Degler denkt:Stirb langsam, Menschenkette

Früher waren Ostermärsche noch Massenkundgebungen, inzwischen sind es ein paar verlorene Häufchen, die für den Weltfrieden auf die Straße gehen. Kein Wunder, wenn die Aufreger fehlen.

Dieter Degler

Haben Sie auch die Ostermärsche fast übersehen? Es waren kleine Grüppchen von ein paar hundert, in Einzelfällen wie der Demo gegen das Brandenburger Bombodrom auch ein paar tausend versprengte, verlorene Häufchen, die da für den Weltfrieden auf die Straße gingen. Kein Vergleich zu den Massenkundgebungen, zu denen mich einst meine Eltern mitgeschleppt haben oder zu den Mega-Meetings, welche die Friedensbewegung in Bonn und anderswo mobilisieren konnte.

Degler denkt: Früher brachten Ostermärsche Hunderttausende auf die Straße - heute sind es ein paar verlorene Häufchen.

Früher brachten Ostermärsche Hunderttausende auf die Straße - heute sind es ein paar verlorene Häufchen.

(Foto: Foto: Reuters)

Die Erosion der Friedensbewegten hält schon seit Jahren an. Doch diesmal, dachte ich, hätte doch Obamas neue Abrüstungsrhetorik einen angemessenen Aufhänger geboten. Zumindest zusammen mit Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran - woher die abendlichen Nachrichtenbilder auch immer kommen mögen. Aber ich habe mich geirrt: Krieg als Massenmobilisator, das funktioniert nicht mehr.

Auseinandersetzungen laufen im Netz ab, nicht mehr auf der Straße

Wenn es bei Verdi um acht Prozent geht, raffen sich die Leute vielleicht noch auf. Aber Auseinandersetzungen, bei denen man sich unsicher ist? Wer ist nun wirklich im Nahost-Konflikt, in Afghanistan im Recht? Genügt es, die Tibeter einfach in die Freiheit zu entlassen? Solch diffizile Fragen locken nur ganz Hartgesottene hinter dem Wohlstandsofen hervor.

Im Internet, immerhin, da toben die Auseinandersetzungen. Wobei man allerdings, etwa im Falle Tibet, den Eindruck nicht los wird, dass sich hier Jubel-Chinesen im Staatsauftrag mit PR-Profis der CIA duellieren.

Insgesamt scheint Krieg und Unterdrückung nichts mehr zu sein, worüber sich eine mehr als unerhebliche Menge Menschen in Deutschland aufregen mag oder kann. Das ist bewerkenswert, weil kein Nachrichtentag vergeht, an dem nicht über Todesopfer an einem der Welt-Krisenherde berichtet wird, bevor wir zu "Germany`s next Top-Model" oder "Stirb langsam" umschalten.

Und das ist besonders bemerkenswert, weil seit ein paar Jahren auch Deutsche wieder im Dienst am Vaterland ihr Leben lassen, und sei es am Hindukusch.

Die meisten von uns sind abgestumpft

Woran das Desinteresse liegt? Zwei Faktoren fallen mir ein, die eine Rolle spielen. Der eine liegt in der Tatsache, dass der medial vermittelte Krieg zum Alltag gehört und die meisten von uns abgestumpft sind gegenüber der dreihundertfünfundsechzigsten Meldung über Opfer in Israel und Palästina, Pakistan, dem Sudan und Afghanistan.

Diese Schauplätze sind weit weg von unseren Häusern und Familien. Was dort geschieht, wie furchtbar es auch sei, berührt uns nicht mehr wirklich.

Der zweite Faktor ist die nicht mehr vorhandene Kultur des Aufregens: Wer Krieg und Unterdrückung anprangert, gilt schnell als Pazifist oder riecht schal nach dem "Wort zum Sonntag".

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