Deutsch-russische Beziehungen:Berlin und Moskau im Netz der Geschichte

Angela Merkel visits Moscow

Angela Merkel bei einem Treffen mit Wladimir Putin im Kreml im Mai 2015.

(Foto: dpa)

Trotz allen Ballasts pflegen Deutschland und Russland ein gutes Verhältnis. Jetzt aber wird der historische Patriotismus von Moskau missbraucht.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Es ist der Tag, an dem Russen Kerzen in ihre Fenster stellen, Kränze und Blumengestecke niederlegen und noch immer fassungslos an einen Feldzug erinnern, der die Geschichte in Europa verändert hat.

Der Überfall der Nazis auf die Sowjetunion vor 75 Jahren hat schwere Schuld auf Deutschland geladen. So immens war das Wüten, so grausam der Krieg, so hoch die Zahl der Opfer auf sowjetischer Seite, dass es fast wie ein Wunder wirkt, wie Täter- und Opferland überhaupt einander wieder näher kamen.

Es hat, trotz allem, in den vergangenen Jahrzehnten kaum ein anderes Land in Europa gegeben, das in Russland derart wertgeschätzt worden ist wie Deutschland. Und erstaunlich: Trotz der jüngsten Kalamitäten funktioniert ausgerechnet die Zusammenarbeit bei der Suche nach deutschen Kriegsgräbern besonders geräuschlos. Das ist eine wertvolle Errungenschaft. Aber das komplizierte Beziehungsgeflecht besteht aus einer Vielzahl von Fäden.

Primat der Politik und das Drängen der Wirtschaft

Selten war das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen, Deutschland eingeschlossen, so schlecht und angespannt wie derzeit. Ob der 75. Jahrestag dabei nun eine Rolle spielt oder nicht: Die SPD sieht offenbar die Zeit für eine Revision gekommen.

Außenminister Steinmeiers Säbelrassel-Mahnung an die Nato, deren Teil Deutschland ja ist, und die geplante Moskau-Reise von Sigmar Gabriel deuten jedenfalls eine Wende an, auf die viele Europäer nur warten.

Schon jetzt hat sich gezeigt, dass die Phalanx der Sanktionsbefürworter in der Europäischen Union schwerer zu halten ist. Früher oder später werden diese Sanktionen fallen, aber sie fallen nicht, weil Russland die Bedingungen erfüllt, welche die EU an die Aufhebung geknüpft hat. Sondern weil der Gedanke an Kraft gewinnt, dass Russland seinen Kurs in der Ukraine ohnehin nicht ändert, die Unterstützung der Separatisten stoppt und der ukrainischen Regierung zur Kontrolle der Grenzen verhilft.

Vielleicht tritt also eine Besserung ein, so die Hoffnung, wenn man wieder ins Geschäft kommt. So wird der Primat der Politik dem Drängen der Wirtschaft unterliegen.

Selbst dann aber dürfte sich das trübe Verhältnis zwischen Russland und dem Westen so schnell kaum ändern. Auch dabei spielt Geschichte eine Rolle. Russland ist nach dem Kollaps des Imperiums zum Rechtsnachfolger der Sowjetunion geworden, übernahm das Vetorecht bei den Vereinten Nationen, aber unter Wladimir Putin hat es auch das Selbstverständnis einer Großmacht wieder entwickelt.

Der Große Vaterländische Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in Russland heißt, ist seit jeher eine politische und gesellschaftliche Klammer gewesen, die Generationen miteinander verbindet, zelebriert vor allem am 9. Mai, dem Tag des Sieges. Doch der historische Patriotismus hat sich verändert. Er ist längst auch zum Instrument der täglichen Politik geworden, das Staat, Gesellschaft, Kirche und Wirtschaft zusammenfügen soll.

Besonders deutlich wurde dies, als Putins Vertrauter und langjähriger Finanzminister Alexej Kudrin dem Kremlchef empfahl, mit Blick auf die wirtschaftlichen Probleme die geopolitischen Spannungen zu senken. Putin antwortete, dass Russland eine tausend Jahre lange Geschichte vorweise und nun nicht anfangen werde, über seine Souveränität zu verhandeln.

Aus diesen Worten spricht ein großer Wunsch nach Kompromisslosigkeit, der sich auch in der Unbeweglichkeit bei der Umsetzung der Ukraine-Vereinbarung zeigt. Denn was dafür zu tun wäre, weiß Moskau ganz genau.

Der Druck auf Russland, seinen außenpolitischen Kurs zu ändern, ist derzeit sogar deutlich geringer, als viele Europäer wahrhaben wollen - trotz der dauerhaften Wirtschaftsflaute im Land des Gases und des Öls. Denn mit einem schlechten Verhältnis zum Westen lebt die russische Führung im Moment recht gut.

Es erlaubt ihr, die Nato als aggressives, nimmersattes Militärbündnis zu präsentieren, die USA als Großmacht, die Osteuropa nach ihrem Ebenbild maßschneidern möchte, und Europa als zerrissenen Kontinent, in dem Streit und Chaos die Oberhand gewinnen. So wird die Bevölkerung zur Loyalität mit der Führung gedrängt. Darauf ist der Kreml angewiesen.

Warum es Entspannung schwer hat bis zur Präsidentenwahl

Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt: Nur fünf Jahre lagen zwischen der größten Nato- und EU-Erweiterung der Geschichte und jener Begeisterung, mit der Barack Obama 2009 in Moskau empfangen wurde. Doch die Periode des Tauwetters endete in Massenprotesten.

Das will Moskau nicht noch einmal erleben. Im Herbst wird in Russland das Parlament gewählt, im übernächsten Jahr der Präsident. Deshalb dürfte es bis dahin schwer werden mit echter Entspannung.

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