Demjanjuk-Prozess:"Zuverlässiges Personal"

"Fußvölker der Vernichtung": Im Demjanjuk-Prozess beschreibt ein Historiker, wie die SS Hilfstruppen rekrutierte.

Alexander Krug

Historiker haben ihnen einprägsame Namen gegeben: Sie heißen "Handlanger der Endlösung" oder "Fußvölker der Vernichtung". Die Rede ist von jenen laut Nazi-Jargon "fremdvölkischen Hilfswilligen", die in unterschiedlicher Funktion an der "Aktion Reinhardt", der systematischen Ermordung aller Juden und Roma im besetzten Polen mitwirkten.

Demjanjuk-Prozess: Nach Überzeugung der Anklage war John Demjanjuk von März bis September 1943 im Vernichtungslager Sobibor als Wachmann an der Ermordung von 27900 Juden beteiligt.

Nach Überzeugung der Anklage war John Demjanjuk von März bis September 1943 im Vernichtungslager Sobibor als Wachmann an der Ermordung von 27900 Juden beteiligt.

(Foto: Foto: Reuters)

Im Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Schergen John Demjanjuk richtete sich am Mittwoch der Fokus auf die sogenannten Trawnikis, die unter dem Befehl der SS als Wachmannschaften in Vernichtungslagern tätig waren.

Nach Überzeugung der Anklage war der gebürtige Ukrainer Demjanjuk von März bis September 1943 im Vernichtungslager Sobibor als Wachmann an der Ermordung von 27900 Juden beteiligt. Vor seinem Dienst in Sobibor soll der heute 89-Jährige im SS-Lager Trawniki in der Nähe von Lublin ausgebildet worden sein.

Der als Sachverständige geladene Historiker Dieter Pohl schätzt die Zahl der Trawnikis auf insgesamt etwa 4800 Mann. Rekrutiert wurden sie überwiegend aus Kriegsgefangenen, für die das Angebot oft der einzige Ausweg vor dem beinahe sicheren Tod war. Von den 3,7 Millionen gefangenen Rotarmisten Ende 1941 waren bis Mitte 1942 bereits die Hälfte an Hunger, Seuchen und Krankheiten gestorben.

Die Auswahl erfolgte bevorzugt nach sogenannten rassischen Kriterien, daneben waren Deutschkenntnisse, der körperliche Zustand und eine "antibolschewistische Einstellung" ausschlaggebend. "Aus Sicht der Deutschen wurde zuverlässiges Personal gesucht", so Pohl. Neben Ukrainern und sogenannten Volksdeutschen aus der Sowjetunion waren es vor allem Esten, Balten und Letten, die von Ende 1941 an ausgebildet wurden.

Jeder Wachmann bekam einen Karabiner, es gab Urlaub, Ausgang, freie Verpflegung und pro Monat 15 bis 45 Reichsmark Sold. Pohl zufolge war es um die Disziplin der Truppe nicht sonderlich gut bestellt. Alkoholismus, Diebstahl, und vor allem "unerlaubtes Entfernen" von der Truppe seien an der Tagesordnung gewesen. Als Sanktionen drohten Prügelstrafen und Arreste, bei Desertionen auch die Todesstrafe. "Wer mit der Waffe flüchtete, wurde in der Regel erschossen oder vor versammelter Mannschaft erhängt", so Pohl. "Unzuverlässige" Trawnikis seien auch zurück ins Lager geschickt worden. Aus Sicht der Verteidiger spielen diese Umstände eine gewichtige Rolle. Sie verweisen darauf, dass Demjanjuk - angenommen, dass er tatsächlich in Sobibor Dienst leistete - keine andere Wahl gehabt hätte, als den Anweisungen der SS Folge zu leisten. Dem steht jedoch gegenüber, dass zahlreiche Trawnikis lieber flüchteten als weiter am Massenmord mitzuwirken. Laut Pohl gab es in Sobibor etliche Fluchtversuche von Trawnikis, von denen einige sogar erfolgreich waren.

Eine weitere zentrale Frage in dem Prozess ist die nach der konkreten Beteiligung Demjanjuks am Massenmord in Sobibor. Einem Dienstausweis zufolge soll er dort im März 1943 angekommen sein. Laut Pohl zählte die Bewachung des Lagers zu den vordringlichsten Aufgaben der Trawnikis. Immer dann, wenn Transportzüge mit Juden eintrafen, mussten sie beim Entladen helfen und die Opfer in die Gaskammern eskortieren.

"Alle Wachmänner kamen dran bei der Vernichtung von Menschen", zitierte Pohl aus der Aussage eines ehemaligen Trawniki, dem nach dem Krieg in der Sowjetunion der Prozess gemacht und der später hingerichtet wurde. Der Historiker verwies indes auch darauf, dass Vorgänge in Sobibor nur "sehr lückenhaft" dokumentiert seien. Von den Akten sei heute nur noch ein "Bruchteil" erhalten, Unterlagen über eventuelle Strafen gegen Trawnikis gebe es "so gut wie nicht mehr". Der Prozess wird an diesem Donnerstag mit der weiteren Vernehmung von Pohl fortgesetzt.

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