Der Fall Edathy:"Juristisch grober Unfug"

War es richtig, dass Hans-Peter Friedrich zurückgetreten ist, weil er Informationen zu Sebastian Edathy weitergab? Hat SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann den Chef des BKA zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses angestiftet? Fragen an den ehemaligen Bundesrichter und früheren Bundestagsabgeordneten Wolfgang Nešković.

Von Markus C. Schulte von Drach

Im Fall Edathy machen sich Politiker von SPD, CDU und CSU gegenseitig Vorwürfe, es wird dementiert, gerechtfertigt und schöngeredet. War es richtig, dass Hans-Peter Friedrich (CSU) von seinem Ministerposten zurückgetreten ist? Hat SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann den Chef des BKA zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses angestiftet? Und wieso ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Sebastian Edathy, wenn dieser sich nur legale Bilder von Kindern beschafft hat? Fragen an den ehemaligen Bundesrichter und früheren Bundestagsabgeordneten (für die Linke, später fraktionslos) Wolfgang Nešković.

SZ.de: Hans-Peter Friedrich bestreitet, SPD-Chef Sigmar Gabriel über Ermittlungen gegen Sebastian Edathy informiert zu haben. Hat der damalige Innenminister nur seine Pflicht getan, wie er selbst behauptet?

Wolfgang Nešković: Wir wissen nicht, was Friedrich genau gesagt hat. Nun erklärt er, er habe Gabriel darauf hingewiesen, dass es zu Edathy keinen Strafbarkeitsvorwurf gebe, sondern nur kompromittierende Informationen. Er hat diese Informationen aber in seiner Funktion als Innenminister erhalten, der zuständig ist für das BKA und die Bundespolizei. Solche kompromittierenden Informationen müssen deswegen aus der Sicht von Thomas Oppermann strafrechtlich relevante Informationen gewesen sein. Folgerichtig hat Oppermann in seiner Erklärung vom 13. Februar ja auch deutlich gemacht, dass Herr Friedrich Sigmar Gabriel gegenüber auf mögliche strafrechtliche Ermittlungen hingewiesen hat.

Hat er damit gegen das Dienstgeheimnis verstoßen? Er rechtfertigt sich damit, er wäre verpflichtet gewesen, Gabriel zu informieren, um Schaden vom deutschen Volke fernzuhalten.

Das ist juristisch gesehen grober Unfug. Es gibt keine Rechtsnorm, die Herrn Friedrich zu einem solchen Verhalten verpflichtet. Er kann allenfalls darauf verweisen, dass er sich nicht strafbar gemacht hat, weil die Verletzung des Dienstgeheimnisses nur dann strafbar ist, wenn dadurch wichtige öffentliche Interesen gefährdet würden. In diesem Zusammenhang kann er darauf verweisen, dass es im öffentlichen Interesse ist, zu verhindern, dass eine Bundesregierung Schaden nimmt, weil ein Minister oder Staatssekretär solchen Vorwürfen ausgesetzt wird wie Edathy.

Aber wenn der Innenminister Informationen über strafrechtliche Ermittlungen an Unbefugte weitergibt, dann besteht auch die Gefahr, dass diese weitergereicht werden und der Betreffende gewarnt wird. Durch so ein Verhalten wird der Strafanspruch des Staates gefährdet, und der ist auch ein wichtiges öffentliches Interesse. Diese beiden Interessen stehen gegeneinander und es ist eine Wertungsfrage, ob die Weitergabe der Informationen unter diesen Umständen gerechtfertigt ist. Ich würde sagen: Nein.

Das sieht Friedrich anders.

Ich sage deshalb Nein, weil Friedrich einen anderen Weg hätte beschreiten können. Er hätte zur Kanzlerin gehen müssen. Und die wäre in der Lage gewesen, der SPD zu sagen, dass bestimmte Personen für ein Amt nicht akzeptiert werden können - aus Gründen, über die sie nicht reden darf. Hätte ich als Richter hier zu entscheiden, dann würde ich sagen, es handelte sich um eine Verletzung des Dienstgeheimnisses. Und damit wäre ein Rücktritt gerechtfertigt. Andere Juristen mögen das aber anders sehen.

Sigmar Gabriel hat dann Thomas Oppermann und den damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier informiert. Durfte er das?

Gabriel ist kein Amtsträger und nicht durch das Gesetz zur Geheimhaltung verpflichtet. Friedrich hat offenbar darauf gesetzt, dass das Gespräch in der SPD vertraulich behandelt wird. Vertraulichkeit ist in der Politik allerdings ein rares Gut. Das hat sich ja offenbar auch bestätigt.

Nun werden Rücktrittsforderungen gegen Thomas Oppermann als SPD-Fraktionschef laut. Er hat angeblich den BKA-Chef Jörg Ziercke zur Verletzung des Amtsgeheimnisses angestiftet.

Oppermann hat sich am 13. Februar schriftlich geäußert. Und der Verwaltungsjurist und ehemalige Richter Oppermann muss sich doch gut überlegt haben, was er da schreibt. Er musste wissen, dass er allein auf der Grundlage dieser schriftlichen Erklärung einen strafrechtlichen Anfangsverdacht auf Herrn Ziercke und sich lenkte. Stimmte der von ihm so dargestellte Sachverhalt, hätte Herr Ziercke ein Dienstgeheimnis verletzt und Herr Oppermann ihn hierzu angestiftet. Diese juristische Wertung musste jedem durchschnittlich begabten Juristen sofort ins Auge springen. Das hat auch der Nichtjurist Ziercke sofort erkannt und die Darstellung von Oppermann umgehend dementiert.

Nach Presseberichten hat Oppermann daraufhin dennoch an seiner Version festgehalten. Erst als sich nach dem Rücktritt von Friedrich der Aufmerksamkeitsfokus auf ihn richtete, hat er seine Darstellung aufgegeben und der von Ziercke angepasst. Er muss sich nunmehr fragen lassen, warum er den Sachverhalt nicht gleich anders dargestellt und erst so spät eine Kehrtwende vorgenommen hat.

Von einem Volljuristen, der zudem Chef einer großen Regierungsfraktion ist, muss erwartet werden, dass er solche Anrufe unterlässt und wenn er sie schon tätigt, zumindest in der Lage ist, sie inhaltlich korrekt und widerspruchsfrei darzustellen.

Halten Sie die jetzige Version für glaubhaft?

Bei näherer Betrachtung bestehen erhebliche Zweifel, ob der nunmehr dargestellte Gesprächsverlauf glaubhaft ist. Zunächst spricht dagegen schon die schriftliche Erklärung vom 13. Februar. Hinzu kommt: Herr Ziercke ist SPD-Mitglied und auf dem SPD-Ticket BKA-Chef geworden. Er und Oppermann kennen sich sehr gut. Außerdem bestand die nicht fern liegende Aussicht, dass Herr Oppermann demnächst als Innenminister sein Dienstherr sein könnte, so dass sein weiterer Verbleib im Amt von diesem abhing.

Bei diesen Umständen fällt es schwer zu glauben, dass Herr Ziercke seinen Parteifreund nur angeschwiegen hat und der daraus seine Schlüsse gezogen hat. Hier besteht ein erheblicher Klärungsbedarf und die Öffentlichkeit sollte sich mit den Erklärungen der beiden nicht zufriedengeben.

Es ist aber doch verständlich, dass Oppermann sich beim BKA-Chef rückversichern wollte, bevor die SPD sich überlegt, wie sie mit Edathy umgehen soll.

Er kann aber deshalb nicht einfach Vorschriften außer Kraft setzen. Und die Angelegenheit hätte sich, wie gesagt, durch eine Information an die Kanzlerin ohne Rechtsbruch lösen lassen. Die ganzen Erklärungen jetzt sind hilflose Ausreden, die darauf abzielen, die Öffentlichkeit zu beruhigen.

Es gibt Stimmen, die nun den Rücktritt Oppermanns fordern.

Oppermann hat sich allein schon aufgrund seiner Erklärung vom 13. Februar dem Verdacht ausgesetzt, Gesetze nicht ernst nehmen zu wollen. Und wenn er in einem Akt der Selbstüberschätzung meint, er könnte einfach mal bei seinem Parteifreund Ziercke beim BKA anrufen und sich nach Dienstgeheimnissen erkundigen, statt die vorgegebenen Wege zu gehen, dann ist das ein Grund zur Beunruhigung. Der Rechtsstaat lebt von der Einhaltung der Rechtsvorschriften. Und nicht davon, dass man sich Gründe sucht, sich darüber hinwegsetzen zu können. Deshalb habe ich großes Verständnis für die Rücktrittsforderungen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sebastian Edathy, und lässt seine Wohn- und Büroräume durchsuchen, obwohl er legales Bildmaterial mit Kindern erworben hat. Wie kann das sein?

Juristisch gesehen setzt ein Ermittlungsverfahren einen Anfangsverdacht voraus. Der ist gegeben, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat bestehen. Nach kriminalistischer Erfahrung muss hierfür eine wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit gegeben sein.

Ob es eine Erfahrung gibt, wonach bei Pädophilen, die legales Material besitzen, auch davon ausgegangen werden kann, dass sie über illegale Bilder verfügen, ist zweifelhaft. Die Staatsanwaltschaft Hannover behauptet das, aber die anerkannte Kieler Strafrechtlerin und Kriminologin Monika Frommel bestreitet es vehement. Sollte ihre Auffassung zutreffen, wären die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die darauf beruhenden Durchsuchungen rechtlich unzulässig gewesen.

Manche Fachleute kritisieren, dass zu schnell ein Anfangsverdacht besteht und ermittelt wird.

Die Schwelle ist hier durch den Gesetzgeber bewusst gering angesetzt. Die Einleitungen von Ermittlungen stellen jedoch noch keine Verurteilung dar. 70 Prozent der Ermittlungsverfahren werden eingestellt. Deshalb finde ich es auch falsch, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im politischen Bereich so stark mit dem politischen Rücktritt verbunden ist.

Das Problem ist, dass die Öffentlichkeit bei Personen des öffentlichen Lebens die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit einer Verurteilung gleichsetzt. Das ist ein krasser Widerspruch zu einem der Kernelemente unseres Rechtssystems: Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mag zwar beunruhigend sein für den Betroffenen, aber das ist zunächst nichts Ehrenrühriges, sondern es handelt sich lediglich um einen Prüfvorgang mit offenem Ergebnis. Das müsste im Bewusstsein der Bevölkerung und der Medien stärker präsent sein.

Dann hätte Friedrich doch auch nicht zurücktreten müssen.

Wenn klar ist, dass er ein Dienstgeheimnis verraten hat, dann muss er zurücktreten. Es war aber falsch von ihm, zu sagen, er werde zurücktreten, sobald gegen ihn ermittelt wird. Er hätte noch nicht einmal dann zurücktreten müssen. So untergräbt er selbst die Bedeutung der Unschuldsvermutung und setzt die Staatsanwälte unter Druck. Bei einer solchen Erklärung wissen die, dass sie allein mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens über sein politisches Schicksal entscheiden. Die Öffentlichkeit sollte akzeptieren, dass Politiker erst zurücktreten, wenn sie rechtskräftig verurteilt wurden.

Hätte also auch Edathy in der Politik bleiben dürfen?

Die SPD hat jetzt klar gemacht, dass es bei Edathy nicht um die strafrechtliche Relevanz geht. Er hat sich bestimmte Bilder beschafft, die nicht strafbar sind. Aber es wird als Moralverstoß gewertet. Es gibt nun mal Verhalten, das nach allgemeinen gesellschaftlichen Maßstäben moralisch geächtet wird und das deshalb dazu führt, dass jemand einen politischen Posten nicht bekommt oder zurücktritt - das ist ein allgemeines Lebensrisiko.

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