Der Deutsche Herbst - Tag 17:Der Schmuggel von Stammheim

Mittwoch, 21. September 1977 - Die Bild-Zeitung veröffentlicht erneut ein Schreiben von Waltrude Schleyer, der Ehefrau des entführten Arbeitgeberpräsidenten.

Robert Probst

Sie hoffe, "daß der Inhalt dieser Zeilen meinen Mann erreichen wird. (. . .) Er soll ihm zusätzliche Kraft geben, kommende Zerreißproben zu bestehen." Schleyer solle sich in der "trostlosen Einsamkeit seines derzeitigen Aufenthalts" keine Sorgen um die Familie machen.

Zelle Ensslin, AP

Gudrun Ensslins Zelle in Stammheim.

(Foto: Foto: AP)

"Vor allen Dingen hilft uns aber in diesen schweren Tagen das Bewußtsein um seine eigene innere Stärke. Sie wird ihn der gegenwärtigen ungeheuren Herausforderungen Herr werden lassen, was auch immer geschieht. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß ich meinen Mann gesund wiedersehen werden."

Das Bundeskabinett beschließt, alle drei Bundestagsfraktionen (SPD, FDP, CDU/CSU) zur Beratung neuer Gesetze gegen den Terrorismus an einen Tisch zu bitten. Mit einer gemeinsamen Initiative soll der in den vergangenen Tagen immer stärker aufflammende Parteienstreit über die richtige Vorgehensweise abgefangen werden.

Regierungssprecher Klaus Bölling sagt, die Fraktionen könnten nun eine "Liste mit nahezu allen erdenklichen Vorschlägen" bearbeiten - die vielfach geforderte Einführung der Todesstrafe und der Einsatz der Bundeswehr im Inneren gehören nicht dazu.

FDP-Vorsitzender Hans-Dietrich Genscher warnt, wer glaube, durch Angriffe auf den politischen Gegner parteipolitisches Kapital schlagen zu können, gefährde die Solidarität der Demokraten und den Handlungsspielraum des Staats.

Die Welt berichtet, am 13. September sei in der Gefängniszelle von Andreas Baader in Stammheim eine kleine Minox-Kamera entdeckt worden, versteckt in einem Karton für Kaffeefilter. Es bestehe der Verdacht, dass sie von einem Anwalt eingeschmuggelt worden sei.

Die Mutmaßung war, wie sich später herausstellte, richtig. Der rege Schmuggel wurde über die Stuttgarter Kanzlei Croissant abgewickelt. Die Anwälte Arndt Müller und Armin Newerla transportierten zunächst winzige Kassiber, später auch allerhand größere Gegenstände in das oft als "sicherste Gefängnis der Welt" bezeichnete Stuttgart-Stammheim.

Die Schmuggelware befand sich entweder in den Papieren, den Taschentüchern, den Unterhosen der Anwälte oder in eigens hergestellten und kunstvoll verschlossenen Hohlräumen in Handakten.

Die Übergabe fand während des Prozesses gegen Baader und die anderen RAF-Terroristen in Stammheim statt (Mai 1975 bis April 1977) - die im Gerichtsgebäude eingesetzten Polizisten kontrollierten weniger streng als die Justizbeamten beim Zellenbesuch.

Nur ein einziger Schmuggel wurde entdeckt - der von drei großen wärmeisolierenden Platten, alles andere wanderte unbemerkt in die Zellen von Baader, Ensslin und Raspe: Mini-Radios, elektronisches Zubehör, Heizspiralen, Kochplatten, Rasierklingen, Kabel, sowie 650 Gramm Sprengstoff und drei Pistolen.

Die Minox war nur ein Zufallsfund.

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