Der Fall Jörg Tauss:Zweikampf mit dem Zweifel

Seit bei Jörg Tauss Kinderpornographie gefunden wurde, beteuert er seine Unschuld. Doch die SPD hat sich von ihm abgewandt. Er sucht den Weg nach vorn - mit der Piratenpartei.

Bernd Dörries

Früher wäre er mit aufs Foto gekommen. Diesmal wartet die kleine Reisegruppe etwas unschlüssig vor dem Reichstag auf den Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss, der laut Programm jetzt erscheinen sollte, dies aber nicht tut, weshalb ein Gruppenbild ohne Tauss angefertigt wird.

Der Fall Jörg Tauss: Er kämpft jetzt unter der Piratenflagge: Der ehemalige SPD-Abgeordnete Jörg Tauss zusammen mit Anhängern der Piratenpartei auf dem Potsdamer Platz in Berlin.

Er kämpft jetzt unter der Piratenflagge: Der ehemalige SPD-Abgeordnete Jörg Tauss zusammen mit Anhängern der Piratenpartei auf dem Potsdamer Platz in Berlin.

(Foto: Foto: dpa)

Man kann darin natürlich ein Zeichen sehen, vielleicht ist es aber auch einfach so passiert. Viele Male an diesem Tag wird sich diese Frage stellen.

Die Reisegruppe aus der badischen Heimat von Tauss, Schüler und Studenten zwischen 18 und 25 Jahren, laufen um den Reichstag herum und sehen schon aus der Ferne einen Mann am Nebeneingang des Parlaments mit den Armen rudern, so als fiele er gleich von der Treppe. Es ist aber nur die etwas überschwängliche Art von Jörg Tauss, 55, einfach mal hallo zu sagen.

Er ist um Lockerheit bemüht, was wiederum von den jungen Menschen, die ihn an diesem Tag besuchen, aufmerksam registriert wird. Es ist ein wenig so, als wäre da jemand noch auf freiem Fuß und die Leute schauten ihn nun an, so von oben bis unten, und fragten sich, ob er es nun war oder eben nicht.

Wenn in den vergangenen Monaten irgendetwas über Jörg Tauss zu lesen oder zu hören war, dann kam nach seinem Namen immer der Nebensatz, "gegen den wegen des Besitzes von Kinderpornographie ermittelt wird". Es ist ein Nebensatz, den man nur schwer loswird. Egal, was Jörg Tauss erzählt, er ist immer da, hängt sich dran. Es ist der Fall Tauss. Und sein tiefer Fall.

Jörg Tauss steht nun an der Sicherheitsschleuse des Parlaments und bereitet den Besuch auf die Durchsuchung vor, das Abtasten, das er "hochnotpeinlich" findet. Er erzählt, dass bei einem Schüler einmal ein Messer gefunden wurde, was zu einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft geführt habe.

Hochnotpeinlich und staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren. Tauss hat die Stichworte selbst gegeben.

Seine Besucher sind Teilnehmer des Wettbewerbes "Jugend gründet", die nun nach Berlin fahren dürfen und von Tauss durch den Bundestag geführt werden. Der war zum Zeitpunkt der Reiseplanung noch Sprecher der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der SPD-Fraktion.

Es gilt die Unschuldvermutung

Bevor es losging, hat sich die Gruppe nochmal im Bildungsministerium erkundigt, ob man sich auch unter den veränderten Umständen mit Tauss treffen dürfe. Es gelte die Unschuldsvermutung, sagte das Ministerium, und so sitzen die etwa 50 Leute nun im Eckturm des Reichstags, im Fraktionszimmer der SPD, und lassen sich von Tauss die Broschüre "Zwischenbilanz der Bildungs- und Forschungspolitik" zeigen ("Das ist mein Abschlusswerk").

Sie sprechen über Ballerspiele, die Politik im Allgemeinen und seinen Fall im Speziellen. "Nach 15 Jahren im Bundestag kandidiere ich nicht mehr", sagt er und berichtet dann, wie das war an jenem 5. März: Durchsuchungen in Büro und Wohnung. Der Fund von Kinderpornos, das Ermittlungsverfahren gegen ihn und der Rücktritt von den Ämtern.

Er beteuert seine Unschuld und erzählt seinen Besuchern, dass er in der Szene ermittelt habe. "Der Streit mit der Staatsanwaltschaft geht darum: Stand das in Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Abgeordneter?"

"Es gilt die Unschuldsvermutung"

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sagt nein. Jörg Tauss ja. Und die Schüler im Fraktionszimmer der SPD sagen erst einmal gar nichts dazu. Wenn man sie später anspricht, dann erzählen sie davon, wie sie am Abend davor schon über Tauss diskutiert haben. Manche finden ihn nun sehr locker. Manche sehr verkrampft. Alle aber sagen einen Satz: "Es gilt die Unschuldsvermutung."

Für Freiheit, gegen Zensur

Es ist ein Satz, der Wochen später auch wieder auftauchen wird, als Jörg Tauss seinen Übertritt zur Piratenpartei erklärt. Zu jener Gruppe, die für Freiheit im Internet kämpft und gegen drohende Zensur. Es ist das Thema von Jörg Tauss, der sich mit dem Internet und den Neuen Medien so gut auskennt wie kaum ein anderer Bundestagsabgeordneter.

Im Parlament hatte er wohl als erster ein iPhone, die Ballerspiele, über die so oft diskutiert wird, hat er alle schon probiert. Er ist schon früher bei Computer-Aktivisten aufgetreten, zuletzt in Karlsruhe, direkt neben seinem Wahlkreis - dort hat die Piratenpartei bei der Europawahl ihr bundesweit zweitbestes Ergebnis geholt: zwei Prozent. Diese Leute, die man früher mal Computer-Nerds nannte und die heute für die Freiheit im Netz kämpfen, hätte Tauss gerne bei den Jusos gehabt. Jetzt geht er halt zu ihnen.

Seit Samstag versteht sich Jörg Tauss als der erste Bundestagsabgeordnete der Piratenpartei, bis zur Wahl Ende September zumindest. Auf einer Kundgebung gegen die neue Internetgesetzgebung hat er seinen Austritt aus der SPD erklärt und es in die ganze Welt getwittert. Er stand vor dem Willy-Brandt-Haus, der Zentrale der SPD, und hat gesagt, es sei nun genug nach fast 40 Jahren in der Partei. Aus Protest gegen die Zustimmung der SPD zu Internet-Sperren, die vor allem Kinderpornoseiten treffen sollen, nach Ansicht von Tauss aber wirkungslose Zensur sind.

Kaum jemand stand ihm zur Seite

So kann man das sehen. Man kann aber auch sagen, dass die Ursache für den Austritt die Haltung der SPD zu Kinderpornofunden im Büro von Jörg Tauss war. Es gab kaum jemanden, der Tauss zur Seite stand, der zumindest zur Ruhe mahnte. Der Parteivorsitzende der Piraten sagt nun über den Überläufer, man heiße Tauss willkommen: "Es gilt doch die Unschuldsvermutung."

Im Fall von Jörg Tauss kommt dieser Satz einige Monate zu spät. Sein Rechtsanwalt Jan Mönikes sagt: "Es gibt Tatvorwürfe, bei denen sich die Strafe bereits durch die Erhebung des Tatvorwurfs vollzieht. Und der Tatvorwurf war schnell bekannt. Als die Staatsanwaltschaft sich an die Durchsuchungen machte, da standen bereits die Kamerateams vor dem Büro. In Bretten, in seinem Wahlkreis, wurden gleichzeitig Passanten auf dem Marktplatz gefragt, ob Tauss denn schon einmal auffällig geworden sei.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind noch nicht abgeschlossen. Aber man kann die Strafe bereits besichtigen. Der Ort Gochsheim ist nicht weit von Bretten, was sich wiederum in der Nähe von Pforzheim befindet. Gochsheim liegt auf einem kleinen Hügel, die Hauptstraße führt hinauf und wieder hinunter, oben gibt es ein kleines Schloss und viele schöne Fachwerkhäuser.

Vor zehn Jahren haben Jörg Tauss und seine Frau hier eine Baulücke gekauft und sie mit einem vierstöckigen Haus gefüllt, mit viel Glas und einem schönen Blick. Der Heimatverein hat ein Schildchen angebracht, auf dem gelobt wird, dass hier alt und neu hervorragend verbunden seien. An der Glastür hängt ein Zettel. "Von Privat zu vermieten."

Dauernd gibt es irgendwo einen Konflikt

Jörg Tauss sitzt im Wohnzimmer des Hauses gegenüber, im Erdgeschoss eine Metzgerei, oben haben er und seine Frau vier Zimmer zur Miete bezogen, die waren gerade frei. Es ist ein wenig eng und das Gegenteil ihres eigenen Hauses gegenüber, das man aus dem Fenster sieht. Das alte Leben. Ohne die Diäten als Abgeordneter sei nicht genug Geld da, um das Haus abzuzahlen, die Rente gibt es erst mit 67. Bis dahin sind es noch zwölf Jahre, die es zu füllen gilt.

Jörg Tauss hat noch einen Vertrag bei der IG Metall, er war dort einmal Pressesprecher und ist jetzt beurlaubt. "Denen werde ich meine Arbeitskraft anbieten", sagt er, ahnt aber gleichzeitig, dass er dort nicht unbedingt sehnlichst erwartet wird.

Warum immer dieser Streit?

Es gab Streit, weil Tauss im Bundestag Positionen vertreten hat, die man bei der IG Metall nicht so gut findet. Es ist überhaupt oft sehr schwierig in den Beziehungen von Jörg Tauss zu seiner Umgebung. Er ist ein freundlicher Mensch, der schauen kann wie eine Mischung aus einem treuen Bernhardiner und einer Eule.

Dauernd aber gibt es irgendwo einen Konflikt: Mit Peter Struck, dem Fraktionschef in Berlin, hatte er Zoff, früher wurde er einmal aus der Gewerkschaft ausgeschlossen, das muss man auch erst einmal schaffen. Das Verhältnis zur SPD-Landtagsfraktion in Stuttgart, wo er Generalsekretär war, ist völlig zerrüttet. Ute Vogt, die SPD-Landeschefin in Baden-Württemberg, mit der er ein Büro teilte und lange befreundet ist, war am Samstag die erste, die ihn aufforderte, sein Mandat zurückzugeben.

Warum also immer dieser Streit?

"Ich bin einer, an dem es sich immer entzündet hat, da gibt es keine Grautöne", sagt Tauss und sieht darin auch den Schlüssel zu der Sache mit den Kinderpornos. Er habe nie taktiert, sondern immer das getan, was er für richtig hielt. Als er vor Jahrzehnten einmal in der Werbung arbeitete, eine kanadische Fluglinie in Deutschland bekannt machen sollte, gab es noch keine digitalen Fotoarchive. Also ist Tauss selber monatelang durch die kanadische Wildnis gestreift und hat Bären und Bäume fotografiert. So ähnlich sei es nun wieder gewesen.

Ein anonymer Hinweis

Im Jahr 2007 habe er einen anonymen Hinweis bekommen, dass bei einigen Sex-Hotlines, die immer Werbung im Fernsehen machen, auch Minderjährige angeboten würden. Also habe er dort angerufen und gefragt, ob jemand Bilder habe, und irgendwann meldete sich auch ein 29-Jähriger aus Bremerhaven, der zugesagt habe, ihm Material zu schicken. Er überwies Geld und ließ sich eine CD mit Bildern schicken. Und er schickte auch Bilder zurück, um zu zeigen, dass er kein Polizist ist, der so etwas nicht dürfte.

Dass Kinder zum Missbrauch angeboten werden, wie ursprünglich vermutet, habe er nicht erlebt. Und auch der Kontakt in Bremerhaven sei nicht sonderlich ergiebig gewesen, die Sache irgendwann eingeschlafen. Ende 2008 kommt die Polizei dem Kontaktmann auf die Spur, sie geht sein Handy durch und jeder, der in der Liste steht, bekommt ein Ermittlungsverfahren.

"Es war alles ein schwerer persönlicher und politischer Fehler", sagt Tauss. Warum er sich denn nicht abgesichert habe? "Hätte ich dem Bundestagspräsidenten schreiben sollen?"

Ein Vorwurf, bei dem immer etwas hängenbleibt

Er hat es niemandem gesagt, nicht einmal seiner Frau, dabei ist das doch ein Thema, über das man sich abends austauschen und erleichtern müsste, wenn man beruflich damit zu tun hat. Wenn es denn so war.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sieht "keinen Zusammenhang mit der Tätigkeit als Abgeordneter". Das kann zweierlei bedeuten. Entweder hat Tauss es aus Neigung getan, nicht zu Recherchezwecken. Oder die Staatsanwaltschaft meint mit ihrer Aussage, dass auch Abgeordnete nicht Privatermittler spielen dürften. Die Frage wird sie erst beantworten, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind.

Es ist nicht klar, was er beweisen wollte

Doch selbst wenn Letzteres der Fall wäre, ist nicht so ganz klar, was Tauss beweisen wollte. Es war alles eine ziemliche Dämlichkeit, wenn es keine Neigung war. Er habe sich als Abgeordneter 15 Jahre lang mit dem Internet beschäftigt, sagt Tauss, mit seinen Gefahren, und er habe Beispiele sammeln wollen für seine Vorträge.

Schlauer ist man durch seine Recherchen nicht wirklich geworden. Und wenn man der Logik des Abgeordneten Tauss folgt, dann müsste sich jeder Drogenexperte im Bundestag einmal Heroin spritzen und die, die sich mit Frauenhandel beschäftigen, müssten sich eine Hure kaufen, um zu sehen, wie das denn so geht.

In seinem persönlichen Umfeld sei jeder von seiner Unschuld überzeugt, sagt Tauss. Die Frauen in der Verwandtschaft hätten zu ihm gesagt: "Wir würden unsere Kinder wieder zu dir bringen." Und der Bürgermeister im benachbarten Bretten hat ihm angeboten, mit ihm über den Markplatz zu laufen. Damit die Leute sehen, wer zu ihm steht.

In den nächsten Wochen oder Monaten wird die Staatsanwaltschaft entweder Tauss vorschlagen, das Verfahren gegen eine Geldstrafe einzustellen. Oder es kommt zu einem Prozess. Tauss wollte erst die ganze Sache vor Gericht durchfechten, seine Unschuld beweisen. Mittlerweile ist er unschlüssig. Das Ganze koste viel Geld und Zeit. Und es ist auch nicht sicher, dass ein Richter sagen wird: Das war eine Privatermittlung, die aus dem Ruder gelaufen ist.

Denn letztlich, sagt Tauss selbst, sei es doch so, dass bei dieser Art des Vorwurfes immer etwas hängenbleibe, ein Zweifel. "Man kann den Leuten nicht in die Hose schauen", sagt Tauss. Er sitzt in seiner engen Wohnung, in seinem neuen Leben.

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