Der Fall Buback:Der lange Winter der RAF

Die Aufklärung der RAF-Taten ist kein Ruhmeskapitel der bundesdeutschen Kriminal- und Justizgeschichte. Dennoch sollten sich die Politiker mit der Forderung nach dem Aufrollen von RAF-Prozessen zurückhalten.

Heribert Prantl

Es ist erstaunlich, wie wenig selbst bei RAF-Taten, die als aufgeklärt gelten, tatsächlich aufgeklärt ist. Man kennt einige Täter, aber bei weitem nicht alle. Und auch bei denen, die man kennt und die zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind, weiß man oft nicht, wer genau was getan hat.

Leiche Bubacks

Polizisten decken am 7. April 1977 nach dem Attentat in Karlsruhe die Leiche von Generalbundesanwalt Siegfried Buback ab.

(Foto: Foto: AP)

Es existieren, jedenfalls bis Beginn der achtziger Jahre, Tausende, ja Zehntausende von Spuren. Aber sie rieseln durch die Prozessakten wie Sand. Sie haften offenbar nicht richtig an Personen. Natürlich ist trotzdem gestraft worden: schwer, schwerst, lebenslänglich.

Aber immer wieder hat sich die Justiz dabei mit juristischen Mitteln beholfen: Weil sie Details nicht klären konnte, hat sie entweder pauschal wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bestraft oder aber wegen Mittäterschaft. Das ist juristisch sauber, aber tatsächlich unbefriedigend.

Der Fall Buback ist ein Exempel: Man weiß bis heute nicht, wer geschossen hat, wer also, wie die Juristen sagen, "unmittelbarer Täter" war. Im Strafprozess gegen Verena Becker wurde seinerzeit, im Jahr 1977, das Verfahren auf andere schwere Anklagepunkte beschränkt; der Fall Buback fiel da angeblich nicht mehr ins Gewicht; er wurde aus Gründen der Prozessökonomie ausgeklammert.

Das Gericht hat sich die Sache leicht gemacht

Prozessökonomie hat die Detailaufklärung im Fall Buback verhindert: War Christian Klar unmittelbar Täter?

Unmittelbarer Täter ist derjenige, der die Straftat selbst, eigenhändig sozusagen, begeht. Mittelbarer Täter ist der, der eine Straftat durch einen anderen begehen lässt. Und Mittäter ist der, der am gemeinsamen Tatplan beteiligt ist, aber nicht beim gesamten Tatablauf selber dabei ist; er muss sich die Handlungen der anderen als die seinen zurechnen lassen.

Ob unmittelbarer Täter, mittelbarer Täter oder Mittäter: Bei einem Mord werden sie alle mit lebenslanger Haft bestraft. Und so hat sich das Oberlandesgericht Stuttgart damals, bei der Verurteilung von Klar, die Sache einigermaßen leicht gemacht: Er wurde wegen Mittäterschaft zu lebenslanger Haft verurteilt.

Wenn nun Details über seinen wirklichen Tatbeitrag bekannt würden: Sie ändern an dieser Bestrafung nichts; sie können auch nicht Anlass für eine Wiederaufnahme seines Verfahrens sein. Und wenn nun völlig neue Mittäter der Ermordung Bubacks auftauchen?

Der lange Winter der RAF

Mord verjährt nicht, ein Verfahren gegen bisher unbekannte Mittäter wäre also grundsätzlich möglich - aber zuvor muss geprüft werden, ob eine andere Tat, wegen der sie schon bestraft wurden, die Beteiligung am Buback-Attentat womöglich mitumfasst.

Die Rechtskraft eines anderen Urteils, vielleicht eine Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, könnte einem neuerlichen Verfahren entgegenstehen. Das alles sind komplizierte juristische Fragen, die erst beantwortet werden können, nachdem die alten Strafurteile genau analysiert worden sind.

Die Politiker sollten sich daher mit der Forderung nach dem Aufrollen von RAF-Prozessen zurückhalten. Hier geht es nicht um Politik, sondern um Strafrecht. Hurtige und wohlfeile Statements von Westerwelle und Co. sind kein Wiederaufnahmegrund.

Ein langer Winter

Es gibt gewaltige Defizite bei der Aufklärung der RAF-Taten seit 1977. Aber diese Defizite können nicht politisch, sondern nur akribisch behoben werden. Die juristische Akribie fehlt schon bei den Straftaten, die als leidlich aufgeklärt gelten: sei es Buback, sei es Schleyer.

Von späteren Straftaten mag man gar nicht reden. Es ist schon merkwürdig, wie sehr sich das öffentliche Interesse auf den Deutschen Herbst konzentriert, also auf die leidlich, wenn auch unvollkommen geklärten Straftaten des Jahres 1977.

Auf diesen deutschen Herbst folgt nämlich noch ein langer Winter, also die mörderischen Attentate, die bis heute nicht einmal im Ansatz aufgeklärt sind: nicht der Mord an Ernst Zimmermann, MTU-Chef; nicht der Mord am Siemens-Vorstandsmitglied Karl Heinz Beckurts und seinem Fahrer; nicht die Ermordung des Spitzenbeamten Gerold von Braunmühl; nicht die Ermordung von Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank; nicht die Ermordung von Detlev Karsten Rohwedder, Leiter der Treuhandanstalt.

Man fragt sich, worin der größere Skandal besteht: im Desaster der Ermittlungen oder darin, dass dieses Desaster offensichtlich niemand mehr rührt.

Kein Ruhmeskapitel

Hindert das die Begnadigung der letzten, zu lebenslanger Haft verurteilten ehemaligen RAF-Mitglieder? Soll Christian Klar, nach vierundzwanzigeinhalb Jahren im Gefängnis, weiter büßen - stellvertretend für all die, die nie verurteilt wurden, stellvertretend für das, was unaufgeklärt geblieben ist?

Die Aufklärung der RAF-Taten und ihre juristische Aufarbeitung ist kein Ruhmeskapitel der bundesdeutschen Kriminal- und Justizgeschichte. Die RAF gibt es nicht mehr; womöglich hat die großzügige Begnadigungspraxis daran ihren guten Anteil. Wenn es so ist, war die Gnade erfolgreicher als die Kriminalistik und die Justiz.

Die RAF hat sich aufgelöst, sie ist keine Gefahr mehr, nur das ist gesicherte Erkenntnis. Es ist schwer zu akzeptieren, dass mit den Mitteln der Justiz nicht mehr an Aufklärung möglich war. Aber das ist kein Hinderungsgrund für Gnade.

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