Medizinethik:Studien an Demenzkranken werden erlaubt

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Auch wenn es ihnen selbst nicht mehr hilft: Demente Menschen dürfen in Deutschland zukünftig an Arzneimitteltests teilnehmen.

(Foto: David Ramos/Getty Images)

Nicht einwilligungsfähige Menschen können künftig bei Arzneitests mitmachen, die ihnen selbst keinen Nutzen versprechen. Kritiker sehen eine Grenze überschritten.

Von Kim Björn Becker

Die Abgeordneten des Bundestages haben sich am Mittwoch nach intensiver Debatte dafür ausgesprochen, dass Demenzkranke und andere, die nicht mehr einwilligungsfähig sind, in Zukunft auch dann an Arzneimitteltests teilnehmen können, wenn die Studienteilnahme ihnen selbst keinen Nutzen in Aussicht stellt. Dabei sollen zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss die betroffene Person ihren Willen einer Studienteilnahme noch in geistig gesundem Zustand abgegeben haben und zudem von einem Arzt zwingend über die möglichen Risiken aufgeklärt worden sein. Die Reform geht auf die Initiative von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zurück.

Die Schlussabstimmung ist zwar erst für diesen Freitag geplant, allerdings gilt das Ergebnis vom Mittwoch als wesentliches Signal. Bereits vor den Beratungen im Gesundheitsausschuss gab es ethische Vorbehalte gegen eine Lockerung des geltenden Rechts; die christlichen Kirchen warnten etwa früh vor einer "Verzweckung" alter und kranker Menschen. Die Fraktionen im Bundestag kamen daher überein, die sonst übliche Fraktionsdisziplin in dieser Frage aufzuheben. Zur Abstimmung am Mittwoch standen drei Anträge, die in den vergangenen Monaten von Parlamentariern unterschiedlichster Parteizugehörigkeiten formuliert worden waren.

Am Ende setzten sich die Anhänger eines Antrags durch, der eine Ausweitung der Forschung an nicht einwilligungsfähigen Patienten unter den genannten Bedingungen vorsieht. Nach bisherigem Recht konnten in Deutschland nur Studien an Demenzkranken vorgenommen werden, wenn die Teilnehmer zugleich Aussicht auf einen individuellen Nutzen haben - etwa weil sie ein Medikament ausprobierten, das ihnen Linderung verschaffen könnte. Diese Einschränkung gilt bald wohl nicht mehr, Patienten können sich dann bei geistig noch gesundem Zustand für sogenannte gruppennützige Experimente zur Verfügung stellen, bei denen lediglich für eine größere Patientengruppe ein Nutzen erwartet wird.

In bedrücke der "forschungsfeindliche Ton", sagte Gesundheitsminister Gröhe

Auch Gröhe favorisierte diese nachträgliche Änderung des Gesetzentwurfs, die ursprüngliche Fassung sah ein verpflichtendes Arztgespräch nicht vor. Im Bundestag betonte der Minister, dass es in dieser Frage nicht um eine Abwägung zwischen Lebensschutz und Forschungsinteresse gehe, wie es Kritiker seiner Linie darstellten. "Ich lehne eine Verzweckung ausdrücklich ab", sagte Gröhe. Ihn bedrücke der "forschungsfeindliche Ton" vieler Kritiker, denn so würden forschende Ärzte unter Generalverdacht gestellt. Vielmehr sei das Selbstbestimmungsrecht mündiger Erwachsener zu achten. Ähnlich äußerte sich der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, ein weiterer Vertreter dieses Ansatzes: "Es ist keine Verzweckung, wenn ich mich selbst zur Verfügung stelle. Was ist, wenn vielleicht die eigenen Kinder auch an Demenz erkranken können und man nur helfen will?" Das nun vorgeschriebene Arztgespräch helfe Betroffenen zu verstehen, welche Risiken es bei den Tests gebe.

Eine andere Gruppe von Abgeordneten sprach sich dafür aus, gruppennützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen wie bisher zu verbieten, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) warnte davor, dass mit der Reform "eine Grenze überschritten" werde. Kathrin Vogler (Linke) mahnte, dass das hohe Schutzniveau für Verwirrte unbedingt weiterhin eingehalten werden müsse. Es gebe "keinen vernünftigen Grund", die Regeln aufzuweichen, sagte sie.

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