Der Deutsche Herbst - Tag 41:Schleyer junior bittet Karlsruhe um Hilfe

Samstag, 15. Oktober 1977: Hanns-Eberhard Schleyer gibt den Kampf um das Leben seines Vaters nicht auf. Er beantragt beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung, um die inhaftierten RAF-Mitglieder freizulassen.

Robert Probst

In der Nacht übermittelt Anwalt Denis Payot der Regierung die Abschrift eines neuen Videobandes des entführten Arbeitgeberpräsidenten. Hanns Martin Schleyer sagt: "Ich frage mich in meiner jetzigen Situation wirklich, muß denn nun etwas geschehen, damit Bonn endlich zu einer Entscheidung kommt? Schließlich bin ich nun fünfeinhalb Wochen in der Haft der Terroristen und das alles nur, weil ich mich jahrelang für diesen Staat und seine freiheitlich-demokratische Grundordnung eingesetzt und exponiert habe. Manchmal kommt mir ein Ausspruch - auch von politischen Stellen - wie eine Verhöhnung dieser Tätigkeit vor."

RAF; Schleyer junior; Karlsruhr

Landshut-Entführung: Flughafenmitarbeiter in Dubai bringen Verpflegung an Board.

(Foto: Foto: AP)

Von Dubai aus, wo die von vier Hijackern entführte Lufthansa-Maschine Landshut seit fast 24 Stunden steht, sendet Kapitän Jürgen Schumann ein Telegramm an Kanzler Helmut Schmidt: "Das Leben von 91 Männern, Frauen und Kindern an Bord des Flugzeugs hängt von Ihrer Entscheidung ab. Sie sind unsere letzte und einzige Hoffnung."

GSG 9 soll die Befreiung der Geiseln übernehmen

In der Kabine herrschen am Tag Temperaturen von 60 Grad, die Klimaanlage fällt zeitweise aus, die Toiletten sind verstopft und laufen über, einige Passagiere werden ohnmächtig. Am Vormittag beschließt der Große Politische Beratungskreis: "Es soll auf eine - notfalls gewaltsame - Befreiung der Geiseln in der entführten Lufthansa-Maschine hingearbeitet werden." Diese Aufgabe soll die GSG 9, eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, die nach dem Attentat auf die Olympischen Spiele 1972 in München aufgebaut wurde, übernehmen.

Der Chef der Truppe, Ulrich Wegener, spricht von einem "Himmelfahrtskommando". Die GSG 9 fliegt Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, der die Verhandlungen mit den Entführern leitet, nach Dubai hinterher.

Die Bild-Zeitung titelt: "Das Ende ist nah." Die Bundesrepublik erlebe "die schwersten und schwärzesten Stunden seit ihrem Bestehen." Im Leitartikel der Süddeutschen Zeitung schreibt Hans Heigert: "Es ist zu fürchten, daß es bald keine richtige Entscheidung mehr gibt, nur noch Abwägungen zwischen der Vermeidung eines Blutbades jetzt und den blutigen Opfern an Menschenleben in der Zukunft. . . . Diese Zeitung, so wenig im Besitz zureichender Informationen wie alle anderen Kommentatoren, enthält sich jeglicher wohlfeiler Empfehlung, solange noch winzige Hoffnungen bestehen, ohne schwerste Opfer aus der unmenschlichen Zwangslage herauszukommen."

Lösegeld-Übergabe wird bekannt

Die Terroristen hatten ein Lösegeld von 15 Millionen Dollar (damals etwa 35 Millionen Mark) gefordert, Schleyers Sohn, Hanns-Eberhard, soll es überbringen. Dieser erklärt sich dazu bereit, obwohl die Bundesregierung davon dringend abrät - die Aktion, bei der Schleyer über mehrere Flughäfen um die halbe Welt fliegen soll, sei viel zu gefährlich.

Die Regierung stellt das Geld aus der Bundeskasse in der gewünschten Stückelung bereit, es wiegt 130 Kilo; allerdings wird der Presse vorab Ort und Zeit des Treffpunkts bekannt. Um zwölf Uhr warten am Frankfurter Hotel Intercontinental 100 Journalisten und zwei Kamerateams. Die Aktion wird abgebrochen. Die Übergabe wurde aus höchsten Regierungskreisen hintertrieben, BKA-Chef Horst Herold selbst will es gewesen sein.

Viermal rufen die RAF-Terroristen bei Schleyer junior an, um ihn zu überzeugen, die Reise doch noch anzutreten. Erst am späten Abend geben sie nach und sind einverstanden, dass das Lösegeld den Gefangenen, die freigepresst werden sollen, mitgegeben wird.

Bundesverfassungsgericht wird eingeschaltet

Hanns-Eberhard Schleyer, 33, jedoch gibt den Kampf um das Leben seines Vaters nicht auf. Am Nachmittag beantragen seine Anwälte beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung, die die Regierung zwingen soll, die elf inhaftierten RAF-Mitglieder vor Ablauf des Ultimatums am 16. Oktober, 9 Uhr, freizulassen, "als unabdingbare Voraussetzung zur Abwendung gegenwärtiger drohender Gefahr für das Leben des Antragstellers".

Die Anwälte verweisen auf den Schutz des Lebens im Grundgesetz; wenn die Regierung den Forderungen der Entführer nicht nachgebe, drohe ein staatlich geduldeter Mord. Sie kommen zu dem Schluss: "Diese politisch motivierte Härte der Antragsgegner und ihre Entscheidung sind verfassungswidrig."

Die Bundesregierung schickt noch am selben Tag eine Stellungnahme nach Karlsruhe. Sie hält den Antrag Schleyers für unbegründet und ist der Auffassung, dass die Entscheidung politischer Art sei, in die die Judikative nicht eingreifen dürfe. Am Abend nimmt der Erste Senat die Beratungen auf. Sie dauern bis kurz vor Mitternacht.

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