Democracy Lab:Welche Folgen unsere Lebensweise für die Umwelt hat

Stuttgart am Neckartor Demo der Umweltaktivisten gegen Autoverkehr und fuer saubere Luft Demo am

Deutschland bekommt immer mehr die Kehrseiten seines wichtigsten Industriezweiges zu spüren. Ein Demonstrant gegen Feinstaub am Stuttgarter Neckartor, wo die Luft so schlecht, wie nirgendwo sonst im Land ist.

(Foto: imago/Lichtgut)
  • Zu den fünf wichtigsten Themen, welche die Teilnehmer des SZ-Projekts "Democracy Lab" ausgewählt haben, gehört der Komplex "Umweltschutz: Was tun gegen Klimawandel und für die Natur?"
  • Am 7. September können Sie im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin darüber diskutieren, wie sich die Bürger hier engagieren und zu Lösungen beitragen können.
  • Weitere Informationen zum "Democracy Lab" und den anderen Diskussionsveranstaltungen in Leipzig, Köln und München finden Sie hier.

Von SZ-Autoren

Die Luft in vielen deutschen Städten ist so schlecht, dass bald drastische Mittel nötig werden könnten. Ende Juli hat das Verwaltungsgericht Stuttgart Fahrverbote für Dieselautos bewilligt, damit die Belastung durch Stickoxide reduziert wird. Ende August teilte das Umweltbundesamt mit, dass die millionenfache Software-Nachrüstung von Dieselautos nicht ausreichen wird, um Fahrverbote in deutschen Städten zu verhindern. Genau darauf hoffen jedoch die Hersteller.

In ganz Deutschland fragen sich viele Bürger plötzlich: Setzen die Politiker die richtigen Prioritäten und sind die Auflagen für Firmen und Autohersteller streng genug? Der Komplex "Umweltschutz: Was tun gegen Klimawandel und für die Natur?" gehört auch zu den fünf wichtigsten Themen, welche die Teilnehmer des SZ-Projekts "Democracy Lab" ausgewählt haben.

Seit US-Präsident Trump den Pariser Klima-Deal aufgekündigt und die Erderwärmung als "Quatsch" bezeichnet hat, ist auch beim Klimaschutz die Aufregung groß. Beim Hamburger G-20-Gipfel hat Kanzlerin Merkel ihren Unmut nicht verborgen - sie will international weiter für Klimaschutz werben.

Es stellt sich die unangenehme Frage: Tun wir genug für die Umwelt - als Gesellschaft und als Einzelne? Wie ist zu erklären, dass das Umweltbewusstsein hierzulande steigt - und jedes dritte neu in Deutschland zugelassene Auto ein hochmotorisierter Geländewagen ist? Reicht es aus, Müll zu trennen? Wie schädlich ist es, mehrmals im Jahr zu fliegen?

Democracy Lab - Themendossiers

Was bewegt das Land? Das haben wir in der ersten Phase des Democracy Labs die Menschen in Deuschland gefragt. Fünf Themenkomplexe wurden am häufigsten genannt: Soziale Ungleichheit, Umweltschutz, Bildungspolitik, Flüchtlingspolitik und die Frage nach Werten in Politik und Gesellschaft. Darüber diskutieren wir jetzt online und bei Veranstaltungen in Berlin, Leipzig, Stuttgart, Köln und München. Als Basis für die Diskussion haben wir zu jedem Bereich ein Kompaktdossier zusammengestellt.

Wie groß ist der ökologische Fußabdruck der Deutschen?

Der ökologische Fußabdruck eines Landes misst den Ressourcenbedarf der Bevölkerung. Er beschreibt die gesamte natürliche Fläche, die benötigt wird um Nahrung zu produzieren, Abfall aufzunehmen und für Infrastruktur. Hinzu kommt die Fläche für die Herstellung natürlicher Produkte wie Holz.

Weil die Menschen Produkte von überall auf der Welt konsumieren, wird der ökologische Fußabdruck in globalen Hektar (gHa) angegeben. Er ist die Summe aller Flächen, die für die konsumierten Güter nötig ist. Jedem Erdenbürger steht laut der Organisation Global Footprint Network eine Fläche von 1,7 gHa zur Verfügung, um die Erde nicht zu überlasten.

Mit 5,4 gHa ist der ökologische Fußabdruck des Durchschnittsdeutschen aber mehr als drei Mal größer - die Deutschen leben also über ihre Verhältnisse und zulasten anderer Menschen. Die Erde kann die Ressourcen nicht schnell genug regenerieren. Deutschland übernutzt die Natur.

Was kann man tun, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern? Am zielführendsten sind Einsparungen von Treibhausgasen wie CO2. Weil bei der Herstellung von Produkten häufig auch andere Treibhausgase wie Methan (CH4) oder Lachgas (N2O) frei werden, rechnet man die Klimawirkung dieser Gase in CO2-Equivalente (CO₂-eq) um: 11,6 Tonnen CO₂-eq stößt jeder Bundesbürger im Schnitt pro Jahr aus.

Wer sich größtenteils vegetarisch ernährt, kann 1,6 Tonnen CO2-eq sparen. Rindfleisch ist ein Klima-Killer: Jedes Kilo sorgt bei der Produktion für den Ausstoß von 28 Kilogramm CO₂-eq. Zum Vergleich: Bei Obst und Gemüse sind es nur wenige hundert Gramm. Wie ist es beim Wohnen? Etwa 70 Prozent des Energiebedarfes eines Hauses entfallen auf die Heizung. Wer im Winter die Raumtemperatur um ein Grad senkt, spart etwa sechs Prozent der für Heizung aufgewendeten Energie."

Solche klassischen Klimaschutz-Methoden tragen positiv zur persönlichen CO2-Bilanz bei, sind aber bei Weitem nicht so effektiv wie die teils radikalen Vorschläge der Umweltwissenschaftler Seth Wynes und Kimberly A Nicholas. In ihrer Studie haben sie Möglichkeiten zur CO₂-Einsparung berechnet. Am effektivsten wäre es "ein Kind weniger zu haben". Weit praktikabler erscheint da der Verzicht auf das eigene Auto. Wer gänzlich autofrei lebt, spart etwa 2,4 Tonnen CO2-eq im Jahr. Diese Ersparnis verpufft jedoch schnell, wenn man in ein Flugzeug steigt: Eine All-Inclusive-Reise nach Mexiko schlägt mit sieben Tonnen CO₂-eq zu Buche. Urlaub im eigenen Land ist wesentlich klimafreundlicher als Fernreisen. Jonathan Ponstingl

Linktipp: Für die Berechnung des eigenen ökologischen Fußabdruckes gibt es verschiedene Rechner im Internet, beispielsweise beim Umweltbundesamt.

Sind Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge die einzige Lösung für das Feinstaub-Problem in den Städten?

In Deutschland sterben nach Angaben des Umweltbundesamtes jährlich etwa 45 000 Menschen vorzeitig durch Feinstaub, den sie einatmen. Diese Zahl ist weitgehend unbestritten. Aber bei der Frage, wer die giftigen Schadstoffe ausstößt, scheiden sich die Geister. Besonders umstritten: Sind Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge wirklich die einzige Möglichkeit, das Feinstaub-Problem in den deutschen Städten zu lösen?

Feinstaub besteht aus winzigen Partikeln, die kleiner sind als ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares. Diese Teilchen werden beim Einatmen von den Schleimhäuten in Nase und Rachen nicht absorbiert. Deshalb gelangen sie in die Lunge und können dort Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Probleme verursachen. Je kleiner die Partikel, desto gefährlicher sind sie. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass die allerfeinsten Staubpartikel über den Blutkreislauf in das Herz, die Leber und andere Organe transportiert werden und sogar bis ins Gehirn vordringen können. Besonders gefährdet sind Kinder.

Eine Reduzierung des Feinstaubs in der Luft wäre also sinnvoll. Aber wie macht man das am wirkungsvollsten und gerechtesten? Um diese Frage zu beantworten, muss man wissen, woher der Feinstaub kommt. Tatsächlich ist in Großstädten der Straßenverkehr die größte Feinstaubquelle. Nach Angaben der Stadt Stuttgart sind es dort exakt 51 Prozent. Allerdings kommt der meiste Feinstaub nicht aus dem Auspuff. Vielmehr entsteht er zu fünf Sechsteln durch Brems- und Reifenabrieb sowie durch Aufwirbelung von Straßenstaub - und nur ein Sechstel des Stuttgarter Verkehr-Feinstaubs entsteht durch Motor-Abgase.

Diese Zahlen zeigen: Ein Fahrverbot für Diesel-Autos wird das Feinstaub-Problem nicht lösen. Hierzu müsste man auch die weiteren Feinstaub-Emittenten einschränken. Zum Beispiel die sogenannten Komfortkamine. Oder Tabakwaren, Laserdrucker und die Böller und Raketen, die an Silvester gezündet werden. Auch Heizungen sowie die Industrie stoßen die winzigen Partikel aus.

Fahrverbot hilft aber bei Belastung durch Stickstoffdioxid

Anders sieht es bei der Belastung durch Stickstoffdioxid (NO2) aus. Hier ist ein Fahrverbot für ältere Diesel-Autos sinnvoll. Es könnte bewirken, dass etwa am Stuttgarter Neckartor die EU-Grenzwerte nicht mehr überschritten werden. Das Reizgas NO2 verursacht Entzündungen der Atemwege und schädigt auch Pflanzen. Hauptquelle des Stickstoffdioxids sind Verbrennungsmotoren, vor allem Dieselmotoren ohne wirksame Abgasreinigung. In Stuttgart verursacht der Straßenverkehr nach Angaben der Stadt 52 Prozent der NO2-Belastung. An Hotspots wie dem Neckartor sind es bis zu 86 Prozent. Der Rest kommt von Feuerungsanlagen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle.

Die neuesten Dieselmotoren stoßen anders als ältere Modelle viel weniger Stickstoffdioxid aus. Zur Wirksamkeit von Fahrverboten stellt sich aber noch eine ganz andere Frage: Wie soll so ein Verbot wirkungsvoll organisiert werden? Ein Fahrverbot und die Berechnung seiner Folgen auf dem Papier sind das eine. Aber wie viele Autofahrer werden das Verbot auf der Straße befolgen? Denn die Kontrolle ist schwierig bis unmöglich, solange es keine blauen Plaketten für die schmutzigsten Dieselautos gibt. Stefan Mayr

Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da und werden die Klimaziele erfüllt?

Deutschland ist das Land der Widersprüche. Auf internationaler Ebene ist die Bundesrepublik immer ein verlässlicher Partner, wenn es um hohe Klimaziele geht. Das Pariser Klimaabkommen ratifizierte die Große Koalition in Windeseile, und beim G-7-Gipfel auf Schloss Elmau schwor die Kanzlerin im Juni 2015 die Industriestaaten auf den Abschied von Kohle, Öl und Gas ein, was Umweltschützer als "Sensation" bezeichneten. Es gibt viele Länder, die sich weit weniger für den Klimaschutz einsetzen.

Doch zugleich bleibt Deutschland ein Kohle- und Autoland. Nirgends in Europa laufen so viele schmutzige Kraftwerke wie hier, nirgends wird der Verbrennungsmotor mit so viel Verve verteidigt. Die Folge: Den eigenen Ansprüchen beim Klimaschutz hinkt Berlin hinterher.

Auf den ersten Blick sind die Ziele besonders ehrgeizig: Während die EU ihre klimaschädlichen Emissionen bis 2020 nur um 20 Prozent senken will, hat sich Deutschland eine Minderung um 40 Prozent vorgenommen - immer gemessen an 1990. Dabei kommt Deutschland aber auch der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie zugute: Schon im Jahr 2000 waren die deutschen Emissionen um fast 17 Prozent gesunken.

Seit acht Jahren aber sinkt der Treibhausgas-Ausstoß kaum noch, die Reduktion im Vergleich zu 1990 bewegt sich zwischen 24 und 28 Prozent. Im Verkehr sind die Emissionen zuletzt sogar wieder gestiegen. Damit ist es unwahrscheinlich, dass sich das ehrgeizige deutsche Ziel von minus 40 Prozent bis 2020 noch erreichen lässt.

Daran wird auch die Energiewende nichts ändern, jedenfalls nicht in der Form, die Berlin bislang verfolgt: Zwar gibt es immer noch Unterstützung für den Ausbau erneuerbarer Energien und wird hierzulande so viel Ökostrom erzeugt wie nie zuvor. Doch die andere Seite der Wende, die Stilllegung wenig effizienter Kohlekraftwerke, ging die Koalition nur halbherzig an - obwohl sich so am schnellsten die Emissionen senken ließen. Sie bleibt eben widersprüchlich, die deutsche Klimapolitik. Michael Bauchmüller

Welche Positionen vertreten die Parteien in der Umweltpolitik?

Der Klimaschutz ist der Union "existenziell wichtig", so steht es zumindest im aktuellen Wahlprogramm von CDU und CSU. Die Union verpflichtet sich den Klimazielen, erneuerbare Energien sollen vorangebracht werden und Gebäude durch bessere Dämmung mehr Energie sparen. Umweltverbände und Oppositionspolitiker kritisieren aber die Bilanz von Kanzlerin Merkel. Sie verweisen auf die verfehlten Einsparungen bei Treibhausgasen, den verschobenen Kohleaussteig und Merkels Scheitern bei der Elektromobilität.

Die Sozialdemokraten sprechen von "Umweltgerechtigkeit": Die Folgen des Klimawandels und eine zerstörte Umwelt gefährdeten die Gesundheit der Menschen und verschärften sogar die soziale Ungleichheit. Deshalb will die SPD die Energiewende forcieren; 2050 soll die Energie in Deutschland größtenteils ohne Treibhausgase erzeugt werden. Große Unterschiede zur CDU sind nicht zu entdecken. Als Konsequenz aus dem Diesel-Skandal fordert Kanzlerkandidat Martin Schulz eine Quote für Elektroautos.

Im Wahlprogramm der Grünen geht es auf 50 Seiten um Klima- und Umweltschutz. Die Forderungen sind ehrgeizig: Die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke sollen sofort abgeschaltet werden. Außerdem will die Partei "umweltschädliche Subventionen", wie etwa Steuerprivilegien im Flugverkehr, minimieren. 100 Prozent Öko-Strom bis 2030 ist ein weiteres Ziel, dafür soll das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformiert und der Strommarkt neu designt werden. Private Haushalte sollen von Rabatten profitieren - nicht die Industrie.

Bei der Linken taucht die Umwelt nur auf wenigen Seiten auf. Wirtschafts- und Umweltpolitik werden verknüpft: Energiegroßkonzerne sollen entmachtet werden und die Energieversorgung künftig bürgernäher sein. Strom und Wärmenetze sollen in die öffentliche Hand überführt werden. Die Linke will Strom bezahlbar für alle machen und Energiearmut durch Preiskontrollen lindern. Bis 2035 soll der letzte Kohlemeiler vom Netz gehen.

Einen "Neustart in der Energiewende" wünscht sich die FDP und will sie zum gesamteuropäischen Projekt machen. Der Energiebinnenmarkt in der EU soll noch stärker liberalisiert werden, damit Strom dort produziert werden kann, wo er günstig sei. Die Liberalen sprechen sich weitgehend gegen Subventionen aus: "Auch für erneuerbare Energieträger müssen in Zukunft die Regeln des Marktes gelten." Die Stromsteuer soll auf das europäische Mindestniveau reduziert werden, um Energie günstig zu halten.

Als "wissenschaftlich nicht gesichert" bezeichnet die AfD den vom Menschen verursachten Klimawandel. Auch deshalb soll das Pariser Klimaabkommen aufgekündigt werden - Donald Trump lässt grüßen. Sowohl Atom- als auch Kohlekraftwerke sollen laut Programm weiter betrieben werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz möchte die AfD ersatzlos streichen. Miguel Helm

Energiewende: Nutzt es der Umwelt, wenn Einzelpersonen Solarzellen aufs Dach montieren?

Der "Schwarm" ist in der Welt des Internets längst ein stehender Begriff. Schwarm-Intelligenz entsteht durch die Vernetzung vieler Rechner und Gehirne. Und beim Strom könnte es ähnlich laufen. Solarzellen sind so billig wie nie, ihr Anschluss so einfach wie nie. Auch die Preise für Batteriespeicher sind zuletzt massiv gefallen. Damit wird es für immer mehr Haushalte rentabel, sich selbst mit Sonnenstrom zu versorgen, ihn tagsüber zu speichern und abends zu nutzen. Über so genannte "Mieterstrom-Modelle" können selbst Haushalte Sonnenstrom vom eigenen Dach beziehen, denen das Dach gar nicht gehört. Der Vermieter wird zum Ökostrom-Versorger.

Das nutzt der Umwelt schon allein deshalb, weil all diese Haushalte keinen Strom aus fossiler Energie mehr verbrauchen. Zugleich kann ein Schwarm aus Batterien helfen, das Stromnetz zu stabilisieren. Intelligent gesteuert könnten sie etwa überschüssigen Windstrom aufnehmen, um ihn in weniger windigen Stunden wieder in das allgemeine Stromnetz einzuspeisen. Erste Feldversuche dazu laufen schon.

Noch ein Vorteil: Der ökologische Fußabdruck von Solarzellen ist überschaubar. Studien zufolge haben sie den Energiebedarf für ihre Produktion hierzulande binnen zwei Jahren selbst erzeugt - bei einer Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren. Auch das Recycling alter Zellen stellt mittlerweile kein großes Problem mehr dar. Ökologisch ist der Solarstrom also vollkommen in Ordnung.

Nur ein Manko bleibt: Wenn sich immer mehr Haushalte selbst versorgen, tragen immer weniger die Lasten etwa des Netzausbaus. Denn die Kosten dafür werden über die Stromrechnung auf alle Stromkunden verteilt. Wer seinen eigenen Strom erzeugt, zahlt da nicht mehr mit - und der Rest der Kunden umso mehr. Michael Bauchmüller

Hat Deutschland ein Müllproblem?

Deckel auf, Müll rein, Deckel zu: Mehr als 45 Millionen Tonnen Haushaltsmüll fallen in Deutschland pro Jahr an. Wenn man die Menge in Müllautos laden und diese hintereinander stellen würde, ginge die Schlange einmal komplett um die Erde. Da die Bevölkerung zugleich schrumpft, ist das Abfall-Aufkommen pro Kopf zuletzt sogar etwas gestiegen. 2014 waren es 561 Kilogramm - so viel wie in kaum einem anderen Land auf der Welt.

Nur vier Staaten produzieren noch mehr Abfall je Einwohner als die Bundesrepublik. In Europa sind das Dänemark, Luxemburg und die Schweiz, hinzu kommen die USA. Das geht aus einer Aufstellung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Jeder Deutsche produziert demnach zwölf Kilogramm Müll pro Woche - zwei Kilogramm mehr als der Durchschnitt der OECD-Staaten.

Diese Länder mögen zwar hinsichtlich ihrer Pro-Kopf-Müllmenge deutlich besser abschneiden, aber in einer Disziplin kommen sie an Deutschland nicht heran: Recycling. Der Europäischen Umweltagentur EEA zufolge werden hierzulande mittlerweile zwei Drittel des Haushaltsmülls recycelt, das ist so viel wie in keinem anderen europäischen Land.

Allerdings sind diese Quoten umstritten. Sowohl Abfallforscher als auch Umweltschützer gehen davon aus, dass insgesamt deutlich weniger Haushaltsmüll recycelt wird, nämlich nur etwa 40 Prozent. Grund für die enorme Diskrepanz zwischen den beiden Werten ist die Art der Berechnung: Für die Statistiker gilt zunächst einmal alles als recycelt, was in einer Recyclinganlage landet, selbst wenn sich bei der Sortierung herausstellt, dass ein Großteil des gelieferten Mülls gar nicht wiederverwertet werden kann und stattdessen verfeuert werden muss. Die Verbrennung jedoch belegt in der sogenannten "Abfallhierarchie" des Kreislaufwirtschaftsgesetzes den zweitschlechtesten Platz. Nur die "Beseitigung" von Müll, sprich die Lagerung auf Deponien oder Verschiffung ins Ausland, ist demnach noch weniger wünschenswert.

Der beste Müll ist der, der nicht anfällt

Soll die Müllmenge in Deutschland merklich zurückgehen, muss laut Kreislaufwirtschaftsgesetz auch der einzelne Bürger Verantwortung übernehmen und Müll vermeiden. Schließlich könne Abfall, der gar nicht erst entsteht, im Nachhinein auch nicht zum Problem werden.

Allerdings lässt unser aktuelles Konsumverhalten den Müllberg eher wachsen: Die zunehmende Beliebtheit von Online-Versandhändlern bringt eine Menge Verpackungsabfall mit sich, ebenso der Trend zu Lebensmittel-Lieferdiensten und dem To-Go-Trend von Essen oder Heißgetränken.

Am allerbesten ließe sich die Müllmenge wohl senken, wenn gleich mehrere Faktoren zusammenkämen: zielgenauere Mülltrennung, effektiveres Recycling, bewusstere Verbraucher und verantwortungsvolle Unternehmen. Vivien Timmler

Linktipp: Viele weitere Informationen über Deutschland und seinen Müll finden Sie im Special "Deutschland schmeißt weg" von SZ.de.

Was kann ich auf lokaler Ebene tun und welche Informationsrechte gibt es?

Wer sich in seinem Ort für Umweltschutz einsetzen möchte, braucht umfassende Informationen. Das Umweltinformationsgesetz (UIG) räumt den Bürgern Zugang zu Daten über den Zustand von Luft, Atmosphäre, Wasser, Boden und Lebensräumen ein. Auch Informationen zu Lärm, Energie oder Strahlung fallen darunter.

Um an diese Infos zu gelangen, müssen Bürger einen Antrag bei der zuständigen Behörde stellen. Das UIG gilt nur auf Bundesebene, also etwa für Bundesministerien. Für den Vollzug des Naturschutzrechts sind jedoch allein die Länder zuständig. Daher haben alle Bundesländer eigene Gesetze, die den Zugang zu Umweltdaten regeln (alle Gesetze auf einen Blick). Der Rechtsanspruch wird teilweise unterschiedlich ausgelegt. Behörden einiger Bundesländer können einen Antrag etwa ablehnen, wenn Betriebsgeheimnisse eines Unternehmens berührt sind. Auch Bundesbehörden schränken den Zugang zu Informationen mit dieser Begründung ein. "Das macht es schwierig, sein Recht durchzusetzen", sagt Jochen Schumacher vom Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Betroffenen bleibe dann nur die Möglichkeit, gegen den Entscheid zu klagen.

Bürgerbeteiligung

Die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger im Umweltschutz ruht allgemein auf drei Säulen: neben dem Zugang zu Umweltinformationen ist das die Öffentlichkeitsbeteiligung und der Zugang zu Gerichten.

Insgesamt sei die Bürgerbeteiligung beim Umweltschutz in Ländern wie Dänemark stärker ausgeprägt, sagt Schumacher. Dort gebe es weitreichende Beteiligungsverfahren bei Projekten, die sich auf die Umwelt auswirken. Grundlage ist die "Aarhus-Konvention", eine internationale Konvention, die auch Deutschland ratifiziert hat. Allerdings ist hierzulande beispielsweise der Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten eher eingeschränkt möglich.

Gegen ein Bauprojekt darf man als Einzelperson nur klagen, wenn eigene Belange berührt sind - etwa weil man direkt daneben wohnt und Auswirkungen auf die eigene Gesundheit befürchtet. Der Rechtsweg ist versperrt, wenn man glaubt, von den Bauarbeiten könnte eine seltene Art vertrieben werden. Die Möglichkeit, aufgrund dieser "Naturgüter" zu klagen, haben aber anerkannte Naturschutzverbände, wie etwa der NABU, der BUND oder der Vogelschutzbund. Sie treten dann quasi als Anwalt der Natur auf.

Der Weg, ein Einkaufszentrum in einem Feuchtbiotop zu verhindern, könnte also so aussehen: Der Bürger beantragt mittels der Umweltinformationsgesetze Einblicke in den Planungsprozess bei den zuständigen Behörden. Ist er selbst nicht direkt von dem Projekt betroffen, könnte er sich mit den Informationen an einen Verband wenden und diesem die Informationen übergeben. Die Organisation könnte auf dieser Basis vor Gericht ziehen. Renommierte Naturschutzverbände seien durchaus zugänglich für Bürger, sagt Jochen Schumacher vom Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen. Allerdings würden sie Anlegen sehr gründlich prüfen, bevor sie tatsächlich vor Gericht gehen. "Die Verbände klagen nicht einfach drauflos."

Wichtige Gesetze

Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist die wichtigste Rechtsgrundlage des Naturschutzes in Deutschland. Es setzt mehrere europäische Naturschutzrichtlinien wie die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie oder die Vogelschutzrichtlinie in nationales Recht um und enthält beispielsweise Vorgaben zum Arten- und Gebietsschutz, zur Landschaftsplanung, zur Kompensation von Eingriffen in die Natur oder zum Schutz der Meere. Es wird durch landesrechtliche Regelungen der Bundesländer ergänzt (hier eine Übersicht).

Für die Öffentlichkeitsbeteiligung ist das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) bedeutsam. Es schreibt etwa für viele Bauprojekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vor. Sie soll ermitteln, wie sich ein Vorhaben auf Menschen, Tiere, Pflanzen, biologische Vielfalt, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft und Kulturgüter auswirkt. Die Berichte sind grundsätzlich öffentlich, Bürger dürfen dazu Stellung nehmen. Die Eingaben müssen von der zuständigen Behörde bei der Zulassung eines Projekts berücksichtigt werden (weitere Infos zum UVP). Christoph Behrens

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: