Demokratie:Wie die besorgten Bürger integriert werden können

Demonstration gegen Asylpolitik

Eine AfD-Demo in Freilassing gegen die Asylpolitik von Bundeskanzlerin Merkel.

(Foto: dpa)

Die Debatten über Flüchtlinge dürfen nicht nur im eigenen Wohlfühlraum geführt werden. Dazu gehört auch die Begegnung mit dem politisch Fremden. Zum Beispiel mit der AfD.

Kommentar von Bernd Kastner

Es ist so einfach. Wer ausdrücken möchte, dass er die Gedanken und Forderungen von Pegida und AfD ablehnt, haut einfach drauf. Rassisten! Pack! Schande für Deutschland! Diese Schlagworte senden zugleich die Botschaft an die eigene Klientel aus: Seht her, ich bin ein guter Demokrat, weil ich auf diese Rechten einschlage. So reden Politiker, so schreiben auch Journalisten. Und wer seine Abscheu feinfühliger artikuliert, der gibt zu verstehen, dass er mit denen da rechts außen nichts zu tun haben möchte. Einem Pegidisten zuhören? Um Gottes willen! Mit einer von der AfD diskutieren? Bloß nicht.

Politologen der TU Dresden, die intensiv die "Empörungsbewegung" Pegida untersuchen, sprechen von einer "Brandmauer", die etablierte Parteien um diese "Patrioten" zu ziehen versuchen. Dabei sind es die "Guten" selbst, die immer wieder Löcher in ihre Mauer schlagen. Jede Verbalattacke facht das Interesse an jenen an, die sich als Widerständler gegen das "System" zu verkaufen versuchen. Und wie feuerfest diese Mauer ist, zeigt die wachsende Anhängerschaft der AfD. 17 Prozent in Sachsen-Anhalt, meldet die jüngste Umfrage.

Reden mit AfD-Vertretern und Anhängern? Unbedingt!

Das um sich greifende Feuer speist sich nicht nur aus Fremdenfeindlichkeit, sondern auch aus Angst vor Ungewohntem. Es ist dabei, das Vertrauen in staatliche Institutionen und die freie Presse zu zersetzen. Misstrauen gebiert neues Misstrauen. Um dieses politische Perpetuum mobile zu stoppen, ist es nötig, sich mit jenen zu beschäftigen, die dem Feuer täglich neue Nahrung geben, mit Pauschalurteilen über den Islam, mit Gerüchten über die Flüchtlinge und Märchen über die Presse.

Am Beginn der Auseinandersetzung steht das Zuhören. Dann folgt das Reden, und zwar miteinander, nicht nur übereinander. Solche Gespräche sind oft kein Vergnügen, und niemand sollte erwarten, einen Pegida-Anhänger in einer Stunde zu bekehren. Doch allein der Kontakt dieser zwei Gedankenwelten ist schon ein demokratischer Wert. Er lässt den Gesprächsfaden zu denen, die sich gerade verabschieden vom "System", nicht vollends abreißen. Nur dann ist es noch möglich, einem abendländischen Patrioten mitzuteilen, welche seiner Wahrheiten nicht wirklich wahr sind. Deshalb sind Dialoginitiativen, wie es sie etwa in Dresden gibt, so wertvoll.

Nicht nur die Migranten müssen integriert werden

Der demokratische Diskurs besteht nicht ausschließlich aus Selbstgesprächen im eigenen Wohlfühlraum. Dazu gehört auch die Begegnung mit dem politisch Fremden. Die ist nicht so billig zu haben, wie ein Schlagwort auszusprechen ist. Diese Kontakte können quälend sein, sind auf lange Sicht aber aller Mühe wert. Sind sie doch Voraussetzung dafür, die zweite große Integrationsaufgabe zu bewältigen, vor der Deutschland steht. Nicht nur Migranten sind die Werte des deutschen Gemeinwesens nahezubringen, sondern auch jenen, die voller Misstrauen gegenüber Behörden, Politik und Medien sind. Es sind diese Einheimischen, die es zu reintegrieren gilt, auf dass sie sich wieder heimisch fühlen in diesem weltoffenen System, in dem jeder seine Meinung äußern darf.

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