Deutsch-russische Diskussion über Ukraine-Krise:Beim Barte der Conchita

Wladimir Jakunin beim Deutsch-Russischen Forum

Putin-Vertrauter im Dialog: Wladimir Jakunin beim Deutsch-Russischen Forum in Berlin

(Foto: dpa)

Er gilt als Feind der USA und als einer der mächtigsten Männer in Russland. Der Putin-Vertraute Wladimir Jakunin streitet in Berlin mit dem SPD-Mann Matthias Platzeck über die Ukraine, einen "vulgären Ethnofaschismus" und den Bart von Conchita Wurst.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Wladimir Jakunin hebt die rechte Hand, streckt den Zeigefinger aus und tippt sich mit der Spitze des Fingers an die Schläfe. Es ist das international anerkannte Zeichen für "Vogel zeigen". Jakunin ist einer der mächtigsten Männer Russlands, Chef der staatlichen Eisenbahngesellschaft, seit bald 20 Jahren enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sein Name steht seit Kurzem auf der US-amerikanischen Sanktionsliste.

Jetzt sitzt er auf einem Podium in Berlin, in einem Hotel mitten in der Bundeshauptstadt. Eingeladen haben das Deutsch-Russische Forum und das World Public Forum "Dialogue of Civilisations", dessen Präsident Jakunin ist.

Der österreichische Europakenner Walter Schwimmer hat Jakunin gerade darauf aufmerksam gemacht, dass Conchita Wurst, Gewinnerin des Eurovision Song Contest, auch aus Russland fünf Punkte bekommen hat.

Jakunin gefällt das nicht. Der Vogel ist sein Kommentar dazu. In Russland gebe es offenbar Menschen "mit abnormaler Psychologie", erklärt er später.

"Es gibt eine 'antirussische Hysterie'"

Die Ukraine befindet sich am Rande eines Bürgerkrieges. Die Beziehungen Russlands mit der Welt sind auf einem Tiefpunkt. Und Jakunin spricht über die "bärtige Frau" aus Österreich.

Es werde schon gerufen "Männer rasiert euch, seid keine Weiber", empört sich Jakunin. Wer dieser Frau nicht applaudiere, werde im Westen als "Undemokrat" bezeichnet. Er kommt umgehend auf das umstrittene Gesetz zu sprechen, das in Russland öffentliche Propaganda für Homosexualität verbietet. Kinder zwischen 14 und 16 Jahren seien sexuell noch nicht orientiert, sagt Jakunin, der Eisenbahnboss. Das sei medizinisch erwiesen. Diese Kinder würden von dem Gesetz geschützt. Einige im Saal schütteln den Kopf.

Im Westen gibt es viel Kritik an dem Gesetz. Jakunin findet, da stecke mehr dahinter. "Ein vulgärer Ethnofaschismus ist wieder Bestandteil unseres Lebens geworden", sagt er. Es gebe geradezu eine "antirussische Hysterie". Die antike Definition von Demokratie habe "nichts mit bärtigen Frauen zu tun, sondern damit, dass Demokratie die Herrschaft des Volkes ist".

Nach dem Treffen scheinen die Gräben tiefer als zuvor

Rechts neben Jakunin sinkt Matthias Platzeck etwas tiefer in seinen Stuhl. Der SPD-Politiker und frühere Ministerpräsident von Brandenburg ist seit Kurzem Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Diese Veranstaltung soll dazu dienen, das gegenseitige Verständnis zu mehren. Das Forum ist Russland gegenüber naturgemäß wohlwollend eingestellt. Nach dem Treffen aber scheinen die Gräben tiefer als zuvor zu sein. Vielleicht ahnt Platzeck in diesem Augenblick, dass es mit der angeblichen Wertegemeinschaft zwischen Russland und Europa an manchen Stellen doch nicht so weit her ist.

Ein "bisserl sauer" sei er, sagt Platzeck. Es gehöre zu den "Urrechten eines Menschen", dass er leben könne, wie und mit wem er will. Das neue russische Gesetz verbiete Homosexualität nicht, schaffe aber eine Grundstimmung der Angst. "Bei aller Zuneigung zu Russland, das nagt an den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens."

Platzeck bemüht sich redlich, nicht zu scharf zu klingen. Er will den russischen Gast nicht verschrecken. Er will auch gar nicht allzu lange darüber streiten, wer nun die Hauptschuld an der Ukraine-Krise trägt. Platzeck rät dazu, jetzt erst einmal "einen Cut zu machen". Die Aufarbeitung der Schuldfrage könne später erfolgen.

Eines nimmt er aber aus. Bevor ein runder Tisch in der Ukraine Erfolg haben könne, wie er jetzt in der Diskussion ist, müsse geklärt werden, wer für die Toten vom Maidan, in Odessa und in der Ostukraine verantwortlich sei, betont Platzeck. Ohne diese Aufklärung könnten die Wunden nicht heilen. Erst dann sei es möglich, "dass wir uns neu vereinbaren". Es müsse Grundregeln geben, "die wir einzuhalten haben. Alle, auf allen Ebenen."

Platzeck beklagt die "Larmoyanz" des Russen

Es gehe ihm nicht um Romantik, sagt Platzeck. Die sei ihm abhanden gekommen in den vergangenen 25 Jahren nach der Wende. In der Politik gehe es "immer und ausschließlich um Interessen und nicht darum, ob jemand gut oder böse ist". Aber diese Interessen bräuchten Regeln.

Von den Sätzen zur Homosexualität abgesehen stimmt Jakunin zu. Er könne das alles unterschreiben, sagt er. Beginnt dann aber mit einer Litanei auf den Westen. Der ließe sich von den USA bereitwillig einen "Informationsbrei" in den Mund schieben. "Das Wohlergehen der EU hängt davon ab, ob jemand nach der Pfeife der USA tanzt", stellt er fest.

Jakunin will über Gerechtigkeit reden. Und macht klar, dass auch er persönlich sich ungerecht behandelt fühlt. Er sei in den USA als "enemy of the state" eingestuft worden, als Staatsfeind. Sein Name steht auf der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten. Das sei absurd. Er habe gar kein Vermögen im Ausland.

Außerdem: Niemand in Russland habe sich vorstellen können, dass es im ukrainischen "Brudervolk" zu so viel Blutvergießen kommen könne. "Ungebildete Menschen sind der Ansicht, Russland und die Ukraine seien wie verschiedene Nationen." Das stimme nicht: Beide Länder seien wie "ein Organismus, eine zivilisatorische Familie".

Platzeck wünscht sich "Mindestsensibilität"

Stattdessen folge der Westen allein den USA. Auch im Völkerercht. Es fuße heute auf der "betrügerischen Veränderung der Grundlagen des Rechts durch eine ganz besondere Großmacht, die so ihre Interessen durchzusetzen will", sagt er. Seine Schlussfolgerung: Derzeit werde das Schöne hässlich gemacht und das Hässliche schön.

Platzeck bittet darum, dass beide Seiten doch bitte eine "Mindestsensibilität" für die gegenseitigen Interessen aufbringen sollten. Er würde sich freuen, wenn auch Russland anfangen würde, eigene Fehler klar zu benennen. Deutschland und die EU machten das bereits.

Platzeck zählt auf: Gegenüber der Ukraine habe die EU zu sehr auf ein Entweder/Oder gepocht, entweder EU oder Russland. Nach der Wende hätten sich zu wenig Menschen für Russland interessiert. Oft sei Russland übergangen worden. Jetzt würde er sich auch "ein bisschen mehr Selbstkritik" auf russischer Seite wünschen. Damit nicht weiter aneinander vorbeigehandelt und geredet werde. Welche Fehler also hat Russland aus Jakunins Sicht gemacht?

Jakunin lenkt ab. Ein Fehler vieler vor allem junger Russen sei der Glaube gewesen, der Westen werde sie als gleichwertig anerkennen. Jetzt aber merken sie: "Sie sind nicht akzeptiert von der Welt."

Und das Völkerecht und die Krim, wie passt das zusammen? Jakunin lässt das nicht an sich heran. Er zählt einfach die Völkerrechtsverletzungen anderer Länder der vergangenen Jahrzehnte auf.

Platzeck gefällt das nicht. Er wird jetzt sehr deutlich. Mit dieser "Larmoyanz" sei er nicht einverstanden. Nur weil andere dreimal geklaut hätten, sei es nicht in Ordnung selbst einmal zu klauen.

Jakunin scheint für einen kurzen Moment verstanden zu haben. Er gesteht plötzlich zu, die Krim zu annektieren, sei "eine Verletzung der existierenden Regeln und des Völkerrechtes" gewesen. Dann ist der Moment vorbei. 98 Prozent der Krim-Bewohner hätten für den Anschluss an Russland gestimmt. Das dürfe nicht vergessen werden. Und es solle bitte keiner glauben, mit dem Referendum sei irgendetwas nicht in Ordnung gewesen.

Platzeck wird es weiter versuchen. Reden sei besser als jeder Tote, sagt er. Die Frage ist wohl, ob das die Russen am Ende auch so sehen.

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