Degler denkt:Modell Zukunft: Große Koalition

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Mit ihren gegenseitigen Vorwahl-Absagen an grüngelbe Bündnisse betonieren Liberale und Alternative die große Koalition.

Dieter Degler

Eigentlich könnte es für die Grünen so einfach sein: einfach nur auf ihre eigene Stärke und die inhaltliche Kraft ihres Green new deal besinnen, auf jedwede Koalitions- oder Anti-Koalitionsaussage verzichten und bis zum Wahltag im September ganz gelassen bleiben.

Auch die FDP könnte angesichts von Umfragewerten weit jenseits der zehn Prozent ganz locker abwarten, ob es im Herbst eine Mehrheit für eine bürgerliche Zweiparteienregierung gibt.

Doch der Lernprozess in Sechs-Parteien-Deutschland (bitte nicht immer die ganz und gar unabhängige CSU vergessen), in dem die Volksparteien schrumpfen und die Kleinen wachsen, verläuft anders. Bei den Grünen mussten die Ampel-Befürworter Künast und Trittin am Wochenende von der Parteitagsbasis zurückgerudert werden - die fast alles möchte, nur keine Koalition mit der FDP ("Der parlamentarische Arm der Heuschrecken-Fraktion") oder gar der Union.

Die FDP ließ ihren Generalsekretär Niebel erwidern, das komme ihr gerade recht, denn sie sehe das umgekehrt genauso. Kurzum: Die FDP versagt sich der Ampel, die Grünen "Jamaika". Hessische Verhältnisse hieß so etwas vor einem Jahr.

Während Grüne mit gehobenem strategischen IQ wie Ex-Außenminister Fischer oder Ralph Fücks, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung, ihrer Partei seit Monaten Lockerungsübungen im Umgang mit den Liberalen empfehlen, wirken die grüngelben Beziehungen etwa so harmonisch wie das Spiel von Katz und Maus. Das hat gravierende Folgen für die Bildung der kommenden Bundesregierung.

Schwer ist es für die beiden mittleren Parteien FDP und Grüne, weil sie - neben dem Interesse, nach jahrelanger Regierungsabstinenz wieder am Kabinettstisch zu sitzen - so viele Gemeinsamkeiten haben: Beide fischen in den gleichen Kernzielgruppen, den besser gebildeten und wohlhabenderen urbanen Milieus. Beide erreichen jüngere Wähler besser als die beiden großen Parteien. Und beide sind sich inhaltlich näher als sie glauben machen wollen, etwa bei Bürgerrechten, in der Gesellschafts-, Integrations- und Außenpolitik.

Was die Angelegenheit für ihre Wähler so vertrackt bis ärgerlich macht, sind die Wahrscheinlichkeiten des Wahlausgangs: Für Rot-Grün, das favorisierte Modell der Alternativen, wird es aller Voraussicht nicht reichen. Schwarz-Gelb, die Wunschkonstellation der Liberalen, wiederum schrumpft von Umfrage zu Umfrage. Vergangene Woche ergab sich erstmals keine rechnerische Mehrheit.

Und das Ypsilanti-Modell, das den Herzen vieler Grüner besonders nahe liegt, schließt die SPD heute auf Bundesebene ebenso aus wie vor der vorletzten Hessenwahl.

Die Folge: Beharren FDP und Grüne auf ihren Absagen gegenüber Ampel- und Jamaika-Koalitionen, zwingen sie Union und SPD zur Fortsetzung ihres ungeliebten Bündnisses. Die große Koalition, so ausgebrannt sie erscheinen mag, ginge in die nächste Runde.

Das lässt die Positionen beider Koalitions-Nein-Sager zweifelhaft erscheinen: Es ist nicht glaubwürdig, die Welt vor der Klimakatastrophe retten zu wollen, aber beim Zusammenstellen des Rettungstrupps herumzumäkeln. Und wer mehr Netto vom Brutto verspricht, aber es den Bürgern nur zahlen will, wenn ihm der Partner passt, hat an der Kasse nichts verloren.

Die SPD stellt sich bereits auf die neue alte Situation ein. Falls Mehrheiten jenseits der großen Koalition nicht darstellbar seien, heißt es im Entwurf für das Wahlprogramm, "werden wir unsere Verantwortung kennen und danach handeln".

Da könne die Anderen noch so oft vom New green deal plaudern.

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