wie jede andere - stünde da nicht der Hinweis auf der Homepage, man habe keinen Putsch angezettelt.

Eine Kindertagesstätte wie jede andere - stünde da nicht der Hinweis auf der Homepage, man habe keinen Putsch angezettelt.

(Foto: oh)

Die in der Türkei verfolgte Gülen-Bewegung hat auch in Deutschland Tausende Anhänger. Diese betreiben Schulen und Kindergärten - und leben nun in Angst.

Report von Deniz Aykanat und Bernd Kastner

Auf oder zu? Jeder Stuhl in dem kleinen Raum ist besetzt, es ist stickig. Öffnet man die Fenster, dröhnt Straßenlärm herein, schließt man sie, bleibt einem die Luft weg. Die Fenster-Frage ist symbolhaft für dieses Krisentreffen bei Idizem. Das "Interkulturelle Dialogzentrum München" ist Teil der Gülen-Bewegung, die der türkische Präsident Erdoğan für den Putschversuch verantwortlich macht. Zwei Dutzend Türken, Deutschtürken und Deutsche sitzen im Seminarraum, in dem sonst Nachhilfe gegeben wird. Was tun? Zumachen und hoffen, dass bald alles besser wird - oder aufmachen und die deutsche Öffentlichkeit aktiv ansprechen?

Was Einrichtungen und Menschen in Deutschland widerfährt, die der Gülen-Bewegung angehören, fasst der Idizem-Vorsitzende Mehmed Celik zusammen. Scheppach, bayerisch-schwäbische Provinz: Totenkopf auf eine Schulgarage gesprüht. Gersthofen: Mehrere Fensterscheiben eines Kindergartens eingeworfen. Würzburg: "Testet nicht die Geduld der Türken" auf eine Schulfassade geschmiert. Im Internet hat einer geschrieben: "Diese Menschen hätte man im Osmanischen Reich geköpft. Heute sollte man sie hängen."

Der Konflikt spaltet Familien

Hier die Gülen-Anhänger, dort die von Erdoğans Partei AKP. "Ich habe Angst", sagt ein Mann, der vor Jahren ein Mädchen-Internat mit aufgebaut hat. Einer in der Runde erzählt von seiner Ehefrau, die er nicht mehr allein zu ihrem Vater lasse, aus Sorge, es könnte was passieren. Der Konflikt spaltet Familien, er belastet das Leben der türkischen Community schwer. Außerhalb aber nimmt kaum jemand Notiz.

Hizmet ist der offizielle Name der muslimischen Bewegung, die auf den Imam Fethullah Gülen zurückgeht; er ist Mitte 70 und lebt in den USA. "Dienst" heißt Hizmet übersetzt. Die Bewegung ist weltweit aktiv, charakteristisch ist ihre dezentrale Netzwerkstruktur, in der laut eigener Darstellung in Deutschland 150 000 Menschen in Hunderten Einrichtungen miteinander verbunden sind: Etwa 30 Schulen, 160 Nachhilfeeinrichtungen, einige Kindergärten, ein Dutzend Dialogvereine, dazu Wirtschaftsverbände und Medienhäuser gehören zur Bewegung und zahlreiche Studenten-WGs, genannt "Lichthäuser".

Informell an der Spitze steht seit 2014 eine Stiftung, die im Namen die Ziele der Bewegung trägt: "Dialog und Bildung". Hizmet propagiert den Austausch mit anderen Religionen und Kulturen und fördert Bildung. Die Bildungsstätten genießen einen guten Ruf. Deutsch ist Unterrichtssprache, viele Schulen bieten Ethik statt Religionsunterricht an, es finden Mathe-Wettbewerbe statt und Sprach-Olympiaden.

Fensterscheiben eines Kindergartens wurden eingeworfen

Zu Besuch in Augsburg, in der "Kinderwelt". Am Eingang der Kita klebt das bayerische Wappen mit den zwei Löwen: "Gefördert durch den Freistaat Bayern". Drin hängt der Regenmantel von Jonas neben dem von Abdullah und Max, an den Wänden kleben Schmetterlinge und Länderflaggen, sie sind übrig geblieben von der EM. Die Kinderwelt hat einen 500 Quadratmeter großen Garten und einen Sandkasten auf dem Dach. "So was gibt es außer bei uns nur im Kindergarten des Bundestages", sagt Mustafa Güngör stolz, er ist der Vorstand des Kita-Trägers, dem "Frohsinn Bildungszentrum".

Die Kita wirkt wie viele andere, wäre da nicht Güngörs Erklärung auf der Frohsinn-Homepage: "An alle Erdoğan-Anhänger in Augsburg und Umgebung: Ich habe den Putsch nicht angezettelt. Unser Verein hat ihn nicht angezettelt. Falls ihr das aber trotzdem glaubt, dann macht es wie wirkliche Demokraten und geht den Rechtsweg. Aber lasst die Einrichtungen in Frieden!" Die Kinderwelt blieb von Übergriffen bisher verschont, nicht aber andere Einrichtungen von Frohsinn. Auch Güngör selbst wurde auf Facebook beleidigt und mit dem Tod bedroht. Es kursieren Listen mit angeblichen Gülen-Restaurants oder -Läden, die man boykottieren solle.

"Gülen ist lediglich für mich persönlich eine Motivation, etwas für die Gemeinschaft zu tun", sagt Güngör und betont, dass es keine Gülen-Pädagogik gebe. Der islamische Prediger spiele im Kita-Alltag keine Rolle, man richte sich nach dem bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan. Schulen und Kindergärten wie die von Güngör werden oft als "Gülen-Einrichtungen" oder türkische Kindergärten tituliert. "Dabei sind nur 20 von unseren 174 Kindern türkeistämmig." Güngör beklagt weit verbreitete Vorurteile: "Wenn jemand eine Kita aufmacht, sagen alle: super! Wenn ein Türke eine Kita aufmacht, heißt es: oh oh!"

"Sich nicht als religiös zu präsentieren, ist das Erfolgsgeheimnis"

Hizmet ist eine muslimische Bewegung, und genau da setzen die Kritiker an, Friedmann Eißler zum Beispiel, Pfarrer und Islam-Spezialist der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Er kritisiert nicht, dass Hizmet einen sunnitischen, aus seiner Sicht streng konservativen Islam propagiere, das sei ihr gutes Recht. Was ihn stört, sei die "Diskrepanz", die er zwischen der Außendarstellung und dem, was tatsächlich im Gülen-Netzwerk passiere, wahrnehme: "Es steht nicht drauf, was drin ist." Manches habe sich in den letzten Jahren zwar verbessert, inzwischen gäben die meisten Einrichtungen offen zu erkennen, dass sie Teil von Hizmet sind. Eißler aber mahnt mehr inhaltliche Transparenz an: Noch immer werde nicht offen kommuniziert, welche Ziele Hizmet verfolge.

Kristina Dohrn, Ethnologin an der Freien Universität Berlin, forscht seit gut zehn Jahren zu Hizmet und erklärt die Vorbehalte so: "In Deutschland herrscht eine islamfeindliche Stimmung. Alles, was Türken in Deutschland machen, wird erst einmal kritisch beäugt." Die Gülen-Bewegung habe sich in Deutschland auf Ebenen etabliert, die ein explizit islamischer Akteur nie erreicht hätte. "Sich nicht als religiös zu präsentieren, ist das Erfolgsgeheimnis der Bewegung in Deutschland", sagt Dohrn. Hizmet wolle ganz klar den Islam stärker etablieren in Deutschland. "Aber eben nicht für alle. Es geht nicht ums Missionieren."

Verfolgt die Bewegung eine versteckte Agenda? Propagiert sie unter dem Deckmantel eines "sanften Islam" in Wirklichkeit eine sehr konservative Religion? "Man kommt der Bewegung nicht über die Theologie näher", sagt Dohrn. Der Islam, den die Gülen-Leute lebten, sei "Mainstream-Islam", mit dem gängigen Bild einer Sekte sei die Bewegung nicht zu vergleichen. Nie habe sie beobachtet, dass Menschen, die Hizmet in Deutschland den Rücken kehrten, bedroht würden. Und sie ist sicher, dass in Schulen und Kindergärten, deren Führungspersonal Hizmet angehört, Kinder nicht zum Islam bekehrt würden. Es gebe "verschiedene Kreise" innerhalb der Bewegung. "Einen engeren Kreis, der sich stark engagiert. Andere wiederum finden einfach gut, was Gülen predigt oder spenden ab und zu mal was."

Strenggläubige und liberale Muslime finden in der Bewegung eine Heimat. In den Dialog-Zentren arbeiten Aleviten neben Kurden, Kopftuch tragende Frauen haben deutsche Kolleginnen. Aus dieser Vielfalt, so sieht es Ercan Karakoyun, der Chef der Stiftung Dialog und Bildung, werde ihnen nun ein Strick gedreht: "Jeder passt hier rein, das macht uns zum perfekten Sündenbock." Über der Bewegung liege ein Nebelschleier. "Aber nicht, weil wir etwas verbergen wollen, sondern weil wir durch unsere Vielfalt schwer zu definieren sind."

Verdächtigungen von türkischen Freunden: "Das schmerzt"

Die Krisensitzung von Idizem in München zieht sich. Von den fünf muslimischen Frauen tragen vier ein Kopftuch, eine von ihnen beschreibt den "psychischen Druck", den sie spüre, sie leide unter Schlafstörungen. Dass sogar türkische Freunde sie verdächtigen, mit den Putschisten zu sympathisieren, mache sie fassungslos. "Das schmerzt." Die Frau ohne Kopftuch erzählt, dass sie in einer Hizmet-WG wohne. Vor Kurzem sei der Vater einer Mitbewohnerin in die Wohnung gekommen, entsetzt angesichts der Putsch-Vorwürfe, und habe seine Tochter nach Hause geholt. Bloß nichts zu tun haben mit Hizmet!

Einige in der Runde fühlen sich diffamiert, ja, verfolgt, und das mitten in Deutschland. "Da muss was dagegen getan werden, Himmel noch mal!", ruft ein Mann, ein Deutscher, und regt an, den Hizmet-Leuten eine katholische Kirche zum Beten zu öffnen. "Was sollen wir tun?", fragt sein Gegenüber, ein anderer schließt zum x-ten Mal ein Fenster. Der Vorsitzende des Idizem-Beirats, ein bayerischer Geschichts-Professor, will sich aktiv an die Öffentlichkeit wenden, mit einer Pressemitteilung, vielleicht auch mit einer Pressekonferenz. Wie man so was mache, fragt einer. So gut sie im Netzwerken sind bei Hizmet, so unerfahren wirken sie, wenn es um Öffentlichkeitsarbeit geht. Auf oder zu?

Zweieinhalb Stunden sind vergangen, es scheint alles gesagt zu sein, da meldet sich eine junge Frau mit blauem Kopftuch zu Wort. Dieser Abend habe ihr sehr gutgetan, weil sie auch mit Deutschen habe reden können. "Es spendet Trost, dass Sie unsere Freunde sind."

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