Deutsch-polnische Beziehungen:Kühler Wind an der Europapromenade

Seebad Ahlbeck Strandleben Boote Strandkörbe

Wenn Konflikte sich hochschaukeln wie Konflikte auf hoher See - Strandleben im Kaiserbad Ahlbeck um 1917.

(Foto: imago/Arkivi)

Seit dem Wahlsieg der rechtsnationalistischen PiS-Partei fragen sich Deutsche und Polen am Strand von Usedom: Sitzen wir noch im selben Boot?

Von Peter Burghardt

Europapromenade - was für ein schönes Wort. Gerade in diesen Zeiten, in denen europäische Spaziergänge wieder holprig werden. Die Europapromenade auf Usedom führt gepflastert und geschützt von Deutschland nach Polen oder umgekehrt, zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Zwölf Kilometer weit und grenzenlos. Auf der einen Seite Dünen, Strand und Ostsee, über die aus klarem Himmel allerdings gerade ein frostiger Südostwind bläst, minus neun Grad. Die Sandkörner sind wie Eiskristalle. Auf der anderen Seite die Prachtbauten der Kaiserbäder, der Wald und eine Fernstraße. Nur natürliches Salzwasser versperrt irgendwann den Weg.

Die Naht zwischen zwei Ländern markieren bloß noch ein weißroter und ein schwarzrotgoldener Grenzpfosten sowie eine symbolische Klammer. Beide Staaten gehören ja längst zur selben Union und zur selben Nato. 2007, 18 Jahre nach dem Mauerfall, verschwanden die Kontrollen. 2011 wurde dann das letzte Stück des historischen Flanierweges von Heringsdorf nach Świnoujście alias Swinemünde wiedereröffnet. Ein polnisches Marineorchester und ein Polizeiorchester aus Mecklenburg-Vorpommern spielten die Nationalhymnen und die Ode an die Freude. "Es war sehr bewegend", sagt Mariusz Lokaj, der die Fertigstellung der grenzüberschreitenden Passage koordiniert hatte.

Es braucht nicht mal Brücken

Viereinhalb Jahre später schwärmt der Deutsch-Pole Lokaj von der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, von EU-Fonds und Kooperation, von Kulturaustausch und gemeinsamen Einsätzen von Feuerwehr und Polizei. "Wir sind wie ein Körper, wie ein Organismus, wir brauchen uns gegenseitig", so sieht er das. Lokaj erkennt im nachbarschaftlichen Verhältnis sogar "eine Leichtigkeit". Auf dieser Insel schien manches von dem zu gelingen, was auf dem Kontinent geschafft werden soll. Es braucht hier von Deutschland nach Polen nicht mal Brücken wie an Oder und Neiße weiter südlich.

Nun wollen die Nachbarn den brach liegenden Teil des Grenzstreifens beleben, zu den Ideen zählt ein deutsch-polnischer Campingplatz mittendrin. Bisher steht am Ende von Ahlbeck kurz vor dem Kopfsteinpflaster von Swinemünde eine Raststätte mit dem Hinweis, dies sei "das letzte deutsche Gasthaus vor Moskau". Aber inzwischen ahnt Mariusz Lokaj, dass die verheilte Narbe Risse bekommen könnte. Die Furcht nimmt mit jeder Aktion der Warschauer Regierung und mit jeder Warnung aus Brüssel zu.

Polen will noch mehr Kontrolle

Warschau - Polens Regierung führt ihren Kurs der Kontrollübernahme über staatliche Einrichtungen fort. Warschauer Medien zufolge bereitet die von der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) geführte Regierung weitere Gesetze vor, die nach Verfassungsgericht, Fernsehen und Radio auch andere Gerichte und Staatsanwälte der Kontrolle der Pis unterstellen sollen. Zudem werde der von der Pis gestellte Präsident ein am Silvestertag beschlossenes Mediengesetz, das der Regierung die Entlassung von Führungskräften des Staatsfernsehens und -radios erlaubt, unterschreiben, kündigte die stellvertretende Parlamentspräsidentin an. Die EU-Kommission wird wegen des Mediengesetzes und umstrittener Gesetze über das Verfassungsgericht am 13. Januar darüber diskutieren, Polen wegen möglicher Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit und Verstöße gegen europäische Grundwerte unter Aufsicht zu stellen. Ein möglicher nächster Schritt wäre ein Verfahren gegen das größte Land in Zentraleuropa, der Entzug seines Stimmrechts in der EU und womöglich die Kürzung von EU-Geld. Polen hat bisher nicht auf zwei Briefe von Vize-EU-Kommissionschef Frans Timmermans vom 23. und 30. Dezember geantwortet. Polens Verfassungsgericht will am 12. Januar entscheiden, ob Änderungen seines Status' durch die neue Regierung verfassungsgemäß sind oder nicht.

Die neue Regierung weigert sich etwa, noch unter der alten Regierung gewählte Verfassungsrichter zu vereidigen und will fünf von ihr gewählte Richter durchsetzen. Andernfalls solle Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Rzeplinski verhaftet werden, forderte der Pis-Politiker Janusz Wojchiechowski. Florian Hassel

Lokaj spürt, wie eine Kluft durch seine Heimat hier und dort geht

Der Jurist, Philosoph und Romanist Lokaj sitzt in der Heringsdorfer Villa Irmgard, draußen senkt sich die Sonne. Einst kurte und schrieb in dem verwinkelten Haus ein paar Monate lang der russische Schriftsteller Maxim Gorki. Vor einem guten Jahrhundert kamen Künstler und Regenten an die Pommersche Bucht, Wilhelm II. gab sich jahrelang zu Flotteninspektion und Tee die Ehre.

Längst belegen massenhaft Touristen die denkmalgeschützten Gebäude, die vergangenen Saison war besonders gut. Noch am Tag nach Neujahr wälzten sich Autoschlangen über den Asphalt. Lokaj, ein Mann von Anfang vierzig mit schütterem Haar und schmaler Brille, leitet das Museum Villa Irmgard und kümmert sich für die Gemeinde Ahlbeck um die Beziehungen zu Polen. Er ist dort geboren, hat einen polnischen Vater und eine deutsche Mutter, spricht die eine Sprache so fließend wie die andere. Doch auch Mariusz Lokaj spürt, wie auf einmal eine Kluft durch seine Heimat hier und dort geht. Er findet es "traurig zu sehen, dass Menschen Sachen, die über Jahre aufgebaut wurden, zerstören wollen. Ich weiß nicht, wie weit diese Reise geht."

Seit dem Wahlsieg der rechtsnationalistischen PiS-Partei unter ihrem Anführer Jarosław Kaczyński geht die Reise jedenfalls beängstigend schnell in die Gegenrichtung. Über Nacht machen Meldungen die Runde, mit denen so und vor allem so rasch bis vor Kurzem kaum jemand gerechnet hatte. Das Kabinett entmachtet das Verfassungsgericht, legt Fernsehen und Rundfunk an die Kandare und will von Flüchtlingen noch weniger wissen als seine ansonsten europafreundlichen Vorgänger. Das Tempo dieser Entfremdung erschreckt Mariusz Lokaj erst recht, obwohl er keineswegs zur Panik neigt. Mittlerweile will die EU Polen unter Aufsicht stellen, das gab noch dazu ein deutscher EU-Kommissar bekannt. Die Spaltung geht mitten durch Lokajs Geburtsland. Außerdem hetzen auch auf Usedom deutsche Rechtsradikale gegen Ausländer. Obendrein prüfen Schweden und Dänemark neuerdings wieder Pässe, was die Fährverbindungen aus Swinemünde nicht einfacher macht.

Im Krieg wurde der damals deutsche Hafen Swinemünde bombardiert

Es ging also schon mal sorgloser zu auf der Europapromenade, dabei hatten sich die Dinge gut entwickelt. Das ist angesichts der Geschichte sensationell, weil auf dem binationalen Eiland auf Usedom mehrere Mauern fallen mussten. Im Krieg wurde der damals deutsche Hafen Swinemünde bombardiert. Nachher zogen Zehntausende Vertriebene nach Westen, viele starben, und die Rote Armee wachte mit einer Garnison. Besonders versperrt wurde der Übergang zwischen den Bruderstaaten DDR und Polen, als Woiciech Jaruselski in den achtziger Jahren wegen der Gewerkschaft Solidarność das Kriegsrecht verhängte.

Unterdessen haben sich alte Schrecken verzogen, dass 2015 wurden gemeinsam 250 Jahre Swinemünde/Świnoujście gefeiert - 180 Jahre als deutsche, 70 Jahre als polnische Stadt. Auch Polen besichtigen die ehemalige Peenemünder Waffenfabrik oder liegen am Ahlbecker FKK-Strand (ein paar Meter weiter in Polen ist Nacktbaden unerwünscht). Tausende Polen arbeiten im deutschen Teil von Usedom, wo die Euro-Gehälter besser sind. Tausende Deutsche kaufen auf dem Swinemünder Markt oder im Einkaufszentrum, weil mit dem Złoty manches billiger ist. Kürzlich explodierte ein Böllerstand, nachdem mit einer Schreckschusspistole darauf geschossen worden war. Es war ein Unfall mit Verletzten, nichts weiter, doch der Knall passte ins Bild.

An einem Nachmittag in Swinemünde steht Willi Uttendorf frierend an der Hauptstraße und führt zu seiner Wohnung um die Ecke. Uttendorf, 60 Jahre alt, stammt aus Kleve an der niederländischen Grenze und lernte dort seine polnische Frau Lidia kennen. Zusammen zogen die zwei vor elf Jahren nach Polen, seit drei Jahren leben sie in Swinemünde. Auf dem Wohnzimmersofa sagt Willi Uttendorf: "Ich weiß, wie sich solche Konflikte hochschaukeln können. Mein Frühwarnsystem ist aktiviert."

Das Ehepaar kämpft für Verständigung, seit sie sich bei der Jahrtausendwende kennenlernten. Sie leitete als Erzieherin mit Universitätsdiplom ein deutsch-polnisches EU-Projekt an einem deutschen Kindergarten in Heringsdorf, ehe das EU-Projekt ablief. Inzwischen mag es die deutsche Kita nicht mal mehr, wenn Lidia Uttendorf polnische Lieder anstimmt, also spricht sie wieder Deutsch mit den Kleinen. Die Uttendorfs haben schon länger den Eindruck, dass zumindest auf kommunaler Ebene die polnischen Funktionäre größeren Willen zu Gemeinsamkeiten haben als deutsche Kollegen gegenüber.

Uttendorf wünscht sich einen deutsch-polnischen Kindergarten

Lidia Uttendorf wünscht sich einen deutsch-polnischen Kindergarten auf diesem nun zu bewirtschaftenden Grenzstreifen, aber allein die Anerkennung der Berufsabschlüsse und die Löhne sind absurd verschieden. Statt dessen hört das SPD-Mitglied Uttendorf drüben immer wieder abfällige Kommentare über Polen. Auch gehört er zu den wenigen Deutschen in dieser Gegend, die fließend Polnisch gelernt haben. In einem Swinemünder Kindergarten singt und spielt er einmal die Woche ehrenamtlich mit polnischen Kindern - auf Deutsch. Ansonsten sprechen deutlich mehr Polen Deutsch als umgekehrt. Und nun dreht die polnische Regierung durch?

Die Uttendorfs kennen wie Mariusz Lokaj Polens Historie und Empfindsamkeiten. Sie schätzen auch den neuen Swinemünder Flüssiggasterminal, wo im Dezember der erste Frachter aus Katar anlegte. Polen will sich von russischem Gas unabhängig machen. Aber diese wahnwitzige Wende? Der Rheinländer Uttendorf schimpft auf Polens Egoismus, antieuropäischen Stimmung und den unberechenbaren PiS-Machthaber Kaczyński. "Wissen Sie, was meine größte Angst ist?", fragt Willi Uttendorf. "Dass eines morgens wieder grüne Männchen mit Kalaschnikow an der Grenze stehen." Da wiederum lacht seine Lidia. Es sei ein gefährlicher Moment, aber so schlimm werde es nicht kommen. So seien die Polen nicht. "Spokojnie", sagt die Polin zu ihrem deutschen Mann. "Ruhig."

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