Demokraten:Amerikaner, hört die Signale

Presidential Candidate Bernie Sanders Holds Caucus Night Celebration

Bernie Sanders gelang es, auch mithilfe von sozialen Medien und dem Slogan "Feel the Bern" Emotionen zu schüren.

(Foto: Bloomberg)
  • Noch vor Monaten galt der Sozialist Bernie Sanders als chancenlos, als zu radikal und schrullig.
  • Clinton war in Iowa bei Senioren, Familien mit Kindern und finanziell bessergestellten Wählern erfolgreich.
  • Sanders gilt als Anti-Establishment-Kandidat und Underdog, 70 Prozent der Wähler unter dreißig entschieden sich für ihn.

Analyse von Sacha Batthyany

Dieses Mal wollte sie alles richtig machen. Hillary Clinton zog im Wahlkampf die kleinen Bühnen den großen Sälen vor, sie wollte im Bundesstaat Iowa nicht als abgehoben rüberkommen, nichts sollte daran erinnern, dass sie für eine ihrer Reden mehr Geld verdient, als die meisten Menschen hier in einem Jahr. Sie galt schon im Jahr 2008 als Favoritin im Rennen um die Nominierung bei den Demokraten, wurde dann aber nur dritte - hinter Barack Obama und John Edwards. Hillary Clinton hat am Montagabend mit ihrem Ehemann Bill und ihrer Tochter Chelsea in einem Hotelzimmer irgendwo in der Hauptstadt Des Moines auf die Resultate der ersten Vorwahl gewartet und gehofft, dass es diesmal anders wird, dass sie klar vorne liegt. Doch sie wurde enttäuscht.

Clinton hat sich zwar in den frühen Morgenstunden zur Siegerin erklärt, obwohl ein offizielles Ergebnis noch ausstand und sich die Hälfte der demokratischen Anhänger gegen sie entschied. Mit Blick auf die Begeisterung, die ihr Herausforderer Bernie Sanders bei seinen Wählern entfachte, dürfte sich ihr hauchdünner Vorsprung allerdings eher wie eine Niederlage anfühlen. "Ich werde dafür sorgen, dass die Republikaner nicht ins Weiße Haus einziehen", sagte Clinton mit einem "Gefühl der Erleichterung" auf der Bühne vor ihren Anhängern und lächelte sämtliche Zweifel an ihrem Pyrrhussieg eisern weg.

Dagegen wirkt Bernie Sanders, der 74-jährige Senator aus Vermont, als wäre er von seinem Erfolg selbst überrascht. Noch vor Monaten galt er als chancenlos, als zu radikal und schrullig, er schien auch nicht über die finanziellen Mittel zu verfügen, um diesen viel zu kostspieligen Marathon namens Primaries zu bestreiten. Doch der selbsternannte "demokratische Sozialist" hat in kurzer Zeit "so etwas wie eine Bewegung geschaffen", sagte Tom Harkin, ein ehemaliger Senator aus Iowa. "In den Tagen vor der Wahl roch die Luft nach Revolution — und ich kenne die Luft in Iowa gut."

Sanders appelliert an das Herz, Clinton eher an den Verstand

Nach ersten Auswertungen der Abstimmung zeichnet sich bei den Demokraten in Iowa ein Generationengraben ab. So war Clinton bei Senioren, Familien mit Kindern und finanziell bessergestellten Wählern erfolgreich, die in ihr jemanden sehen, der Obamas Weg weitergehen wird. Mit ihren Zugeständnissen nach links in Wirtschaftsfragen, ihren jüngsten Bekenntnissen zum Klimaschutz und zur gleichgeschlechtlichen Ehe vermochte sie jüngere, liberalere Wähler allerdings nicht zu überzeugen.

"Mit Clinton kommt nichts Neues", sagten die vielen jungen Sanders-Wähler in die Fernsehkameras, die sich auf den Weg machten in karge Gemeindesäle, um ihre Stimmen abzugeben. Dazu kommt Clintons zweifelhafter Ruf, nicht immer ganz aufrichtig zu sein und den Geldhäusern der Wall Street zu nahe zu stehen.

Auf der anderen Seite gelang es Bernie Sanders, auch mithilfe von sozialen Medien und dem Slogan "Feel the Bern", Emotionen zu schüren und viele Erstwähler zu mobilisieren; die Wahlbeteiligung war nur 2008 höher, als Barack Obama mit einem ähnlichen Ruf nach Veränderung antrat. 70 Prozent der Wähler unter dreißig entschieden sich für Sanders, den Opa mit den zerzausten Haaren, der die Studiengebühren abschaffen will, sich dem Kampf gegen den Kapitalismus und die Millionäre der Wall Street verschrieben hat. Seine Anhänger feiern ihn, als wäre er ein Popstar. Sanders ist das Herz, Clinton der Verstand — oder mit den Worten der Jugend: Clinton ist einfach irgendwie out.

Mit viel Rückenwind wird Bernie Sanders nach New Hampshire fliegen, wo am 9. Februar die nächsten Vorwahlen stattfinden, das viel zitierte und oft überschätzte Momentum auf seiner Seite wissend. Gemäß Prognosen wird er New Hampshire gewinnen, er führt in sämtlichen Umfragen, das gute Ergebnis in Iowa wird ihm zusätzlich Aufwind geben. Und so gilt Sanders, der Anti-Establishment-Kandidat, plötzlich als wählbare Alternative zu Hillary Clinton - die Amerikaner lieben die Geschichte des Underdogs.

Wird Sanders diese Welle bis in den Frühling hineintragen?

Die große Frage wird allerdings sein, ob ihn diese Welle bis in den Frühling hinein tragen wird, bis in die bevölkerungsreichen Südstaaten, wo es mehr Delegierte zu holen gibt, die für die Nominierung entscheidend sind, und wo der Anteil der Afroamerikaner und Latino-Wähler höher ist, was Clinton zugute kommt. Iowa ist erst der Startschuss für einen monatelangen und kräftezehrenden Wahlkampf, und der Staat ist aufgrund der demografischen Zusammensetzung und des hohen Anteils an evangelikalen Wählern alles andere als repräsentativ für das Land.

Und doch zeigt die Tatsache, dass Bernie Sanders' Aufstieg für viele so überraschend kam, wie wenig die Demokratische Partei die Entfremdung ihrer Wähler mit einkalkulierte. "Hillary Clinton hat ihren Wahlkampf ganz auf sich ausgelegt, auf ihre Person und ihre Erfahrung als Außenministerin und First Lady", sagt David Axelrod, Chefstratege in Obamas Wahlkampf 2008, "doch offenbar ist Erfahrung in diesem Jahr nicht genug."

Trotzdem dürfte Hillary Clinton eine Niederlage kommende Woche in New Hampshire verschmerzen. Sie liegt, was die Anzahl der Delegierten angeht, weit vor Sanders, da sie mit der Unterstützung der sogenannten Superdelegierten rechnen kann, einer Gruppe, die sich aus Gouverneuren, Senatoren und Mandatsträgern zusammensetzt und die nicht gewählt werden, sondern frei entscheiden dürfen, wen sie auf dem Parteitag im Juli unterstützen.

Während sich der Medientross und die beiden Kandidaten für die nächste Wahl in Stellung bringen, ist der Weg für Martin O'Malley, den früheren Gouverneur von Maryland, bereits zu Ende. Er kam auf nicht einmal ein Prozent der Stimmen und gab auf.

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