Der Einfluss des Westens:Warnen, schmeicheln, hoffen

US State Secretary Kerry in Brussels prior EU Foreign Affairs Cou

Diplomatische Gratwanderung: US-Außenminister John Kerry in Brüssel.

(Foto: Laurent Dubrule/dpa)

US-Außenminister Kerry und die EU mahnen die Türkei. Doch unter Druck setzen können sie Ankara kaum.

Von Daniel Brössler

Der amerikanische Außenminister steht im Pressesaal des europäischen Ratsgebäudes und sucht etwas. "Natürlich hat die Nato auch Anforderungen, welche die Demokratie betreffen", antwortet John Kerry, langsam seine Worte wägend. Es geht um die Frage, welche Druckmittel eigentlich zur Verfügung stehen für den Fall, dass die Türkei sich weiter in Richtung eines autoritären Staates entwickelt. Wonach Kerry sucht, während er sich verbal nach vorne tastet, ist die richtige Dosis. Wie deutlich müssen die Mahnungen sein, damit sie der Empfänger versteht? Wie vorsichtig müssen sie ausfallen, um nicht mehr zu schaden als zu nutzen?

Kerry entscheidet sich für Sätze, die zwar unscharf formuliert sind, aber doch eine scharfe Botschaft transportieren. Die Nato werde, sagt er, "sehr genau wahrnehmen, was in der Türkei passiert. Meine Hoffnung ist, dass die Türkei sich in eine Richtung entwickelt, die das respektiert". Drei Mal habe er in den vergangenen Tagen mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu gesprochen. Dieser habe "versichert, dass sie vollständig beabsichtigen, den demokratischen Prozess und das Gesetz zu respektieren". Andererseits seien natürlich viele Menschen in sehr kurzer Zeit verhaftet worden.

"Das Maß an Wachsamkeit und Überprüfung wird erheblich sein in den nächsten Tagen", resümiert Kerry, der eigentlich zu den EU-Außenministern nach Brüssel gekommen war, um in Zeiten des Brexit die Verbundenheit der Vereinigten Staaten mit der Europäischen Union zu demonstrieren. Nun aber geht es um eine gemeinsame Linie gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der nach dem gescheiterten Putschversuch seinen Weg zu absoluter Macht fortzusetzen scheint. Die Frage in Brüssel ist, ob und von wem Erdoğan noch zu stoppen sein könnte. Vor allen anderen habe die EU sich gegen die Putschisten gewandt, sagt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Das Vorgehen gegen die Verantwortlichen des Umsturzversuchs könne nun aber keine Entschuldigung dafür sein, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit außer Kraft zu setzen. "Da sind wir sehr wachsam", warnt sie. "Nicht zum Wohle der EU oder von Verhandlungen, sondern zum Wohle der Türkei und des türkischen Volkes selbst."

Brüssel versucht nun, Ankara rote Linien aufzuzeigen

Was die EU selbst betrifft, so befindet sie sich in einer höchst unangenehmen Situation. Seit sie im März dieses Jahres mit der Türkei einen Deal zur Entschärfung der Flüchtlingskrise geschlossen hat, gilt es als ausgemacht, dass die Führung in Ankara am längeren Hebel sitzt. Seitdem die Vereinbarung greift, ist die Zahl der täglich auf illegale und gefährliche Weise über die Ägäis kommenden Asylsuchenden und Migranten von im Durchschnitt 1740 auf nur noch 47 gesunken. Das Abkommen verknüpfte allerdings zentrale Anliegen der Türkei mit der Flüchtlingsfrage. So stellte Brüssel im Gegenzug eine Belebung der EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht sowie eine beschleunigte Einführung der Visafreiheit für Türken - um die es wegen zu scharfer türkischer Anti-Terror-Gesetze nun aber noch mehr Ärger geben dürfte.

Berechtigt ist daher die Frage, wie groß der Spielraum der EU gegenüber Erdoğan eigentlich ist. Die EU befinde sich "nicht in einer einseitigen Abhängigkeit", sagt dazu Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Das zeige schon ein Blick auf die Karte. Wegen der Nähe zu Syrien und Irak brauche die Türkei die USA und auch die EU.

Vorsichtshalber versucht es die EU aber auch mit roten Linien. "Kein Staat kann Mitglied der Europäischen Union werden, wenn er die Todesstrafe einführt", sagt Mogherini. Zwar sind in den seit dem Jahr 2005 laufenden Verhandlungen die Kapitel 23 und 24, in denen es um Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte geht, noch gar nicht eröffnet worden. Für den Fall, dass die Türkei tatsächlich die Todesstrafe wieder einführen sollte, entfiele aber mit ziemlicher Sicherheit die Grundlage für Gespräche auch in allen anderen Bereichen.

Das Land sei ein Schlüssel partner der EU, erklären die Außenminister

In Brüssel wird in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Beitrittsverhandlungen verwiesen. "Die Türkei ist ein wichtiges Mitglied des Europarates und als solches an die Europäische Konvention der Menschenrechte gebunden, die sehr klar ist in der Frage der Todesstrafe", sagt Mogherini. In der Tat. "Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden", heißt es in den Protokollen Nr. 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch von der Türkei unterschrieben und ratifiziert worden sind.

Die politischen Druckmittel aber sind erfahrungsgemäß begrenzt. Nach der Annexion der Krim und dem Beginn des Krieges im Osten der Ukraine wurde den russischen Vertretern in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats das Stimmrecht entzogen, die Mitgliedschaft Russlands im Europarat aber blieb unangetastet. Fraglich ist auch, wie viel Gegenwind einer ungehemmt autoritär regierten Türkei aus der Nato entgegenschlagen würde. Zwar wird in der Präambel des Nordatlantik-Vertrags die Entschlossenheit bekundet, "die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten". Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der am Montag mit Erdoğan telefoniert, lässt mitteilen: "Als Teil einer einzigartigen Wertegemeinschaft ist es wesentlich, dass die Türkei - wie alle anderen Verbündeten - den vollständigen Respekt für die Demokratie, ihre Institutionen, die Verfassungsordnung, die Rechtstaatlichkeit und die Grundrechte sicherstellt." Dennoch gehört historisch gesehen das Pochen auf ein demokratisches Verhalten seiner Mitglieder nicht zu den starken Seiten der Nato. Zumindest während des Kalten Krieges nahm sie Staatsstreiche mehrfach hin.

Die Hoffnung im Westen speist sich nun eher aus der Annahme, dass Erdoğan davor zurückschreckt, das Verhältnis zu den USA und zu den EU-Staaten vollends zu ruinieren. "Hoffentlich können wir in einer konstruktiven Weise zusammenarbeiten, die einen Rückfall verhindert", sagt Kerry. "Die Türkei ist ein Kandidatenland und ein Schlüsselpartner der EU", beschwören die EU-Außenminister die weitere Kooperation. Man wolle auch angesichts gemeinsamer Herausforderungen weiter zusammenarbeiten mit einer "demokratischen, inklusiven und stabilen Türkei". Auf einem Prinzip scheinen die Außenminister jedenfalls zu bestehen, dem Prinzip Hoffnung.

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