Flüchtlinge in Deutschland:Das Gute in Sachsen

Flüchtlinge in Deutschland: "Wir betreuen ein bisschen mehr, als vorgeschrieben ist": Hartmut Stolz (links) und Alexandra Kühnel.

"Wir betreuen ein bisschen mehr, als vorgeschrieben ist": Hartmut Stolz (links) und Alexandra Kühnel.

(Foto: Kastner)

Von Flüchtlingsarbeit hatten sie in Friedersdorf in der Oberlausitz keine Ahnung. Doch die meisten der 1300 Einwohner haben gemerkt, dass die Fremden nichts Böses tun

Von Bernd Kastner, Friedersdorf

Die Milch macht's, in diesem Fall macht sie den feinen Unterschied. Auf dem Schrank in der Küche steht ein großer Kanister, 30 Liter, er ist leer, weil die Milch schon verkauft ist. Gleich daneben stehen eine Frau und ihr Mann an einem der Herde und bereiten das Mittagessen vor. Sie sind Flüchtlinge, und jetzt leben sie in diesem ehemaligen Hotel in Friedersdorf.

1300 Einwohner, Oberlausitz, wenige Meter sind es bis nach Tschechien. In Friedersdorf sind um die 50 Flüchtlinge einquartiert, und es ist - alles ruhig. Es gibt in Sachsen nicht nur Heidenau, Clausnitz oder Bautzen, wo Flüchtlinge beschimpft oder gejagt wurden. Es gibt auch Orte wie Friedersdorf, wo Hartmut Stolz regelmäßig Milch liefert.

Vom Hotelier zum Heimleiter

Stolz, 63, war über Jahrzehnte Hotelier. Sein Hotel ein paar Orte weiter hat er umgebaut und verpachtet, für betreutes Wohnen und Pflege, Stolz geht mit der Zeit. Als vergangenes Jahr so viele Flüchtlinge kamen, wollte er helfen. Also hat er sich beim Roten Kreuz als Heimleiter beworben: "So fürchterlich anders als im Hotel sind die Aufgaben ja nicht."

Wie Touristen bleiben Flüchtlinge nur eine gewisse Zeit; auch sie sollen sich wohlfühlen, ob im Hotel oder Heim, das ist fast egal. Und so kommt es, dass man in Friedersdorf Grundlegendes lernen kann: noch nicht die Integration, aber doch die so wichtige Vorstufe, die friedliche Koexistenz von Einheimischen und Geflohenen.

Flüchtlinge? Zu uns? Bloß nicht!

Dabei begann im vergangenen Jahr alles, wie es derjenige erwartet, der Sachsen nur aus dem Fernsehen kennt. Der Friedersdorfer Ortschaftsrat sprach nicht-öffentlich darüber, dass das leer stehende Hotel an der Hauptstraße, der B96, umgebaut werden soll. Bei diesem Thema aber gilt: je heimlicher, desto schneller verbreitet sich die Nachricht. Flüchtlinge? Zu uns? Bloß nicht! Bei der nächsten Sitzung war der Saal brechend voll.

Die Bürger waren aufgebracht: "Die hatten Angst um ihre Frauen", erzählt Günter Hamisch, 73, der seit vielen Jahren als Ortsvorsteher amtiert. Er sitzt in seinem Amtszimmer, hinter sich ein Gemälde der Friedersdorfer Flur. "Es war viel Hässliches dabei." Viele haben ihn, den Dorf-Chef, angefeindet. Die einen forderten, die Straßenlaternen nun die ganze Nacht über brennen zu lassen, die anderen waren in Sorge um ihre Wäsche auf der Leine. "Überall gab es Angst", erinnert sich Hamisch, und ja, er habe überlegt, ob man das Heim verhindern könne. "Wir haben nicht gejubelt," sagt er.

Es gab eine Bürgerversammlung in der Kirche, über die der Kreisvorsitzende der AfD im Partei-Newsletter unter der Überschrift "Eine Kirche voller Wut" fast triumphierend berichtete: Gemeindevertreter seien "durch wütende Zwischenrufe und schallendes Gelächter unterbrochen" worden. Dann habe er, der AfD-Mann, das Wort ergriffen und gesagt, dass der Landkreis die Bürger "nur einlullen und ruhigstellen" wolle. Das kam offenbar an: "Die anwesenden Bürger dankten mir meine klaren und ehrlichen Worte mit tosendem Applaus."

Lichterkette durch Bautzen

Es kommen keine Monster, sondern Menschen: Bürger in Bautzen demonstrieren gegen fremdenfeindliche Gewalt.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Ein paar Tage später trat Constance Šimonovská ihren Dienst als Pfarrerin in Friedersdorf an. Sie hatte zuvor in Böhmen gearbeitet, wo sie vor ein paar Jahren erlebt hatte, wie schnell sich eine pogromartige Stimmung entwickeln kann, damals waren Roma das Ziel des Hasses gewesen. Ähnliches befürchtete sie nun in Friedersdorf, gegen die Flüchtlinge. Als sie eine Bastelgruppe aus Flüchtlingen und Einheimischen initiierte, war der Kirchenvorstand dagegen, dass man sich in den Kirchenräumen traf: lieber erst mal nicht.

Sauberkeit ist in Deutschland wichtig, das haben sie gelernt

Im Januar hat der Hotelier Hartmut Stolz mit der Arbeit begonnen, zwei Sozialbetreuerinnen gehören zu seinem Team. "Wir hatten von der Flüchtlingsarbeit keine Ahnung," sagt er heute. Sie haben einfach nachgedacht, was sinnvoll wäre, und sind auf Simples, aber Wirkungsvolles gekommen.

Mit einem Tag der offenen Tür fingen sie an, noch bevor die Flüchtlinge einzogen, vorwiegend Familien. Viele Friedersdorfer sahen, dass den neuen Bewohnern kein Luxus geboten wird: einfache Zimmer, keine Flachbildschirme. Genauso wichtig ist, dass die Bürger seitdem die Leute vom Roten Kreuz kennen, ihre Ansprechpartner, wenn's mal Ärger gibt, wie mit den Fußweg-Radlern.

Stolz sagt: "Wir betreuen ein bisschen mehr, als vorgeschrieben ist, dafür fordern wir auch ein bisschen mehr." Seit er weiß, dass einige Bewohner die behandelte Milch aus dem Supermarkt nicht mögen, geht er in seinem Wohnort regelmäßig zum dortigen Milchwerk, lässt sich den Kanister auffüllen und gibt die Milch im Heim zum Selbstkostenpreis weiter. Die Bewohner machen Joghurt draus. Es ist ein Geben und Nehmen, Fördern und Fordern. Zum Beispiel, dass das Haus gut geputzt wird. "Passt mal uff, liebe Freunde", hat der gebürtige Berliner irgendwann zu den Bewohnern gesagt, eine Mitarbeiterin übersetzte: "Das muss sauber sein. Das ist ein Wert, und das zählt in Deutschland." Stolz sagt, er liebe Klartext.

"So tickt Deutschland"

Amina Barhoum stand damals kurz vor dem Abitur. Als sie erfuhr, dass sich bei Facebook eine Gruppe mit dem Titel "Friedersdorf wehrt sich" gegründet hatte, wollte sie dagegenhalten. Kaum waren die Flüchtlinge eingezogen, bot sie mit einigen Schulfreunden Deutschunterricht an. "Friede hilft!" haben sie ihre Initiative genannt. Barhoums Vater stammt aus Syrien, sie spricht Arabisch, und versichert, wegen ihres Migrationshintergrunds nie Probleme gehabt zu haben. Sachsen ist nicht gleich Sachsen. Jetzt, da alle aus der Gruppe zum Studieren weg sind, übernimmt die nächste Generation, mit dabei Barhoums jüngere Schwester, 14 Jahre alt.

Einmal besuchte Stolz mit Flüchtlingsfrauen ein Seniorenheim. Er wollte ihnen erklären, dass es in Deutschland, anders als etwa in Syrien, völlig normal ist, dass Alte und Pflegebedürftige außerhalb der Familie versorgt werden. "So tickt Deutschland." Nebenbei verriet Stolz den Frauen, dass in der Pflege immer Stellen frei sind.

In Friedersdorf geschah, was überall in Deutschland zu beobachten ist: Vor Ankunft der Flüchtlinge ist der Aufruhr groß. Dann kommen aber keine Monster, sondern Menschen, und alles beruhigt sich. Heike Brendel, die Wirtin der Grenzschänke, wo sich der Ortschaftsrat trifft, fasst die Lage heute so zusammen: "Ich kann nichts Negatives sagen. Die", sie meint die Flüchtlinge, "die verhalten sich ganz ruhig, sagen ganz freundlich "hallo". Die sind einfach da." Keine Konflikte - aber auch keine Integration. Wie auch.

Vermieter haben gute Erfahrungen gemacht

Lange bleiben die Flüchtlinge nicht in der Friedersdorfer Gemeinschaftsunterkunft, nach ein paar Monaten ziehen sie weiter in eine eigene Wohnung, irgendwo in Sachsen. Alexandra Kühnel vom DRK hilft bei der Wohnungssuche, so gut es geht. Am Anfang habe sie viel Ablehnung bei den Vermietern gespürt: Syrer? Das Risiko ist mir zu groß!

Die Eigentümer hätten Sorge, dass es Ärger gibt zwischen den Fremden und den Eingesessenen. Also bringt Kühnel ihren Leuten bei, wie wichtig die Hausordnung ist, welcher Abfall in welche Tonne muss, das mit dem sauberen Treppenhaus haben sie ohnehin schon gelernt. Die ersten Vermieter hätten gute Erfahrungen gemacht, erzählt die Betreuerin, das spreche sich herum unter den Hauseigentümern. Flüchtlinge? Ist okay.

Pfarrerin Šimonovská erzählt, dass sich die Bastelgruppe inzwischen in Gemeinderäumen treffen darf. Man hat sich beschnuppert und gemerkt, dass die Fremden nichts Böses tun. Ein "friedliches Nebeneinander" habe sich entwickelt. Sie wünscht sich mehr, aber immerhin, ein Fundament ist da. Sitzt man beim Ortsvorsteher Hamisch vor seinem grün-gelben Gemälde, spürt man die Wunden des vergangenen Jahres noch. An Weihnachten habe ihn die Altersabteilung der Freiwilligen Feuerwehr nicht eingeladen, Hamisch glaubt nicht an Zufall. "Das tut weh." Und heute? Jetzt höre er keine Klagen mehr, "es wird akzeptiert, dass so was da ist". So was - das Asylheim. "Ich freue mich, dass es funktioniert." Begeistert klingt er nicht, aber erleichtert.

Radeln auf dem Fußweg

Begeistert aber ist Amina Barhoum. Ihre Schülergruppe "Friede hilft!" ist kürzlich vom Ministerpräsidenten mit dem Sächsischen Bürgerpreis ausgezeichnet worden für ihr Engagement. Nachzulesen ist das auch auf Facebook - es ist der jüngste Post der Anti-Asyl-Gruppe "Friedersdorf wehrt sich", versehen mit hässlich-hämischen Kommentaren.

Hartmut Stolz, der Heim-Hotelier, erzählt gerne vom bisher einzigen Ärger, den "seine" Flüchtlinge verursachen. Friedersdorfer hatten sich beschwert, weil die Fremden auf dem Fußweg radeln, anstatt auf der Straße, der stark befahrenen B96.

Hartmut Stolz erklärte ihnen die deutsche Straßenverkehrsordnung: Fußwege sind für Fußgänger da. Wie er das erklärte, näherte sich ein Radler, ein Deutscher, er fuhr auf dem Fußweg. Seither freut sich Stolz über das Problem mit den illegalen Radlern, eine spezielle Art der Integration. Flüchtlinge und Einheimische interpretieren gemeinsam deutsche Regeln.

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