Der grüne Präsident:Klimakrieger

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"Vielleicht ist der Planet ja gar nicht zum Untergang verdammt." (Foto: Andrew Harnik/AP)

Dank des Abgas-Skandals von Volkswagen hängen die Vereinigten Staaten die deutschen Umweltstreber ab. Und Obama festigt seine Position als Feldherr gegen den Klimawandel.

Von Andrian Kreye

Amerikanische Präsidenten regieren in der Regel zwei Amtszeiten. Die erste verbringen sie damit, um ihre Wiederwahl zu kämpfen, die zweite, um ihr historisches Erbe zu zementieren. Barack Obama ist gerade im Endspurt der zweiten Phase. Sie endet im Januar, wenn die Schlammschlachten des nächsten Präsidentschaftswahlkampfes beginnen, an dem er nicht mehr teilnehmen darf, weil die Verfassung nur zwei Amtszeiten zulässt.

Seinen Platz in den Geschichtsbüchern hat er schon gewählt: als Feldherr im Krieg gegen den Klimawandel. Seine Entscheidungsschlacht steht Anfang November beim Klimagipfel der Vereinten Nationen in Paris an. Ja doch, US-Präsidenten müssen Krieg führen, um in die Geschichte einzugehen, umso mehr, als es seit 1945 keine siegreichen echten Kriege mehr gab. Deshalb führen sie einen war on (Krieg gegen) Armut (Lyndon B. Johnson), Drogen (Richard Nixon,), Tabak (Clinton) oder Bildungsschwächen (George W. Bush).

Zufall? Verschwörungstheorie? Um die Volkswagen-Krise ballen sich erstaunlich viele Ereignisse

Wer noch Zweifel an Obamas Rolle als Klimakriegsheld hatte, dem lieferte er während seiner Alaskareise vor ein paar Wochen die Bilder. Da steht er am Bug eines Bootes und zeigt auf die Zunge des Bear-Gletschers, die alleine im letzten Jahr um über einen halben Meter abgeschmolzen ist. Kaum ein Politiker versteht sich so gut auf historische Analogien wie Obama. Das Bild soll an Emanuel Leutzes Ölgemälde von 1851 erinnern, auf dem George Washington am Bug eines Fährbootes stehend den vereisten Delaware River überquert, um eine Entscheidungsschlacht gegen die hessischen Hilfstruppen der britischen Krone zu führen. Jedes Schulkind kennt diese Blaupause der amerikanischen Heldenposen.

Ausgerechnet Volkswagen hat Obama nun die magische Silberkugel geliefert, um einen Krieg zu gewinnen. Historischer Kollateralschaden wird die Bundesrepublik Deutschland sein, die in den Geschichtsbüchern ihren Platz als moralische Instanz verliert. Gerade in Umweltfragen war das ein Ruf, den Deutschland über drei Jahrzehnte hinweg aufgebaut hat und der weltpolitisch eine ernsthafte Konkurrenz für Obamas Führungsrolle war.

Die Silberkugel ist keine hohle Wildwestmetapher. In der amerikanischen Politik ist die Silver Bullet ein stehender Begriff. Es geht um den entscheidenden Moment im Wahlkampf, in dem der Sieger seinen Kontrahenten ausschaltet. Es gibt Spezialisten, die nach solcher Munition suchen. Opposition Research, Gegner-Recherche, ist der Euphemismus für solche Wühlarbeiten. Weil die Wählerschaft aber einen ausgeprägten Sinn für Fairness hat, sollte es besser nicht nachvollziehbar sein, woher so eine Silberkugel kommt. Bill Clintons Erbe ging zum Beispiel in einem regelrechten Silberkugelhagel aus Frauengeschichten unter, bei dem ihm seine Praktikantin Monica Lewinsky den Blattschuss versetzte. Heute weiß man, dass Gegner aus der republikanischen Partei und aus der Tabakindustrie diese Skandale lancierten, um seine politischen Erfolge zu überschatten. Auch wenn er sich seine Verfehlungen natürlich selbst zuzuschreiben hatte.

Beim Fall Volkswagen lässt sich schwer abschätzen, ob der Zeitpunkt von Washington strategisch gewählt war, ob es eine Intrige im Machtkampf um die VW-Spitze war oder sich einfach aus einer laufenden Ermittlung der Umweltschutzbehörde EPA ergab. Verschwörungstheoretisch ließe sich natürlich eine Zeitschiene zusammenschreiben, bei der sich die Ereignisse rund um die Enthüllungen bei VW auffällig ballen.

New York baut ein Museum für Ökologie. Ólafur Elíasson hat Entwürfe gezeichnet

Da ist die Klimaschutzinitiative "Clean Power Plan", die Barack Obamagemeinsam mit der Epa erarbeitet und am 3. August dieses Jahres veröffentlich hat. Sie erklärt CO&sub2; justiziabel zum Schadstoff, begrenzt den Ausstoß von Kraftfahrzeugen weiter und setzt die Grenzen für Kohlekraftwerke so niedrig fest, dass in den USA de facto keine neuen mehr gebaut werden können.

Auf den Plan folgte am 31. August Alaska. Dort posierte Obama nicht nur martialisch vor dem Gletscher. Er bewies auch, dass er seine Zielgruppen kennt. Für die ältere Generation gab er das einzige Interview zum Thema der Zeitschrift Rolling Stone, dem Zentralorgan der Woodstock-Generation. Für die jüngere Generation schnallte er eine Go-Pro-Kamera auf einen Selfiestick und proklamierte vor subarktischer Kulisse seinen Aufruf gegen den Klimawandel, den er dann über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete.

Am 18. September schickte die Epa ihre folgenreiche "Benachrichtigung über Verstöße gegen die Vorschriften des Gesetzes zur Reinhaltung der Luft" an die Rechtsabteilung und das Management der amerikanischen Volkswagen-Niederlassung. Drei Tage später verhärteten sich die Gerüchte, dass Apple für sein Projekt Titan an einem Elektroauto arbeitet. Wiederum zwei Tage später traf sich der Chef der bisher einzigen serienfähigen und prestigeträchtigen Elektroautomarke Tesla, Elon Musk, mit Sigmar Gabriel in Berlin, um ihm zu erklären, dass dies der ideale Zeitpunkt wäre, um all die hervorragenden deutschen Ingenieure an Elektroantrieben arbeiten zu lassen.

Am nächsten Tag eröffnete Musk im niederländischen Tilburg die erste europäische Fabrik seiner kalifornischen Firma. Ein mehr als symbolischer Zeitpunkt. An diesem 25. September nämlich gaben Barack Obama und der chinesische Staatspräsident Xi Jinping vor dem Weißen Haus eine gemeinsame Klima-Erklärung ab. Am selben Tag hatte aber auch Bundeskanzlerin Merkel ihren Auftritt bei der UN-Vollversammlung, der allerdings nur siebeneinhalb Minuten dauerte, weshalb für den Klimawandel zwischen Flüchtlingsproblemen und Armutsbekämpfung nur ein paar Sätze übrig blieben.

Vielleicht ist der VW-Skandal ja nur ein Zufall im Kielwasser einer aggressiven Klimapolitik. Letztlich ist das unerheblich. Es bestreitet ja niemand, dass der Konzern Millionen seiner Kunden betrogen und nebenbei die Gesundheit ganzer Landstriche gefährdet hat. In den USA rechnen Wissenschaftler schon nach, wie viele Tote auf dem Land auf den Dieselbetrug zurückgehen.

Und das historische Ergebnis ist das gleiche. "Ein Autoskandal schubst Berlin aus seiner Vormachtstellung" titelte die New York Times schon am 23. September. Beim Klimagipfel Anfang November in Paris wird Barack Obama die Vormachtstellung in einem globalen Konflikt übernehmen, in dem es nicht um Rohstoffe oder strategische Gebiete geht, sondern um die Zukunft des Planeten. Auch innenpolitisch wird er mit Paris Punkte machen. Es ist ja nicht so, dass die Klimawandelleugner in Amerika noch den Ton angeben. Schon die Hälfte der Bevölkerung ist der Meinung, die Erderwärmung sei menschengemacht. Es war ein schwieriger, aber gar nicht so langer Weg dahin. 2004 hielt Al Gores seinen inzwischen legendären Vortrag bei der Premiere von Roland Emmerichs Klimakatastrophenfilm "The Day After Tomorrow". Aus dem Auftritt wurde eine Tour und schließlich der Film "Eine unbequeme Wahrheit", der 2010 einen Oscar bekam. Das hat einiges bewegt.

Es ist abzusehen, bis eine Mehrheit der amerikanischen Öffentlichkeit den Klimawandel als Allgemeinwissen und zentrale Herausforderung anerkennt. Für die Bürger, die im traditionellen Protestalter sind, gilt das schon jetzt. Was für die Generationen ihrer Eltern und Großeltern die Bürgerrechte, der Vietnamkrieg und die Aids-Krise war, ist für sie der Kampf gegen den Klimawandel. Nach dem Oscar folgt nun die zweite Bestätigung aus dem kulturellen Kanon: In New York entsteht gerade ein Klimamuseum, für das der Künstler Ólafur Elíasson erste Entwürfe gezeichnet hat.

Gut möglich, dass die Geschichte jenen Amerikanern recht gibt, die in der VW-Krise eine Chance sehen. "Der Volkswagen-Skandal könnte mit der Illusion aufräumen, dass es ein gleichzeitig leistungsstarkes, schadstoffarmes, sauberes und bezahlbares Dieselauto geben könnte", schreibt der Wirtschaftsjournalist James Surowiecki in der Zeitschrift New Yorker.

"Vielleicht ist der Planet ja gar nicht zum Untergang verdammt."

Sicherlich ist es besser, wenn Barack Obama die Führung im Klimaschutz übernimmt. Angela Merkel ist einfach zu zögerlich. Das kann man ihr nicht vorwerfen. Sie ist Staatschefin eines Landes, das von der Auto-, also der Verlängerung der Ölindustrie stärker dominiert wird als jede andere Nation diesseits des persischen Golfs. Ihre einzige umweltpolitische Leistung entpuppte sich dann auch schon bald als Lobby-getriebene Klimasünde. Ihr populistischer Ausstieg aus der Atomenergie nach der Fukushima-Katastrophe führte jedenfalls nicht nur zu einem enormen Anstieg an Kohleverbrennung. Sie zog zudem die weitere Verteufelung jener Brückentechnologie nach sich, die bis zur Entwicklung funktionierender globaler Wind- und Sonnenenergienetze für den Kampf gegen den Klimawandel unentbehrlich bleiben wird.

Dann doch lieber ein amerikanischer Präsident, der in seiner zweiten Amtszeit politisch nichts mehr zu verlieren, aber historisch noch viel zu erreichen hat. Er ist gut vorbereitet auf seine Rolle. Und er meint es ernst. "Vielleicht ist der Planet ja gar nicht zum Untergang verdammt", titelte das New York Magazine seinen Vorbericht zum Klimagipfel vor zwei Wochen. "Wenn wir in Paris sind", sagtObama in seinem Interview in der aktuellen Ausgabe des Rolling Stone, "werden wir es zum ersten Mal schaffen, dass alle Länder ihre Verantwortung anerkennen, dieses Problem anzugehen." Dazu gehört auch Deutschland.

Erschienen in der SZ vom 2. Oktober 2015.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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