Der Fall Berg:Video-Botschaft aus der Steinzeit

Die Eltern vermuten, dass ihr Sohn Nicholas Berg auch deshalb sterben musste, weil er Jude war.

Von Wolfgang Koydl

Für die New York Post ist die Sache ganz klar, und sie nimmt wie gewohnt kein Blatt vor den Mund: "Wilde" schreit es von der Titelseite der rechtsgerichteten Boulevardzeitung über einem Foto, das Nicholas Berg zusammen mit seinen fünf vermummten Mördern zeigt.

Nicholas Berg

"Es ist eher wahrscheinlich, dass sie wussten, dass er Jude ist": Nicholas Berg in Gefangenschaft.

(Foto: Foto: dpa)

"Vergesst Abu Ghraib", heißt es in einem Kommentar der Post dann weiter. "Bösartige, halsabschneidende Terroristen müssen ausgemerzt werden, und es gibt sicher keine ,nette' oder schmerzlose Art, dies zu erreichen."

Das kreischende Boulevardblatt steht sicher nicht für die Mehrheit der US-Medien, geschweige denn für die meisten Amerikaner. Aber die grauenvollen Bilder von der Ermordung des 26-Jährigen aus West Chester, einem bürgerlichen Vorort von Philadelphia, haben der Debatte über den Krieg im Irak, über den Kampf gegen den Terrorismus und über die Misshandlungen irakischer Gefangener eine neue Wendung gegeben.

"Bombt sie zurück in die Steinzeit!"

Erste Umfragen belegen, dass viele Amerikaner nun dazu neigen, härter gegen Terroristen durchzugreifen als bisher. "Bombt sie zurück in die Steinzeit, wo ihr Denken ja offensichtlich schon ist", hieß es in einer E-Mail an den Sender CNN.

Fast alle Zeitungen kommentieren die blutigen Vorgänge im Irak. Die meisten Kommentatoren sehen eine Verbindung zwischen den Vorfällen im Abu-Ghraib-Gefängnis von Bagdad und der Enthauptung Bergs. Doch die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, sind unterschiedlich.

Rush Limbaugh, die Ikone der erzkonservativen Talkradio-Moderatoren, überschlug sich vor Zorn über liberale Stimmen, die letzten Endes eine Mitschuld der USA an dem Mord sähen. Wären keine US-Truppen im Irak, wäre auch Berg zu Hause geblieben und nicht brutal abgeschlachtet worden, lautet deren Argument. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind Rufe nach Vergeltung zu vernehmen.

Eine Zeitung, die zu Nachdenklichkeit und Mäßigung aufrief, war die Philadelphia Daily News, die Heimatzeitung des getöteten Amerikaners. Deren Kommentator fragte sich, warum der internationale Aufschrei nach dem Mord an Berg nicht ebenso laut ausgefallen sei wie die Empörung wegen der Gefangenenmisshandlungen, und er kam zu dem Schluss, dass dies richtig und gut gewesen sei.

"Der Mord an Berg kann nicht als Rechtfertigung für barbarische Akte unsererseits herangezogen werden", schrieb der Autor. "Wir müssen als Nation besser sein."

In der Öffentlichkeit überwiegen Fassungslosigkeit und Sprachlosigkeit. Aufmerksame Beobachter haben zudem registriert, dass sich ausgerechnet am selben Tag, an dem das Horrorvideo bekannt wurde, auch palästinensische Terrorbanden im Gaza-Streifen ähnlich unmenschlich verhielten und mit den Köpfen getöteter israelischer Soldaten Fußball spielten.

"Sie handeln im Namen Gottes aber zugleich wie Tiere"

Der republikanische Senator John McCain aus Arizona meinte, die Bilder aus Bagdad unterstrichen die "krassen Unterschiede zwischen Amerikanern und diesen Barbaren". Sein Amtskollege Lindsey Graham aus dem Bundesstaat South Carolina erklärte, dass die Terroristen zwar "im Namen Gottes, aber zugleich wie Tiere handeln".

Die Schreckensbilder von der Enthauptung haben zudem Forderungen neue Nahrung verliehen, keine weiteren Fotos von Gefangenenmisshandlungen im Irak zu veröffentlichen, da dies erneut gewalttätige Reaktionen in der muslimischen Welt nach sich ziehen könnte.

Das Video von der Enthauptung Bergs erinnerte an die Aufnahmen von dem Mord an dem amerikanischen Journalisten Daniel Pearl 2002 in Pakistan. Beide Männer waren von ihren Entführern vor ihrem Tod gezwungen worden, in nahezu gleich lautenden Erklärungen die Namen ihrer Eltern und Geschwister anzugeben. Experten vermuten, dass die Mörder damit unterstreichen wollten, dass ihre Opfer Juden waren.

Berg hatte nach den Worten seines Vaters Michael einen Gebetsschal im Gepäck, als er in den Irak ging. "Es ist eher wahrscheinlich, dass sie wussten, dass er Jude ist", sagte er über die Mörder seines Sohnes. "Falls sie Zweifel gehabt hätten, ob sie ihn töten sollten, dann waren die damit wohl beseitigt. Aber ich kann das nur vermuten."

Bergs Eltern, die den Irak-Krieg von Anfang an abgelehnt hatten, waren auch dagegen gewesen, dass ihr Sohn in den Irak fuhr. Der seit seiner Kindheit technisch hochbegabte junge Mann wollte preiswerte und praktische Möglichkeiten erkunden, Sendemasten für ein Handy-Netz im Irak zu errichten. Ans Geld dachte er dabei, wenn überhaupt, erst in zweiter Linie, wie seine Familie berichtet.

Er sah sich eher als Entwicklungshelfer, der Menschen in armen Ländern unterstützen wollte. Als Student war er für mehrere Monate in die westafrikanische Republik Ghana gereist, wo er Bauern beibrachte, billig Baumaterial herzustellen. Als er heimkam, so schildert es sein Vater, besaß er nur die Kleider, die er am Leib trug. Alles andere hatte er verschenkt.

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