Der Fall Althaus:Erkauftes Mitleid

Nicht das tödliche Unglück, das Dieter Althaus verursacht hat, belastet die Politik: Es ist die Art und Weise, wie dieses Unglück inszeniert wird und wie es die Politik in Thüringen beherrscht.

Heribert Prantl

Mitleid ist eine Tugend. "Wer uns mitleidig macht", so schrieb vor 250 Jahren der Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, "macht uns besser und tugendhafter." Lessing stellte daher das Mitleid ins Zentrum seiner Darlegungen zur Reform des Theaters: Vor allem Mitleid sei das Gefühl, das eine Tragödie erregen müsse. Der Dichter solle also, so verlangt es Lessing, "uns", das Publikum, "so weit fühlbar machen, dass uns der Unglückliche rühren und für sich einnehmen muss".

Der Fall Althaus: Thürigens Ministerpräsident Dieter Althaus stellt sich vor seinem Haus den Medien.

Thürigens Ministerpräsident Dieter Althaus stellt sich vor seinem Haus den Medien.

(Foto: Foto: Getty Images)

Das liest sich in diesen Tagen fast wie ein Loblied auf die Bild-Zeitung, die nach dieser Maßgabe zu handeln scheint - weil sie sich in Wort und Bild bemüht, das Mitleid mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Althaus zu wecken und zu erhalten. Althaus befindet sich nach einem schweren, von ihm am Neujahrstag verschuldeten Ski-Unfall in der Phase der Rekonvaleszenz.

Anders als einst Schäuble oder Lafontaine ist er nicht Opfer einer schweren Straftat, sondern eines eigenen Fehlers. Mitgefühl verdient er gleichwohl; aber eine tragische Figur, gar ein tragischer Held, ist er nicht. Ihn hat kein unabwendbares Schicksal getroffen; er hat einen Fehler gemacht, der furchtbare Folgen hatte: Er hat fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, ist dabei selber verletzt worden. Das ist traurig, nicht tragisch - weil der Unfall kein Zufall war, weil er vermeidbar gewesen wäre, so vermeidbar wie Tausende von fahrlässigen Tötungen, die von den Gerichten bestraft werden und auch bestraft werden müssen.

Ein Trauerspiel

Der Unterschied zwischen dem realen Fall des unglücklichen Ministerpräsidenten und einem Trauerspiel ist, dass erst die Bild-Zeitung ein solches Trauerspiel daraus macht: Sie stellt den kranken Ministerpräsidenten auf ihre Bühne und macht den Vorhang auf, wenn es ihr passt, - und Althaus lässt es geschehen, weil er meint, dass ihm das so erzeugte Mitleid politisch hilft.

Es handelt sich um einen politisch-publizistischen Deal: Exklusivität gegen Mitleid. Das veröffentlichte Wohlwollen ist die Gegenleistung dafür, dass Althaus zwar nicht seiner Partei, nicht dem Parteitag und nicht der demokratischen Öffentlichkeit zur Verfügung stand, aber dafür exklusiv ein paar Journalisten (und nur diesen). Die Krankheit wird zu einer Inszenierung, die Althaus als Opfer eines Schicksalsschlages präsentiert. Das ist tragisches Dichten, aber nicht im Sinne Lessings.

Nun ist es auch im politischen Alltag nicht etwas ganz Ungewöhnliches, dass mit Informationen Geschäfte gemacht werden; auf diese Weise hat der eine oder andere Politiker sich eine geneigt-freundliche Darstellung und Begleitung privater Kalamitäten (Ehescheidung und Partnerwechsel beispielsweise) erkauft. Es ist aber völlig neu, dass ein amtierender Regierungschef sich in Gänze, als Person und Politiker, monopolisieren lässt.

Wie ein Star

Althaus ist der erste Ministerpräsident, der sozusagen unter Exklusivvertrag steht - so wie ihn sonst nur Stars, Sternchen oder zuvor unbekannte Menschen des öffentlichen Interesses schließen, die ein Unglück oder eine Straftat in den Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit geschleudert hat. Sie versilbern und vergolden dann auf diese Weise ihr Unglück.

Nicht anders ist es bei Althaus. Er kriegt die Bühne der Boulevard-Zeitung, er kriegt das Mitleid, das dort wachgehalten wird, aber er kriegt es nur zu den Bedingungen des Theaters, das die Bühne aufstellt. Zu den Bedingungen gehört: Du trittst vorläufig nur bei uns auf. Das darf man nicht der Bild-Zeitung anlasten; für sie ist das ein Coup. Anlasten muss man das dem Ministerpräsidenten.

Mitleid ist nicht Politik

So darf sich eine Natascha Kampusch verhalten, auch die Tochter des Vergewaltigers Fritzl, so dürfen die Opfer spektakulärer Straftaten handeln, die auf diese Weise von dem Leid, das sie erlitten haben, wenigstens finanziell ein wenig profitieren. Ein demokratisch gewählter Ministerpräsident darf das nicht. An dieser Stelle ist zu beklagen, wie es sich eingebürgert hat, dass Straftäter ihre "Erlebnisse" exklusiv gegen viel Geld vermarkten. Gewiefte Verteidiger sind vor Jahrzehnten auf diese Idee gekommen und haben sich ihre Honorare von diesem Geld bezahlen lassen. Solche Geschäfte mit Straftaten sind intolerabel. Geld, das auf diese Weise nachträglich mit Straftaten verdient wird, ist bemakelt; es verfällt der Opferhilfe.

Ein Ministerpräsident ist nicht einer Zeitung, sondern seinen Wählern gegenüber exklusiv verantwortlich; er kann sich nicht dem Parteitag, der ihn zum Spitzenkandidaten wählt, aus Krankheitsgründen entziehen und sich zugleich einer Zeitung zu Krankheitsvermarktungszwecken präsentieren. Nicht das tödliche Unglück, das Althaus verursacht hat, belastet die Politik; es ist die Art und Weise, wie dieses Unglück inszeniert wird, wie es die Politik in Thüringen beherrscht und den Wahlkampf dominiert. Die Rückkehr und die Befindlichkeit des potentiellen Hauptwahlkämpfers gerät zum Hauptthema.

In Thüringen gibt es ein Opelwerk und Arbeiter, die um ihre Existenz bangen, es gibt Probleme in Hülle und Fülle. Darüber muss im Wahlkampf gestritten werden, nicht über die Schuld auf der Piste. Althaus sollte die Bühne für die Politik freigeben. Es mag sein, dass er dort Mitleid und Mitgefühl erregt. Mitleid ist aber kein Politik-Ersatz.

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