Den Haag:Der dreiste Stolz des "Schlächters vom Balkan"

Völkermord-Prozess gegen Ratko Mladic in Den Haag

Seit sechs Jahren befindet sich der frühere Oberbefehlshaber der Armee der bosnischen Serben, Ratko Mladić, im Gewahrsam der Vereinten Nationen in Den Haag.

(Foto: Peter Dejong/dpa)

Den Gerichtssaal in Den Haag machte der ehemalige General zu seiner Bühne - und wurde von serbischen Nationalisten gefeiert. Es schmeichelte seiner Geltungssucht, dass er sich nicht mehr verstecken musste.

Kommentar von Ronen Steinke

Seit sechs Jahren befindet sich der ehemalige General der Armee der Republika Srpska, Ratko Mladić, der im Bosnienkrieg den Beinamen "Schlächter vom Balkan" erhalten hat, im Gewahrsam der Vereinten Nationen in Den Haag. Seine Zelle hat elf Quadratmeter. Die Tür steht fast ganztägig offen. Aus dem Fenster blickt er auf Bäume. Jeden Tag wird jugoslawisch gekocht in der kleinen Gruppe der übrigen Untersuchungshäftlinge, und jeder von ihnen darf einkaufen und bestellen, so viel er möchte.

Es ist banal zu sagen, dass es Mladić besser geht als seinen Opfern. Das ist meistens so bei Tätern, und das zu ändern hieße nicht strafen, sondern Rache üben. Davon wird kein Toter wieder lebendig. Aber es ist nicht banal, wie sehr der "Schlächter" seine Rolle in Den Haag genossen hat. Es hat seiner Geltungssucht sichtlich geschmeichelt, dass er sich nicht länger verstecken musste wie in den Jahren zuvor, auf der Flucht, als Mann ohne Namen. Zweimal in der Woche hat der Untersuchungshäftling Mladić seinen Jogginganzug eingetauscht gegen Anzug und Krawatte. Dann hat er die Bühne betreten, als die er den hinter einer Panzerglasscheibe liegenden Gerichtssaal von Beginn an gesehen hat.

Keine Reue, sondern dreister Stolz auf seine Rolle bei der blutigen Vertreibung aller Nichtserben aus den von Serbien beanspruchten Gebieten: Für diese Haltung haben serbische Nationalisten ihren Bannerträger Mladić gefeiert. Sie haben Videoaufnahmen aus dem Haager Gerichtssaal gesehen. Wie Mladić sich über die UN-Richter lustig gemacht hat. Wie er sich von seinen ehemaligen Untergebenen im Zeugenstand mit "General" anreden ließ wie früher. Für seine denkwürdigsten Faxen - einmal erschien er in Fellmütze mit Ohrenklappen, oft grinste er bei Tatvorwürfen triumphierend - räumten Zeitschriften in seiner Heimat die Titelseiten frei.

Lebenslange Haft lautet nun das Urteil. Als in den 1960er Jahren ein paar vereinzelte deutsche Holocaust-Täter für Massenmorde bestraft wurden, stellte die Wochenzeitung Die Zeit einmal die zynische, aber ehrliche Rechnung auf: zehn Minuten Haft pro Opfer. Die Rechnung muss man jetzt nicht auch für Mladić bemühen, und auch nicht die Rechnung, wie viele Jahre der 75 Jahre alte und von mehreren Schlaganfällen gezeichnete Mann wohl real absitzen wird. Aber wenn das Mediengetöse vorbei ist und die serbischen Nationalisten ihren Märtyrer gefeiert haben, wird es Menschen geben, die sich fragen, was dieser Prozess tatsächlich gebracht hat. Man kann es ihnen nicht verübeln.

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