Der Fall Demjanjuk:Die Zeugen fehlen

Im Haftbefehl gegen den mutmaßlichen KZ-Wärter wird nur auf die Aussage eines Verstorbenen Bezug genommen - lebende Zeugen sind offenbar nicht zu finden.

Alexander Krug

Im Verfahren gegen den mutmaßlichen KZ-Wärter John (Iwan) Demjanjuk zeichnet sich ein Problem ab. Wie aus dem Haftbefehl der Staatsanwaltschaft München I hervorgeht, fehlen den Ermittlern lebende Zeugen, die den 89-Jährigen zweifelsfrei erkennen.

Der Fall Demjanjuk: Offenbar gibt es keine lebenden Zeugen mehr, die sich an John Demjanjuk erinnern.

Offenbar gibt es keine lebenden Zeugen mehr, die sich an John Demjanjuk erinnern.

(Foto: Foto: ddp)

Unbekannt ist, welche und wie viele gerichtlich verwertbare Aussagen von verstorbenen Zeugen sich in den umfangreichen Ermittlungsakten befinden. Im Haftbefehl wird nur auf einen einzigen verstorbenen Zeugen Bezug genommen. Es ist aber auch nicht üblich, dass der Haftbefehl alle Beweismittel aufführt; dies ist erst in der Anklageschrift geboten.

Demjanjuk wird der Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen beschuldigt. Er soll im NS-Vernichtungslager Sobibór als Wachmann geholfen haben, Tausende Juden ins Gas zu treiben. Zentrales Beweismittel ist ein Dienstausweis Demjanjuks. Ansonsten verweist der Haftbefehl auf einen verstorbenen Zeugen. Am Mittwoch wurde Demjanjuk von Ärzten der Justizvollzugsanstalt Stadelheim Haftfähigkeit bescheinigt. Ob er verhandlungsfähig ist, wird sich frühestens nächste Woche entscheiden.

US-Behörden ermittelten 30 Jahre lang

97 Leitzordner mit etwa 30.000 Seiten haben die Ankläger zusammengetragen, vorwiegend handelt es sich um Material der US-Behörden, die mehr als 30 Jahre gegen Demjanjuk ermittelten. Zentrales Beweisstück ist bislang der Dienstausweis des gebürtigen Ukrainers und ehemaligen Rotarmisten. Nach seiner Gefangennahme im Mai 1942 wurde er von der SS zum Wachmann ausgebildet und am 27. März 1943 in das Vernichtungslager Sobibór geschickt. So steht es auf dem Dienstausweis mit der Nummer 1393, der von Experten als echt eingeschätzt und von den US-Behörden wie ein Schatz gehütet wird. Für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord (alles andere wäre verjährt) ist es zwingend, dass Demjanjuk bestimmte Mordmerkmale nachgewiesen werden.

Die Staatsanwaltschaft lastet ihm niedrige Beweggründe (Rassenhass) und Grausamkeit an. Auch als einfacher Wachmann hätte er die Qualen seiner in die Gaskammern getriebenen Opfer erkennen können und müssen, so die Argumentation. Demjanjuk habe durch seine Tätigkeit den rassischen Vernichtungswillen der Nazis bereitwillig unterstützt. Der reibungslose Ablauf der Massentötung sei ohne den Einsatz der 130 Trawnikis (so wurden die ukrainischen Wachmänner in Sobibór genannt) nicht möglich gewesen.

Als einzigen Zeugen verweist der Haftbefehl auf den Ukrainer Ignat Daniltschenko. Der soll gemeinsam mit Demjanjuk in Sobibór Dienst getan und nach dem Krieg ausgesagt haben, Demjanjuk habe "zögernde" Menschen regelrecht in die Gaskammern "gestoßen". Nach Erkenntnissen der Historikerin Gitta Sereny starb Daniltschenko 1985. Ein weiterer Zeuge, den die Ermittler nahezu gleichzeitig mit der Überstellung Demjanjuks am Dienstag vernommen haben, ist Thomas "Toivi" Blatt. Der 82-Jährige, der das Lager Sobibór überlebt hat, konnte sich aber an Demjanjuk nicht erinnern.

Möglichkeit zur Desertation

Ausführlich gehen die Ankläger im Haftbefehl auch auf die Problematik eines Befehlsnotstandes ein. Auch wenn Demjanjuk zwangsverpflichteter Kriegsgefangener gewesen sei, hätte er die Unrechtmäßigkeit der ihm erteilten Befehle erkennen müssen. Es sei kein einziger Fall bekannt, bei dem ein Wachmann wegen Befehlsverweigerung von den Deutschen erschossen worden wäre. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätte Demjanjuk, der in seiner Freizeit nicht bewacht wurde, auch jederzeit die Möglichkeit gehabt zu desertieren - so wie viele seiner Landsleute es getan hätten.

Sobald die Frage der Verhandlungsfähigkeit Demjanjuks geklärt ist, wird damit gerechnet, dass die Münchner Staatsanwaltschaft die Anklageschrift zügig ausarbeitet. Voraussichtlich noch im Juni soll sie vorliegen.

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