Der türkische Präsident Erdogan:Ein Mann wie ein Magnet

In der Türkei gilt Premier Tayyip Erdogan als charismatischer Leithammel. Zum Leidwesen seiner politischen Gegener. Warum er weiter die Türkei polarisiert.

Von Kai Strittmatter

Er ist wieder da. Auferstanden von den, nun ja, nicht Toten, aber doch Totgewünschten. Recep Tayyip Erdogan, geboren 1954 als jüngstes von fünf Geschwistern im Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa, bekannt für seine Raufbolde. Ein Kämpfer, ein Leithammel, ob auf dem Fußballplatz oder in der Politik. Der Verbotsprozess, daran gab es in der Türkei nie Zweifel, galt nicht so sehr der Regierungspartei AKP, er galt vor allem ihrem Führer: "Ziel Nummer eins war es, Erdogan auszuschalten'", schreibt der Kolumnist Yavuz Baydar.

Der türkische Präsident Erdogan: Premier Tayyip Erdogan bei einer Pressekonferenz der AKP in der türkischen Hauptstadt Ankara.

Premier Tayyip Erdogan bei einer Pressekonferenz der AKP in der türkischen Hauptstadt Ankara.

(Foto: Foto: Reuters)

Das liegt zum einen daran, dass das türkische Parteiengesetz die Parteien zu Fanclubs ihrer Führer degradiert. Zum anderen aber ist Tayyip Erdogan zum Leidwesen seiner Gegner schlicht der charismatischste Politiker im Land. Die Partei, die hätte man schon morgen neu gegründet, der Name stand schon fest: ,"Sonnenpartei'". Ohne ihren Sonnenkönig aber wäre sie nicht halb so viel wert gewesen. Ein Politikverbot für Erdogan hätte seine Mannschaft erst einmal kopflos zurück gelassen..

Hätte. Erdogan, seine AKP und die türkische Demokratie sind noch einmal davon gekommen. Gerade so. Es war ein solcher Nervenkrieg, dass Parlament und Richter am Donnerstag gerade noch die Kraft hatten, ihren sofortigen Urlaubsantritt zu verkünden. Erdogan wird diesen Luxus nicht haben. Alle blicken nun auf ihn: Wie geht es weiter? Die Türkei ist ein polarisiertes Land. Erdogan wirkt hier wie ein Stabmagnet: So sehr er den einen Pol anzieht, so sehr stößt er den anderen ab.

Momente, die ihm zum Luftholen blieben, nutzte Erdogan zu Patzern.

Seiner islamistischen Vergangenheit wegen. Da kann er heute noch so sehr sein Bekenntnis zu Säkularismus und Demokratie beteuern, auf Wirtschaftsboom und EU-Reformen verweisen. Viele Leute werden ihr Misstrauen nicht los - und Erdogans Gegner nützen das aus, schüren die Ängste geschickt mit Polemik und Propaganda. "Da haben wir versagt'", sagt Suat Kiniklioglu selbstkritisch, ein Abgeordneter vom liberalen Flügel der AKP: "Es gibt die Ängste der Menschen - ob begründet oder nicht. Und wir haben sie nicht ernst genommen."

Ein entscheidender Moment war der triumphale Wahlsieg vom 22. Juli 2007. Die AKP hatte 47 Prozent der Stimmen errungen. Erdogan trat auf den Balkon und versprach mit heiserer Stimme, der "Präsident aller Türken" zu sein. Die Rede wurde viel beklatscht. Leider folgten den Worten keine Taten. Sicher, die Agenda setzten schnell Erdogans Rivalen: Terror im Südosten, Einmarsch der Armee in den Nordirak, Verbotsverfahren gegen die AKP. Die Momente aber, die ihm zum Luftholen blieben, die nutzte Erdogan zu Patzern.

Sein größter Fehler war dabei nicht, an der Freigabe des Kopftuches für Studentinnen zu arbeiten - das fordern längst auch die Liberalen im Land. Der größte Fehler war, den Kopftuchvorstoß nicht in umfassende demokratische Reformen einzubetten. Überhaupt den Anschein zu erwecken, als habe er EU-Prozess und Demokratisierung vergessen. Das wiederum leistete den alten Ängsten Vorschub: Dem geht es ja nur um die Kopftücher, riefen seine Gegner, der will die Demokratie nur für seine Leute.

Seine Gegner behaupten, Erdogan wolle das Land in einen Gottesstaat verwandeln. Fakt ist, dass Erdogan so stockkonservativ ist und gern so bigott daher redet wie einst in Bayern Franz Josef Strauß selig - dass unter seiner Regierung aber die Türkei so frei, so demokratisch und so wohlhabend wie nie zuvor wurde. Dass trotzdem manche ein Problem mit dem Premier haben, mag nicht nur an der Ideologie liegen, an seinem oft selbstherrlichen Führungsstil und an der wieder auflebenden Vetternwirtschaft, sondern auch daran, dass sein Charisma eine Kehrseite hat:

"Pack deine Mutter und hau ab, du Depp"

Nicht selten zeigt sich der volksnahe Premier als jähzorniger Dickschädel. Dem einen Bittsteller drückt er seine Handynummer in die Hand, den anderen bescheidet er vor laufenden Kameras: "Pack deine Mutter und hau ab, du Depp". Die Zahl der Karikaturisten, die Erdogan vor Gericht gezerrt hat, bloß weil sie ihn als Katze oder Pinguin zeichneten, ist beachtlich.

Lange Jahre stand dem Hitzkopf Erdogan als Bremser sein Weggefährte Abdullah Gül zur Seite, bevor der sich zum Staatspräsidenten wählen ließ. Damals äußerten Berater Erdogans heimlich ihre Sorge, wer denn nun das Temperament ihres Chefs zügeln solle. Durch die Krise der letzten Monate dann steuerte Erdogan seine Partei erstaunlich nüchtern und souverän. Jetzt aber möchte das Land einen Versöhner. Eine große Herausforderung.

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