Der Fall Althaus:Die nicht schuld sein wollen

Althaus und andere Fahrlässigkeitstäter: Sie haben "es" nicht gewollt, aber sie können etwas dafür.

Heribert Prantl

Es gibt die Straftaten, die beginnen mit den Wörtern "Ich habe": Ich habe gestohlen, ich habe betrogen, ich habe getötet. Das sind die vorsätzlichen Straftaten; bei diesen ist die Schuld des Täters greifbar, glasklar, manifest. Und es gibt die Straftaten, die beginnen mit den Wörtern: "Ich habe doch nur ..." - nur den Apfel aufgehoben, der im Fußraum des Autos rollte; nur die Baugrube nicht ordentlich gesichert; nur die Schusswaffe versehentlich in der Nachttischschublade liegen lassen; nur einen Moment lang nicht richtig aufgepasst.

Der Fall Althaus; ddp

Schuld, sagt Ministerpräsident Althaus, sei für ihn nicht die richtige Kategorie.

(Foto: Foto: ddp/Archiv)

Auf dieses "nur" folgt oft ein großes Aber: Aber dann ist das Auto in die Fußgängergruppe gerast; aber dann sind Kinder in der Grube zu Tode gestürzt; aber dann hat der 17-jährige Sohn die Waffe genommen und ist zum Mörder geworden. Das sind die fahrlässigen Straftaten. Der Schuldige beteuert entsetzt, dass er das "nicht gewollt" habe; und jeder weiß, dass das wirklich so ist. Und trotzdem ist er schuld, weil er etwas dafür kann.

Wohl die Hälfte aller Delikte sind solche Fahrlässigkeitsdelikte. Bei ihnen fällt es dem Beschuldigten schwer, seine Schuld zu akzeptieren - weil sein Fehler so klein erscheint und "nur" dessen Folgen so furchtbar sind. So ergeht es dem Ministerpräsidenten Althaus. Ihm ergeht es so, wie es dem Arzt ergehen mag, der übermüdet operiert hat; wie der Mutter, die zu schnell gefahren ist, weil sie ihr Kind vom Hort abholen musste; wie dem Apotheker, der im Stress das falsche Medikament ausgegeben hat - jeweils mit tödlichen Folgen.

Schuld sei, so sagt Althaus, für ihn "nicht die richtige Kategorie". Sie ist es leider doch - weil sein Fall eben kein Zufall war, weil Althaus selbst, durch Sorglosigkeit, Leichtsinn, Pflichtwidrigkeit, das Unglück heraufbeschworen hat. Darin besteht seine Fahrlässigkeitsschuld; sie ist eine Schuld, die jeder sich auflädt, der jene Sorgfalt, die ihm an sich möglich ist, außer Acht gelassen hat.

Die Schuld ergibt sich aus einer hypothetischen Frage: Was wäre geschehen, wenn der Täter sich pflichtgemäß verhalten hätte? Wäre das Auto nicht in die Fußgängergruppe gerast? Wäre die Skifahrerin noch am Leben? Es gibt freilich Gefahren, die rechtlich nicht relevant, weil überhaupt nicht vorhersehbar sind. Im Lehrbuch steht dazu der Fall des Mannes, der seine Freundin zu einem Treffen bestellt, bei dem sie dann von einem Meteoriten erschlagen wird. So mag man den Zufall vom verschuldeten Unglück abgrenzen.

Fahrlässigkeit ist Risikoerhöhung: Die Schuld des fahrlässigen Täters besteht darin, dass er für seine Opfer das Risiko, verletzt oder getötet zu werden, voraussehbar erhöht hat. Diese Schuld mag, verglichen mit der Schuld, die der Vorsatztäter auf sich lädt, geringer sein; das ist bei der Bestrafung zu berücksichtigen. Jede Strafe aber besagt: Der Bestrafte ist schuldig. Ohne Schuld gibt es keine Strafe. Das folgt aus den rechtlichen Kategorien. Die rechtliche Kategorie ist auch für einen amtierenden Ministerpräsidenten die richtige Kategorie.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: