Debatte um Kernenergie:Umweltverband fordert sofortigen Atomausstieg

Keine Kompromisse: Der BUND ist in Sachen Atomenergie die radikalste aller Umweltorganisationen. Ihr Chef, Hubert Weiger, fordert den Ausstieg bis 2012, spätestens jedoch in dieser Legislaturperiode. Mit der SZ sprach Weiger außerdem über die Beteiligung der Bürger bei der Energiewende und Konflikte mit der Opposition.

Michael Bauchmüller

Die Umweltverbände tun sich schwer mit der Atomwende der Bundesregierung. Seit Jahrzehnten kämpfen sie gegen Atomkraftwerke, jetzt aber sind sie gespalten. Manche streiten für einen parteiübergreifenden Konsens, andere wollen schon im Jahr 2015 raus aus der Atomkraft, und nicht erst 2022. Doch keiner der großen Verbände ist so radikal wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). "Man muss standhaft bleiben", sagt Verbandschef Hubert Weiger, 64.

BUND - Hubert Weiger

Kein Verband stellt so radikale Forderungen zum Atomausstieg wie der BUND. "Man muss standhaft bleiben", sagt der Vorsitzende Hubert Weiger.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Weiger, wann waren Sie eigentlich zuletzt mit einer umweltpolitischen Neuerung so richtig zufrieden?

Weiger: Da muss ich lange zurückdenken. Das war wohl 2002 beim Bundesnaturschutzgesetz. Das hat vieles verbessert. Ansonsten haben wir in den letzten Jahrzehnten vor allem schöne Worte gehört. Aber real gab es seit der Einheit fast nur Rückschritte.

SZ: Aber jetzt passiert doch real etwas: Die Bundesregierung will den Atomausstieg. Und der BUND ist dagegen.

Weiger: Für die Regierungsparteien ist das, was da gerade passiert, eine dramatische Kehrtwende. Die haben ihre Positionen korrigiert, das begrüßen wir natürlich. Das ist die eine Seite. Wenn man aber Fukushima ernst nimmt, dass also ein hypothetisches Risiko in einem hoch entwickelten Industriestaat in Wirklichkeit ein sehr reales Risiko ist, dann muss man wesentlich konsequenter sein. Was wir jetzt haben, ist nichts anderes als der Status, den wir vor der Laufzeitverlängerung im Herbst hatten, nämlich der rot-grüne Ausstieg.

SZ: Für dessen Erhalt viele Umweltgruppen noch im vorigen Herbst stritten.

Weiger: Wir waren immer schon der Meinung, dass es wesentlich schneller gehen muss. Fukushima hat natürlich auch uns noch zusätzlich bestärkt, aber unsere Position hat sich nicht geändert. Der BUND ist eben ein Kind der Anti-Atom-Bewegung.

SZ: Aber die ist doch nicht mehr dieselbe wie vor 20, 30 Jahren.

Weiger: Sie verändert sich, ganz klar. Bei den Atom-Demonstrationen sind wieder viele junge Leute dabei, aber auch Unternehmer oder Beschäftigte aus dem Bereich erneuerbarer Energien. Wir haben in Deutschland bald eine Million Leute, die selber Strom erzeugen. Da entsteht ein ganz neues Fundament, eine neue Generation von Umweltbewegten. Aber den größten Zuspruch haben wir immer, wenn wir sagen: Ausstieg sofort. Nicht irgendwann, sofort.

SZ: Dann dürfte also keine Sekunde mehr Atomstrom produziert werden.

Weiger: Das heißt natürlich nicht, dass alle auf einen Schlag abgeschaltet werden können.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Weiger: Wir sind nicht naiv. Wir können technische Gegebenheiten und die Versorgungssituation nicht ignorieren. Sofort heißt für uns: ohne schuldhaftes Zögern. Das wäre problemlos bis 2012, 2013 möglich, ohne wirtschaftliche Einbußen, ohne soziale Probleme. Technisch ist das machbar, mit erneuerbaren Energien, mit Energieeinsparungen ...

SZ: ... und neuen Kohlekraftwerken.

Weiger: Die sind nicht nötig. Genügend Analysen sagen: Der Atomausstieg ist auch ohne neue Kohlekraftwerke bis zum Ende dieser Legislaturperiode zu machen. Jeder spätere Ausstiegstermin ist für uns völlig inakzeptabel.

SZ: Unter den großen Umweltverbänden sind Sie damit der radikalste. Greenpeace reicht 2015, die Deutsche Umwelthilfe schlägt 2017 vor.

Weiger: Wir haben diese Grundüberzeugung, und dafür streiten wir. Ob wir von einem Prozent der Bevölkerung oder 50 Prozent unterstützt werden, ist für uns nicht entscheidend. Wir sind keine Partei, sondern ein Verband. Und in zwei Bereichen sind wir kompromisslos: Atomenergie und Agro-Gentechnik. Das ist eine Frage politischer Glaubwürdigkeit.

"Wer einen Konsens will, muss die Gesellschaft beteiligen

SZ: Immerhin hat an diesem Konsens eine Ethikkommission mitgewirkt.

Weiger: Für einen gesellschaftlichen Konsens reicht es doch nicht, wenn ein solches Gremium die Umweltverbände mal für ein paar Minuten anhört. Oder wenn man uns Hunderte Seiten lange Gesetzentwürfe freitags zuschickt, mit Bitte um Stellungnahme bis Montag. Da reicht auch ein Gespräch mit der Bundeskanzlerin nicht aus. Wenn die Politik einen Konsens will, kann sie den nicht nur mit der Opposition suchen.

SZ: Die Bundesregierung spricht jetzt schon von einem großen gesellschaftlichen Konsens.

Weiger: Dahinter steht ein massives Missverständnis. Wer mit der Gesellschaft einen Konsens will, muss die Gesellschaft beteiligen. Bei der Energiewende ist teils sogar das Gegenteil der Fall.

SZ: Inwiefern?

Weiger: Vieles soll jetzt schneller gehen, beim Bau von Netzen, Stromspeichern oder Kraftwerken. Und das soll funktionieren, indem Beteiligungsrechte weiter abgebaut werden. Dies geht genau in die falsche Richtung: Mit geschwächten Beteiligungsrechten kommen wir nicht weiter.

SZ: Vielleicht müssen Bürger akzeptieren, einen Beitrag leisten zu müssen.

Weiger: Das sagt sich leicht. Bürger werden seit Jahrzehnten hintergangen und übertölpelt, in Gorleben, beim Endlager Asse, bei Stuttgart 21, in vielen anderen Fällen. Da ist eine Vertrauenskrise entstanden. Die lässt sich nicht durch Beschleunigungsgesetze beheben. Das braucht Transparenz und Beteiligung.

SZ: Sie verlangen von der Opposition, das Paket abzulehnen. Demonstrieren Sie dann bald vor der Grünen-Zentrale?

Weiger: Vielleicht sollten wir das tun. Es kam schon nach dem rot-grünen Atomausstieg zu schwersten Konflikten mit den Grünen. Es würde sicher erneut ein tiefes Zerwürfnis geben, wenn die Grünen diesem verzögerten Ausstieg bis 2022 zustimmen. Warum sollen sie in einer so wichtigen Frage der Regierung nachgeben, wenn sie doch meinen, es geht auch schneller? Die größten Fortschritte in der Umweltpolitik haben schon immer diejenigen erreicht, die sich nichts haben gefallen lassen. Man muss standhaft bleiben.

SZ: Sie legen die Latte hoch und sind am Ende immer unzufrieden. Tut sich ein Verband wie der BUND einen Gefallen, immer zu jammern und zu nörgeln?

Weiger: Wir sind nicht angetreten, um dieser Gesellschaft für die Zukunft ein Alibi zu verschaffen, nach dem Motto: Wir hätten viel mehr getan, wenn nur die Umweltverbände lauter gewarnt hätten. Diesen Gefallen tun wir weder der Politik noch der Gesellschaft. Die Gesellschaft muss wissen, was kommt, wenn sie nicht an entscheidenden Punkten umdenkt. Deshalb geben wir keine Ruhe.

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