Demokratie in Deutschland:Mehr Personalisierung, bitte!

Abschluss der Sondierungen von Union und SPD

Nach jeder Wahl beeilen sich Politiker zu behaupten, über Personalfragen werde, wenn überhaupt, dann nur ganz am Schluss geredet. Die möglichen Koalitionspartner: Horst Seehofer (CSU, links), Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD).

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Das klingt vielleicht frivol, wenn man Donald Trump vor Augen hat. Aber je weniger die Parteien Weltanschauungen und Milieus binden können, desto wichtiger werden herausragende Charismatiker wie einst Willy Brandt und Franz Josef Strauß.

Kommentar von Johan Schloemann

Nicht aneinander "rummosern" sollte man in der Partei und in der politischen Klasse, sondern "dienen". Das sagte die geschäftsführende Bundeskanzlerin, in gut preußischer Manier, in ihrer Aschermittwochsrede. Auch aus der gebeutelten SPD hört man seit Tagen, die Personaldebatten müssten endlich zu Ende gehen, zugunsten der drängenden wirklichen Probleme; der zurückgetretene Parteivorsitzende hofft das sogar "inständig", nachdem ihm ein Genosse, der sich inzwischen entschuldigt hat, die ungleiche Verteilung seines Haarwuchses vorgeworfen hatte. Es geht doch um die Sache! Nach jeder Wahl beeilen sich Politiker zu behaupten, über Personalfragen werde, wenn überhaupt, dann nur ganz am Schluss geredet.

Und spricht dieser ganze Verdruss an der Personal-Fixierung nicht vielen aus den Herzen? Schrumpfen nicht tatsächlich in der Berichterstattung und in den politischen Analysen die gesellschaftlichen Umbrüche, die großen Aufgaben und Themen oft zusammen auf Fragen wie: Wer mag wen, wer hat wessen Telefonnummer, wer setzt sich durch? Ist nicht das sogenannte Postengeschacher schuld an der weiteren Entfremdung vom Bürger, an der Entfernung von den eigentlichen Zukunftssorgen?

Personen und Sachfragen zu trennen ist nicht erstrebenswert

Nein, so einfach ist das nicht. Das Ideal, wonach Personen mit ihren Ämtern einerseits und Sachfragen andererseits zu trennen seien, ist nicht nur unrealistisch, sondern auch gar nicht erstrebenswert. Zwar ist die Ungeduld, mit der man in dem ungewöhnlich langen Interregnum seit der Bundestagswahl auf echte Inhalte wartet, nur zu verständlich. Und natürlich ist, sobald eine wichtige Position besetzt ist, die Diskussion über ihre Besetzung als solche erst einmal beendet. Nicht beendet jedoch ist damit die Diskussion darüber, was die Person aus ihrem Amt und ihren Inhalten macht. Charakter, Auftritt, politische Vorhaben und zum Teil schlichte Verwaltungsaufgaben greifen ineinander. Die Sachfragen sind nie alles, sonst lebten wir in einer Experto- und Technokratie.

Herrschaft - von wegen "dienen" - verschwindet ja nicht im demokratischen Staat, sie wird nur verantwortlich, kontrollierbar, für alle sichtbar und gebunden. Auch die Bürgerschaft, die die Macht verleiht, darf sich daher durchaus für Personalfragen interessieren, auch für die Verjüngung des Personals. In einer politikwissenschaftlichen Studie hieß es schon vor einigen Jahren: "Für zahlreiche Wähler hängen die Einstellungen zu den Parteien, zu ihrer Problemlösungskompetenz und zu den von ihnen nominierten Kandidaten eng miteinander zusammen."

Darum wäre es gar nicht demokratisch, sondern bevormundend, das Volk darauf verpflichten zu wollen, wie es diese verschiedenen Motive gefälligst zu mischen oder auseinanderzuhalten habe. Sicher, je mehr politische Bildung vermittelt wird, desto besser, gerade in diesen Zeiten, wo sich Ressentimentparteien und Diversitätsfreunde so unversöhnlich gegenüberstehen. Aber die Stimme eines Wählers, der kein Parteiprogramm lesen mag, ist nicht weniger wert; er handelt ebenso demokratisch und vernünftig, wenn er sich vom Eindruck der Glaubwürdigkeit hervorgehobener Kandidaten leiten lässt. Das war zu Zeiten von Willy Brandt oder Franz Josef Strauß schon genauso.

Ja, man könnte sogar behaupten, dass Deutschland nicht weniger von der gefürchteten Personalisierung der Politik braucht, sondern etwas mehr davon gut vertragen könnte. Das klingt derzeit vielleicht zunächst frivol, wenn man auf einen bestimmten Herrn in Amerika blickt. Aber je weniger die Parteien Weltanschauungen und Milieus binden können, desto wichtiger werden beachtliche, sich voll einbringende Persönlichkeiten. Das heißt noch lange nicht, dem Populismus, der Clownerie und der übertriebenen Sehnsucht nach charismatischen Haudegen das Wort zu reden. Aber deutsche Politiker verstecken sich eher noch zu oft spröde hinter ihrem Amt, hinter einem verwaltungsmäßigen Führungsverständnis und den Sachzwängen. Sie könnten uns ruhig ein wenig näherkommen, im Sinne einer gesteigerten Verantwortlichkeit.

Angela Merkel hat gewiss recht: Politik ist "viel Arbeit", wie sie am Aschermittwoch sagte. Und reale Probleme, die zu lösen sind, gibt es ohne Zweifel genug, das merkt manchmal sogar eine Regierung, in jedem Fall tun es die Opposition und die Öffentlichkeit. Aber die Demokratie bleibt eben auch eine ständige Personaldebatte, weil sie Ämter auf Zeit vergibt. Weil sie von Menschen gemacht wird.

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