Hype um den Verteidigungsminister:Dalai Guttenberg

Karl-Theodor zu Guttenberg wird verehrt wie eine Art Erlöser. Der Glaube, dass es doch noch den einen Politiker geben könne, der sagt, was er meint, und tut, was er sagt: Dieser Glaube ist nicht totzukriegen.

Detlef Esslinger

Es war die Woche, in der Ursula von der Leyen ihr Konzept für Hartz IV ins Kabinett gebracht hat; es war die Woche, in der sie überlegen musste, wie sie doch noch die Zustimmung der SPD im Bundesrat dafür erhalten kann. Aber den bemerkenswertesten Satz hat die Bundesarbeitsministerin in einem ganz anderen Zusammenhang gesagt - als auch sie in einem Interview nach jenem Kollegen gefragt wurde, der erst seit gut anderthalb Jahren im Kabinett sitzt, trotzdem aber nun auf seine Kanzlerqualitäten abgeklopft wird. Ursula von der Leyen hat gesagt, die Debatte um Karl-Theodor zu Guttenberg sei "gespenstisch".

Karl-Theodor zu Guttenberg spricht auf Zeit-Konferenz 'Internationale Sicherheitspolitik'

Ein beträchtlicher Teil des Wahlvolks ist hingerissen von Karl-Theodor zu Guttenberg.

(Foto: dapd)

So ist es. Seit mittlerweile anderthalb Wochen beschäftigt sich der politisch-mediale Betrieb mit einem Thema, das ungefähr so dringend ist wie die Klärung der Frage, in welches Restaurant die Fußballspieler des FSV Mainz 05 am 14. Mai 2011 wohl einkehren sollten, nach der Meisterfeier. Ein einziger Beitrag eines Hauptstadtologen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Mittwoch vor einer Woche reichte aus, um dem Thema Schub zu geben - als hätte halb Berlin-Mitte nur darauf gewartet, dass endlich einer ausspricht, was doch in der Luft lag, aber niemand so recht aussprechen wollte.

Das sagt zunächst etwas aus über den Betrieb in der Hauptstadt. Diesem liegt zum einen nichts ferner als Zweifel an der eigenen Bedeutsamkeit, zum anderen gibt es dort eine Menge Akteure, die sich sehr viel lieber mit Klatsch im weitesten Sinne denn mit Sachthemen befassen. Es sendet und schreibt sich ja auch sehr viel leichter über die Kanzler- oder sonstigen Aussichten eines Guttenbergs, als den Feinheiten von Sozialgesetzbuch II oder dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich nachzuspüren. Manche Berlin-Mitte-Autoren ziehen es vor, zum Sujet ihrer Beiträge vor allem den tatsächlichen oder vermeintlichen Charakter des von ihnen sezierten Politikers zu machen; vor der Fertigstellung gehen sie dann noch schnell mit der Bitte zu Kollegen, ein wenig "Sachkack'" beizusteuern, wie der Ausdruck dafür in einer der vielen Dutzend Hauptstadtredaktionen lautet. So ist das Biotop am Spreebogen; wer sich als Politiker darüber beklagt, hätte das vorher bedenken sollen.

Gespenstische Spekulationen

Jedoch ist dies keine ausreichende Erklärung dafür, warum nun so ausgiebig diskutiert wird, ob Guttenberg auch Kanzler kann. Ein Thema macht ja nicht deshalb Karriere, weil ein paar Medienmenschen dies beschlossen haben. Ein Thema macht nur dann Karriere, wenn es zugleich den Zeitgeist, wenn es das Lebensgefühl des Publikums trifft. Objektiv mag keine Notwendigkeit bestehen, darüber nachzudenken, was mit Angela Merkel passieren würde, wenn die CDU in Baden-Württemberg die Landtagswahl im März verlöre. Wer sich noch daran erinnert, wie oft Helmut Kohls Ende vorhergesagt wurde, bevor er es auf 16 Jahre Kanzlerschaft brachte, kann die jetzt losgebrochenen Gedankenspiele in der Tat wohl nur für verwegen und gespenstisch halten.

Das Phänomen des Erlösers

Dies ändert aber nichts daran, dass ein beträchtlicher Teil des Wahlvolks hingerissen ist von Guttenberg. Das zeigt sich in der Forsa-Umfrage, nach der knapp ein Viertel der Bundesbürger meint, Guttenberg wäre ein besserer Kanzler als Merkel. Das wird auch deutlich in einer Zufallsbeobachtung wie diese Woche in München, als er ins Landtagsrestaurant ging und Besucher spontan in Applaus ausbrachen. Die Weise, in der viele erwachsene Menschen diesen Politiker wahrnehmen, unterscheidet sich fundamental von der, die - zum Beispiel - Wolfgang Schäuble, Kurt Beck oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zuteil wird. Sie mag man respektieren, Guttenberg wird verehrt. Die Leute blicken ihn an wie eine Art Erlöser, er profitiert von Erwartungen, wie sie auch Barack Obama vertraut waren, bis vor zwei Jahren, oder dem Dalai Lama, von jeher.

Das Phänomen des Erlösers ist in der Politik keineswegs neu, und mögen sich auch die meisten Erlöser später als ziemlich irdische Gestalten entpuppt haben - der Glaube, dass es doch noch den einen Politiker geben könne, der sagt, was er meint, und tut, was er sagt, und das, was er tut, ist objektiv das Beste für alle: Dieser Glaube ist nicht totzukriegen.

Sehnsucht, Verdruss, Verwirrung

Er ist Ausdruck von Sehnsucht, Verdruss und Verwirrung. Demokratie bedeutet öffentlich ausgetragener Streit, sonst wäre es keine Demokratie. Den wenigsten Menschen aber bereitet es Freude, anderen beim Streiten zuzusehen. So entsteht über die Jahre Sehnsucht nach einem Ende von Streit. Hinzu kommt die Erfahrung, dass auch in der Demokratie mitunter Entscheidungen gegen den Willen und ohne echte Beteiligung der Mehrheit getroffen werden; Stuttgart 21 mag ein Beispiel sein, wie daraus Verdruss entsteht. Und schließlich Verwirrung: Im Geflecht aus Zwängen, Interessen und Weltanschauungen fühlen sich mehr und mehr Menschen verloren. Sie wissen nicht, wem sie noch glauben sollen. Thomas Gottschalk, der Moderator, hat dies am vergangenen Montag in einem Fernsehgespräch mit Hessens Ex-Ministerpräsident Roland Koch ironisch so formuliert: Die Leitartikler wissen immer ganz genau, wie's geht, aber die an der Macht sind halt so blöd.

Vor diesem Hintergrund mag einer wie Guttenberg die Anmutung verbreiten, das Gegenmodell zu sein. Herkunft und Alter, Rhetorik und finanzielle Unabhängigkeit: Da spielt auch keine Rolle, dass er sich bisher blendend präsentiert, aber noch wenig geleistet hat (und auch seine Bundeswehrreform erst noch umsetzen muss). Im Gegenteil, das ist immer der schwächste Einwand, um den Leuten ihren Erlöserglauben zu nehmen. Es ist ja das Wesen von Heilsbringern, dass sie entweder erst im Kommen sind oder aber vor sehr langer Zeit da waren, nie jedoch im Hier und Jetzt verschlissen werden. Deswegen ist Obama keiner mehr - weil die Welt nun erlebt, dass es keinen Präsidenten geben kann, der Yes we can ruft, und alles wird gut. Deswegen bleibt der Dalai Lama einer - weil er wohl nie in die Verlegenheit kommen wird, tatsächlich ein Land führen und unter Berücksichtigung gegensätzlicher Interessen von Mönchen und Bauern einen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich fürs tibetische Gesundheitssystem entwickeln zu müssen.

Die Begeisterung zum Beispiel für Guttenberg offenbart, dass viele Menschen ein eher romantisches Verständnis von Politik haben. Sie verrät auch eine gewisse Müdigkeit an der real existierenden Demokratie, die ebenso anstrengend, nervend wie unfertig sein mag - aber doch den Lebensstandard in diesem Land auf einem Niveau hält, welches auch die Menschen in anderen Industrieländern erst mal gerne hätten. Mehr kann man eigentlich nicht erwarten. Aber weil genug nie genug ist, werden die Altbekannten in der Politik verantwortlich gemacht für alles, was jeweils nicht perfekt ist. Und dann kommt einer wie Guttenberg und wird zur Projektionsfläche für alles, was endlich anders laufen müsste. Bis er dann eines Tages auch altbekannt ist.

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