Der Fall Fujimori:Ein Polit-Thriller erschüttert Peru

Der Fall Fujimori: Demonstranten protestieren gegen die Freilassung des Ex-Staatschefs Alberto Fujimori, hier in Lima.

Demonstranten protestieren gegen die Freilassung des Ex-Staatschefs Alberto Fujimori, hier in Lima.

(Foto: AFP)
  • Nach der Begnadigung des Ex-Staatschefs Alberto Fujimori ist Peru in Aufruhr.
  • Hinter der Freilassung des ehemaligen Staatschefs, der wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden war, steckt offenbar ein schmutziger Deal. In Sachen Dreistigkeit setzt er selbst für Lateinamerika neue Maßstäbe.
  • Der Fall Fujimori spaltet das Land - und sogar die Familie des Ex-Präsidenten.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Es war die größte Weihnachtsüberraschung in Peru, und sie hält die Nation immer noch im Bann. Nicht nur das Amt des glücklosen Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski steht dabei auf dem Spiel, sondern, vielleicht noch wichtiger, der Familienfrieden im einflussreichsten Clan des Landes, den Fujimoris. Der Ausgang dieses Dramas dürfte Peru noch prägen, wenn Kuczynski längst vergessen ist.

Viele Peruaner waren gerade mit den letzten Weihnachtseinkäufen beschäftigt, als die Eilmeldung des Jahres aufploppte: "Alberto Fujimori begnadigt!" Der ehemalige Staatschef war 2007 wegen schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Unter dem Siegel der Armutsbekämpfung hatte er in seiner Amtszeit von 1990 bis 2000 etwa die Zwangssterilisierung von Hunderttausenden Frauen angeordnet sowie einen blutigen Bürgerkrieg angezettelt, den er mit der Zerschlagung der Terrororganisation Leuchtender Pfad rechtfertigte. Nun wurde dieser Mann, 79 Jahre alt, also vorzeitig aus der Haft entlassen. Aus "humanitären Gründen", wie Kuczynski mitteilte.

Die Amtsenthebung des aktuellen Präsidenten scheiterte am Zwist der Geschwister

Das glaubt dem Präsidenten kaum einer. Auch am Donnerstag gingen wieder Tausende Peruaner auf die Straßen, um gegen die Freilassung zu protestieren, hinter der ganz offensichtlich ein schmutziger Deal steckte. Eine Dreistigkeit, die selbst für lateinamerikanische Verhältnisse neue Maßstäbe setzt. Bemerkenswert ist: In die Schar der Kritiker reihte sich auch die national-konservative Partei Fuerza Popular ("Volkskraft") ein, die in einem schriftlichen Statement bekanntgab: "Wir begrüßen die Freilassung von Alberto Fujimori, verurteilen aber die Art und Weise, wie sie zustande kam." Angeführt wird diese Partei von Keiko Fujimori, der ältesten Tochter des begnadigten Schwerverbrechers.

Man muss nicht unbedingt zwischen den Zeilen lesen, um festzustellen: Keiko, 42, hat damit vor allem ihren jüngsten Bruder Kenji, 37, öffentlich angegriffen. Auf dessen Betreiben kam der Vater mutmaßlich frei. Damit hat Kenji seiner Schwester aber auch den Griff nach der Macht im Land verbaut, zumindest vorerst. Mitleid ist hier sicherlich nicht angebracht, aber Papa Alberto hätte sich wahrscheinlich auch nicht erträumt, dass seine Heimkehr erst einmal einen veritablen Familienkrach auslösen würde.

Seit fast drei Jahrzehnten gilt die Regel: Wer in dieser Familie das Sagen hat, der bestimmt den Kurs der Fujimori-Partei, ohne die in Peru so gut wie gar nichts geht. Derzeit hält sie die absolute Mehrheit im Kongress. Keiko (in Peru wird sie stets beim Vornamen genannt) strebt seit einem Jahrzehnt vergeblich das höchste Staatsamt an. Zwei Präsidentschaftswahlen hat sie knapp verloren, obwohl sie in Umfragen weit in Führung gelegen hatte. Beide Male schloss sich der Rest des politischen Spektrums im letzten Moment zu einem Anti-Fujimori-Bündnis zusammen, um Keiko zu verhindern. Nun sollte ihr ein Amtsenthebungsverfahren gegen Kuczynski den Weg ebnen. Kurz von Weihnachten schien sie am Ziel zu sein. Bloß Kenjis Verrat hatte sie nicht einkalkuliert.

Kuczynski, 79, wurde im Impeachment "moralische Unfähigkeit" vorgeworfen, er soll Bestechungsgelder des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht angenommen haben, was der ehemalige Weltbank-Manager bestreitet. Für den Verlauf des Dramas ist die Schuldfrage eher nebensächlich, Keiko hatte die nötigen Stimmen zusammen, um Kuczynski abzusägen und alsbald nachzurücken. Glaubte sie jedenfalls. Bei der entscheidenden Abstimmung enthielten sich dann allerdings zehn Abgeordnete ihrer eigenen Partei, darunter der kleine Bruder. Kuczynski war gerettet, dank Kenji.

Drei Tage später dann der überraschende Gnadenbeschluss für Vater Alberto, auf den der jüngste Sohn schon seit Jahren hinarbeitet. Eine der engsten Vertrauten Keikos schimpfte: "Wir sind uns sicher, dass es hier um einen politischen Deal ging." Seither liefern sich die beiden Geschwister einen offenen Machtkampf um die Führungsrolle in der Partei, die früher oder später wohl an die Staatsspitze führt. Beide haben schon ihre Absicht verkündet, bei der nächsten Präsidentschaftswahl anzutreten. Kenji und seine Leute tönen, dass Keiko die Freilassung ihres eigenen Vaters aus Karrieresucht nie wirklich gewollt habe. Keikos Parteiflügel will wiederum ein Disziplinarverfahren gegen Kenji und seine Abweichler eröffnen. Es ist eine Schlammschlacht im Gange, eine Mischung aus Polit-Thriller und Familientragödie. Die älteren Peruaner kennen das schon von der vorangegangen Staffel, die sich Anfang der 1990er abgespielt hatte.

Vor allem in den ländlichen Gebieten wird der alte Fujimori immer noch verehrt

Alberto Fujimori hatte bei der Präsidentschaftswahl gerade den haushohen Favoriten Mario Vargas Llosa besiegt. Obwohl seine Eltern aus Japan eingewandert waren, setzte sich der Spitzname "El Chino" durch. Fujimori jedenfalls nutzte seine asiatische Herkunft geschickt aus. "Ein Präsident wie du" lautete sein Slogan. Vor allem die Mestizen und Indios, also etwa vier Fünftel der Peruaner, konnten sich mit einem japanischen Chinesen allemal besser identifizieren als mit dem berühmten Schriftsteller, der aus ihrer Sicht die weiße Oberschicht repräsentierte. Und gerade in den indigenen ländlichen Gebieten wird der alte Fujimori bis heute als entschlossener Kämpfer gegen Gewalt und Hyperinflation verehrt. Dabei hatte seine damalige Ehefrau Susana Higuchi, die Mutter von Keiko, Kenji und zwei weiterer Kinder, schon 1992 dieses Saubermann-Image zerlegt. Sie denunzierte die Brutalität und die Korruption des Fujimorismo, später präsentierte ihren vernarbten Rücken. Higuchi behauptete, sie sei auf Anordnung ihres Gatten gefoltert worden. Schließlich trat sie in einen Hungerstreik, um dessen Wiederwahl zu verhindern, vergeblich. El Chino ließ seine Frau aus dem Präsidentenpalast werfen und setzte seine älteste Tochter Keiko, damals 19, als First Lady ein. Sein Lieblingskind soll aber stets der kleine Kenji gewesen sein.

Keiko wandelte im Lauf ihrer Karriere unentwegt auf dem schmalen Grat zwischen Nähe und Opposition zum Vater. Sie distanzierte sich halbherzig von seinen Machenschaften und versuchte gleichzeitig, seine ungebrochene Popularität zu nutzen. Kenji hingegen stand dem Papa stets ohne Wenn und Aber zur Seite. Am Tag des Straferlasses veröffentlichte er ein Jubelvideo, Vater und Sohn mit geballten Fäusten am Krankenbett. Ganz so dramatisch, dass man ihn aus humanitären Gründen begnadigen müsste, wirkte der Gesundheitszustand Alberto Fujimoris dabei nicht. Und wenn er sich jetzt hinter den Kulissen wieder in die Familien- und Parteipolitik einmischt, wird wohl eher der treue Sohn als die widerspenstige Tochter den Machtkampf gewinnen. Albertos Fujimoris Leibarzt und Sprachrohr Alejandro Aguinaga nennt Kenji den "Tsunami des 21. Jahrhunderts". Und das ist positiv gemeint.

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