Der Bundesfinanzminister im Interview:"Unter stringenter Politik verstehe ich etwas anderes"

Peer Steinbrück (SPD) hadert mit den Entscheidungsprozessen der großen Koalition und attackiert die Ministerpräsidenten der Union.

Nico Fried und Ulrich Schäfer

SZ: Herr Minister, elf Stunden hat die Koalition in der Nacht zum Montag gebraucht, um einen Gesundheitskompromiss zu schmieden. Was sagt das über die Führungsfähigkeit der Kanzlerin aus?

Steinbrück

Peer Steinbrück

(Foto: Foto: dpa)

Steinbrück: Das sagt vor allem etwas über die Komplexität der Materie aus. Alle haben sich bemüht, zu einer Lösung zu kommen, obwohl man sich vor einem Jahr völlig konträr gegenüber stand.

Und wir haben einen Kompromiss gefunden, der genau analysiert werden sollte, bevor er diskreditiert wird.

SZ: Mit Gerhard Schröder wäre es vielleicht schneller gegangen.

Steinbrück: Jeder hat seinen eigenen Führungsstil. Richtig ist aber, dass die Zeitökonomie in der Politik oft nicht stimmt. Politik bewegt sich in einem komplexen Einflussfeld von Bundestag und Bundesrat, Fraktionen, Parteien, Medien und Verbänden, und da ist es offenbar schwieriger, stringente Entscheidungen durchzusetzen als in der freien Wirtschaft. Das macht uns zu schaffen.

SZ: Die Koalition amtiert neun Monate. Nach dieser Zeit hat Schröder 1999 gesagt: Regieren macht Spaß. Ihnen auch?

Steinbrück: Spaß ist der falsche Begriff. Politik muss sich Realitäten und Notwendigkeiten stellen, auch wenn daraus zu ziehende Schlüsse nicht populär sind. Politik ist ein ernsthaftes Fach, aber es muss nicht humorlos zugehen.

SZ: Was ist daran humorvoll, die höchste Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten?

Steinbrück: Das hat etwas mit Verantwortung und objektiven Notwendigkeiten zu tun, wohl nicht mit Humor. Auf der abstrakten Ebene werden diese Notwendigkeiten auch von vielen anerkannt, nur wenn es praktisch wird, entziehen sich viele gern unangenehmen Konsequenzen.

SZ: Vielerorts hat die große Koalition bereits das Image der Abkassierer.

Steinbrück: Oft sind die Kritiker dieselben, die zugleich erhebliche Ansprüche an die Bereitstellung staatlicher Leistungen haben. Wer aber diese Ansprüche stellt, muss sich überlegen, wie das bezahlt werden soll. Die Politik macht Fehler, sie versagt bisweilen. Aber was heißt es für die demokratische Substanz eines Gemeinwesens, wenn Politiker durchgängig als Lügner, Betrüger und Abzocker bezeichnet werden? Wer immer so tut, als seien die wahren Lösungen ganz einfach zu finden, der untergräbt das Vertrauen in unsere Demokratie.

SZ: Mit Verlaub: Nichts von dem, was jetzt beschlossen wurde, stand vor der Bundestagswahl in Rede.

Steinbrück: Ich will Politik doch gar nicht gegen Kritik immunisieren. Aber das sollte auch umgekehrt gelten. Manche, auch in den Medien, kriegen schnell ein Glaskinn, wenn man sie auffordert, auch mal ihre Rolle zu reflektieren.

SZ: Aber rechtfertigt dies die größte Steuererhöhung aller Zeiten?

Steinbrück: Was ich vor einem Jahr in Einschätzung einer spezifischen Lage gesagt habe, kann nicht in Stein gemeißelt sein, wenn sich die Verhältnisse ändern, insbesondere was den Haushalt betrifft. Übrigens würde ich das Bild von der größten Steuererhöhung besser verstehen, wenn Sie vor vier Jahren mit derselben Intensität von der größten Steuersenkung geschrieben hätten, fast 60 Milliarden Euro.

Haben Sie aber nicht. Genauso wenig wie Sie berichten, dass mit dieser Steuererhöhung 14 Milliarden Abgabensenkung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber über niedrigere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mitfinanziert werden.

SZ: Haben wir durchaus.

Steinbrück: Das ist eine Frage der Balance. Die Bereitschaft ist groß, sich vornehmlich auf einen negativen Ausschnitt im Gesamtbild zu konzentrieren.

SZ: Auch bei der Gesundheitsreform war davon die Rede, die Steuern zu erhöhen und dafür die Beiträge zu senken. Nun steigen die Beiträge doch wieder. Wieso wurden die Bürger verschaukelt?

Steinbrück: Niemand wurde verschaukelt. Das ist schlicht das Ergebnis einer Koalitionsverhandlung. Wir machen doch keine akademischen Abhandlungen über das Leben, wir stehen mittendrin, und das Leben ist nun verdammt kompliziert. Sie wissen, dass die SPD dem Grundsatz anhängt, die Sozialversicherungen zunehmend nicht über Abgaben zu finanzieren, die die Arbeitskosten belasten, sondern stärker über Steuern.

In der Union gab es kurz vor dem Koalitionsausschuss einen Meinungswandel. Plötzlich sind, nicht unabsichtlich, Meinungsäußerungen gegen eine Steuerfinanzierung laut geworden, obwohl skandinavische Erfahrungen dies empfehlen.

SZ: Im Klartext: Die Ministerpräsidenten der Union haben das verhindert?

Steinbrück: Sagen wir mal so: Eine Woche zuvor ist die SPD vom Verhandlungstisch aufgestanden mit dem Verständnis, dass wir gemeinsam einen Einstieg in die Steuerfinanzierung finden wollen. Das ging bis zum konkreten Auftrag an mein Haus, Varianten zu rechnen. Das haben wir auch getan.

SZ: Mit welchem Ergebnis?

Steinbrück: Der naheliegende Weg indirekter Steuern, den Fachleute empfehlen, ist angesichts der gerade steigenden Mehrwertsteuer verbaut. Die Einkommensteuer und ein höherer Soli scheiden ebenfalls aus, weil die Sätze dramatisch steigen müssten. Nachdenkenswert könnte es sein, das französische Vorbild einer eigenen Gesundheitssteuer weiter zu verfolgen. Aber das sind Überlegungen, die nun erst für die nächste Legislatur auf uns zukommen.

SZ: Stattdessen sollen die Krankenkassen nun schrittweise mehr Geld aus dem Haushalt bekommen. 2008 kostet das 1,5 Milliarden Euro, 2009 drei Milliarden Euro. Woher wollen Sie das nehmen?

Steinbrück: Dafür wird es ein Finanztableau geben. Es muss klar sein, dass wir nicht in Kollision mit dem Grundgesetz und den europäischen Stabilitätskriterien geraten.

SZ: Sie haben im Koalitionsausschuss vor dieser Lösung gewarnt.

Steinbrück: Ich habe vor dem Glauben gewarnt, das finanziere sich von alleine - oder dies solle der Finanzminister mal nebenbei lösen. Es bedarf erheblicher Anstrengungen, solche Summen zu mobilisieren. Diese werden wir bis spätestens zum Haushalt 2008 leisten müssen.

SZ: Das heißt, Ihre Rolle ist es, die Kompromisse der Koalition zu bezahlen?

Steinbrück: Nein, das sollte sie nicht sein, sonst schadet sich die Koalition insgesamt. Die Vorstellung, die Kosten für die mitversicherten Kinder könnten wir aus dem laufenden Haushalt bestreiten, ist schlicht naiv.

SZ: Und deshalb müssen Sie ab 2010 doch die Steuern erhöhen?

Steinbrück: Die Koalition hat beschlossen, dass die Mittel für die Kinderversicherung linear ansteigen. Das sind ab 2010 4,5 Milliarden Euro und ab 2011 sechs Milliarden aufwachsend. Gute Reise, wenn es dafür keine zusätzlichen Einnahmen gibt. In gleicher Höhe müssen dann aber auch die Beiträge sinken.

SZ: Alle hatten erwartet, dass eine große Koalition die politische Blockade in Deutschland auflösen würde. Davon ist nichts zu erkennen.

Steinbrück: Das ist ein Problem, ja. Und das betrifft beide Seiten.

SZ: Es betrifft die Kanzlerin.

Steinbrück: Es betrifft uns alle. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für den Erfolg der Koalition. Aber grundsätzlich ist klar, dass das Verhältnis von Regierung, Parlament und Ländern in der großen Koalition auf die Tagesordnung muss. Es kann nicht sein, dass wir zwischen den Ministerien einen Kompromiss erarbeiten und im Kabinett beschließen, der durch einen zweiten Kompromiss unter den Fraktionen ersetzt wird, und dieser wiederum durch einen dritten Kompromiss bei der Abstimmung mit den Ländern.

Unter stringenter Politik verstehe ich etwas anderes. Es ist zum Beispiel auch merkwürdig, dass einige Länder das Aufkommen aus der Mehrwertsteuererhöhung brauchen, im Bundesrat aber dagegen stimmen. Den Zaster nehmen, aber sich aus der Verantwortung stehlen, das kann nicht sein.

SZ: Daran wird sich selbst durch die Föderalismusreform wenig ändern.

Steinbrück: Doch. Es wird erheblich weniger Reibungsverluste zwischen Bundesregierung und Bundestag einerseits und Bundesrat andererseits geben.

SZ: Wirklich etwas ändern würde sich erst, wenn die Finanzbeziehungen von Bund und Ländern entflochten werden.

Steinbrück: Die zweite Stufe der Föderalismusreform wird sich genau damit beschäftigen. Die Frage ist nur: Wie groß will man das dimensionieren? Es hat zum Beispiel allein drei Jahre gedauert, von 1998 bis 2001, um den Länderfinanzausgleich zu reformieren, und viele waren davon anschließend enttäuscht.

SZ: Wie müsste solch eine Reform im Idealfall aussehen?

Steinbrück: Ich glaube, dass die Bundesrepublik mit zehn Bundesländern gut aufgestellt wäre. Aber mir ist sehr bewusst, dass diese Vorstellung im nächsten Jahrzehnt nicht umsetzbar sein wird. Sinnvoll wäre zudem eine klarere Zuordnung von Steuerarten an Bund und Länder und eine einheitlichere Steuerverwaltung. Die Länder hätten gerne die Mehrwertsteuer und würden die Einkommensteuern dem Bund geben, aber das wird der Bund schlechterdings nicht mitmachen können. Denn die Mehrwertsteuer wächst über die Zeit wesentlich stärker.

SZ: Was wird denn tatsächlich kommen?

Steinbrück: Man könnte sich zum Beispiel auf eine einheitliche Bundessteuerverwaltung einigen. Man könnte auch die Verschuldungsregel des Grundgesetzes, Artikel 115, ändern, und zwar im Sinne dessen, was wir im europäischen Stablitäts- und Wachstumspakt haben. Man könnte also über einen Mechanismus nachdenken, der Druck auf die Haushaltsdisziplin ausübt.

SZ: Das nächste große Vorhaben der Koalition ist die Reform der Unternehmensteuern. Wie erklären Sie den Bürgern, dass ihre Steuer- und Abgabenlast insgesamt steigt, die Sätze für Unternehmer aber von 2008 an sinken sollen?

Steinbrück: Ich erkläre ihnen, dass es um ihre Jobs geht, und nicht darum, irgendwelchen Managern Geld hinterherzuwerfen. Wenn hier nichts passiert, werden Investoren und Kapitalanleger gucken, wo es bessere Bedingungen gibt, und sie werden Geld und Investitionen in andere Staaten transferieren. Wir wollen dazu beitragen, dass Gewinne in Deutschland nicht über die Grenzen verschoben und Verluste nicht nach Deutschland übertragen werden, um die Steuerlast zu mindern.

SZ: Reicht es denn, die Steuersätze von 39 auf knapp 30 Prozent zu senken?

Steinbrück: Mehr ist nicht drin, und das ist nicht meine Privatmeinung. Fragen Sie mal die Länderfinanzminister der Union. Wir müssen die Verbandsvertreter der Wirtschaft gelegentlich darauf hinweisen, dass eine Steuerreform nicht allein daraus bestehen kann, dass sie um 30 oder 40 Milliarden entlastet werden. Dieselben Leute sagen mir auch: Ja, aber die Verschuldung müssen Sie stoppen.

SZ: Der SPD-Linken sind selbst fünf Milliarden zu viel. Kommen Sie damit in ihrer eigenen Partei durch?

Steinbrück: Es kostet nun mal anfangs Geld, wenn wir die Steuersätze senken. Wir haben deshalb eine Reihe von Finanzierungsmaßnahmen beschlossen, aber die wirken erst nach einer gewissen Zeit. Daneben gibt es einen volkswirtschaftlichen Effekt, wenn mehr Kapital und Gewinne in Deutschland versteuert werden. Wenn man sich das über drei, vier Jahre anguckt, wird das aufkommensneutral sein. Im Übrigen ist die Diskussion über Maßnahmen zur Gegenfinanzierung noch nicht zu Ende.

SZ: Ihre Finanzplanung und der Haushalt 2007 fußen insgesamt auf ziemlich optimistischen Annahmen. Machen Sie denselben Fehler wie ihr Vorgänger?

Steinbrück: Wir haben Annahmen zugrunde gelegt, die auf realen Zahlen des ersten Halbjahres 2006 beruhen. Die Entwicklung der Steuereinnahmen ist außerordentlich positiv.

SZ: Sollte der Finanzminister trotzdem nicht vorsichtig sein, anstatt zu suggerieren, dass er im Geld schwimmt?

Steinbrück: Erstens schwimmen wir nicht im Geld, ich bin nicht Dagobert Duck. Zweitens gehen wir weiter von sehr konservativen Annahmen aus.

SZ: Wird die EU-Kommission dies anerkennen und das Strafverfahren gegen Deutschland stoppen?

Steinbrück: Ich bin mir sicher, dass die Kommission das Verfahren im Sommer aussetzen und 2007 ganz einstellen wird. Denn wir werden die Vorgaben des Vertrages von Maastricht einhalten.

SZ: Ihre Prognose dafür reicht bis zum Jahr 2010. Wenn man die Zahlen darüber hinaus verlängert, müssten Sie 2012 einen ausgeglichenen Etat vorlegen. Ist das Ihr Ziel?

Steinbrück: Ich bin vorsichtig in Ankündigungen, die über einen so langen Zeitraum gehen. Viele Stellschrauben liegen außerhalb meiner Reichweite. Aber das Ziel ist richtig und im Interesse einer Generationsgerechtigkeit.

SZ: Außerdem sind Sie 2012 ja nicht mehr Finanzminister, sondern Bundeskanzler, oder?

Steinbrück: (lacht schallend) Wollen Sie mich umbringen?

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