Demonstrationen in Moskau:Putins doppeltes Spiel

Verschärfung des Demonstrationsgesetzes, Wohnungsdurchsuchungen bei Regimegegnern, Eingriffe in die Pressefreiheit: Russlands Staatschef Putin empfindet den Widerstand im Land als zunehmend bedrohlich. Nun versucht er immer autoritärer, jeglichen Anschein von Protest zu bekämpfen.

Julian Hans

Es waren nicht irgendwelche Polizisten, die am Montag die Wohnungen führender Oppositioneller in Moskau durchsuchten. Es waren die Beamten des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation, einer Behörde, die direkt dem Präsidenten untersteht und für besonders schwere Delikte zuständig ist. Geleitet wird sie von einem früheren Kommilitonen Wladimir Putins.

Demonstrationen in Moskau: Das neue Demonstrationsgesetz bedroht die Organisatoren von Protesten mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro.

Das neue Demonstrationsgesetz bedroht die Organisatoren von Protesten mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro.

(Foto: AP)

Was wird den Oppositionellen vorgeworfen, dass der Staat gleich seine obersten Ermittler für schwerste Verbrechen schickt? Laut einem Sprecher des Komitees besteht der Verdacht, die Betroffenen seien Verantwortlich für "Massenunruhen" am 6. Mai. Am Vortag der Amtseinführung Putins war es im Anschluss an eine Demonstration im Zentrum Moskaus mit etwa 20.000 Teilnehmern zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten gekommen, etwa 650 Teilnehmer wurden festgenommen. Nach den friedlichen Protesten im Winter war das eine Wende, und beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, provoziert zu haben. Fest steht, dass sechs Polizisten verletzt wurden. Als Anerkennung bekam jeder von ihnen von der Moskauer Stadtregierung eine Wohnung zugeteilt.

Größer als die tatsächlichen Unruhen muss die Angst im Kreml sein. Die Verunsicherung wurde gleich nach den Parlamentswahlen im Dezember deutlich, als die ersten spontanen Proteste aufkamen: Mal sprach Putin davon, dass die besten Leute des Landes auf den Straßen seien, mal bezeichnete er die Demonstranten als "Affenbande". Dieses doppelte Spiel wird weiter gespielt. Am Dienstag sagte der Präsident in einer Rede zum russischen Unabhängigkeitstag, "hitzige Diskussionen" seien die Norm "für ein freies, demokratisches Land", und es sei "wichtig, einander zuzuhören". Zur gleichen Zeit saßen die Anführer der Opposition, deren Wohnungen am Vortag durchsucht worden waren, beim Verhör.

Eine Reihe von Ereignissen zeigt, dass der Staat in seiner Hilflosigkeit nicht den Dialog wählt, sondern die Schrauben der Repression anzieht. Beim liberalen Radiosender Echo Moskaus wurden im März der populäre Chefredakteur Aleksej Wenediktow und sein Stellvertreter aus dem Aufsichtsrat gedrängt. Die Mehrheit besetzt seitdem Gazprom-Media. Die Konten, über die der Bankier Alexander Lebedjew die Novaya Gazeta finanziert, wurden zwischenzeitlich eingefroren. Die investigativ arbeitende Zeitung ist eine zentrale Stimme der liberalen Intellektuellen in Russland.

Wegen der Zusammenstöße am Vorabend der Amtseinführung sind mittlerweile ein Dutzend Menschen festgenommen worden, darunter eine gerade 18 Jahre alte Frau, die zu Unruhen angestachelt haben soll. Der Anklage nach droht allen eine mehrjährige Haft im Straflager - ebenso wie drei jungen Frauen, die vor der Präsidentschaftswahl an einer Punk-Andacht in der Christ-Erlöser-Kathedrale teilgenommen haben sollen, bei der die Heilige Maria um die Erlösung von Putin angefleht wurde. Das deutet die Staatsanwaltschaft als Rowdytum und Anstachelung zum religiösen Hass.

Drei Abgeordnete opponieren gegen Demonstrationsgesetz

In der Staatsduma haben sich unterdessen immerhin drei Abgeordnete als echte Opposition hervorgetan und zum Beispiel die Verabschiedung des verschärften Demonstrationsgesetztes mit allen Mitteln verzögert. Prompt werfen ihnen Abgeordnete der Regierungspartei Einiges Russland vor, "gegen die gesetzliche Ordnung" vorzugehen, weil sie auch an Demonstrationen teilnehmen. Sie sollen nun aufgefordert werden, ihr Mandat niederzulegen.

Eine Verkehrung demokratischer Prinzipien diente auch als Begründung für das verschärfte Demonstrationsrecht, das Organisatoren mit umgerechnet bis zu 25.000 Euro Strafe bedroht, etwa wenn Teilnehmer von der vorgeschriebenen Route abweichen, betrunken sind oder durch die Rabatten trampeln. Ziel des Gesetztes, so heißt es im Text, sei "der Schutz der Rechte und Freiheiten der Bürger".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: