Degler denkt:Madame Oui und die Marktanteile

Die CDU hat sie mit einem Traumergebnis wiedergewählt. Doch Angela Merkels Umgang mit Autoindustrie und Finanzbrache lassen Zweifel an ihren Fähigkeiten als Krisenmanagerin wachsen.

Können Wahlergebnisse lügen? In totalitären Systemen allemal, da kamen Parteien und ZK-Chefs immer locker über 90 Prozent der Stimmen. Auch in Thailand wurde diese Woche ein nationaler Wahlbetrug aktenkundig. Aber in demokratischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland?

Degler denkt: Angela Merkel ist als Krisenmanagerin längst nicht so erfolgreich, wie sie das selbst sieht.

Angela Merkel ist als Krisenmanagerin längst nicht so erfolgreich, wie sie das selbst sieht.

(Foto: Foto: ddp)

Angela Merkel erhielt auf dem Stuttgarter Parteitag 94,83 Prozent der Delegiertenstimmen, das ist wahr. Und es ist auch ein demokratisches Ergebnis. Die innere Wahrheit dieser Ziffernfolge ist allerdings deutlich geringer. Merkel schnitt so gut ab, weil die Partei derzeit über keine personelle Alternative verfügt und 2009 ein Superwahljahr wird. Und auch deshalb, weil die Delegierten die Hosen voll hatten und erst nach der Abstimmung auf den Fluren der Stuttgarter Messehallen jene Diskussion fortsetzten, die sie sich aus Furcht oder politischer Opportunität im Plenum verkniffen hatten: Führt Angela Merkel Deutschland gut durch die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten?

Sie tut es nicht. Während die USA und China sich unter schweren fiskalischen Schmerzen Billionenprogramme zum Schutz von Wirtschaft und Wachstum abrangen, verkündete Merkel in Stuttgart, sie werde als Kanzlerin nicht bei dem "sinnlosen Wettbewerb um Milliarden" mitwirken, "auf Sicht fahren" nennt sie das. Aber was bedeutet es, wenn ein Kurzsichtiger das tut? Nur der verstoßene Friedrich Merz wagte es, auf dem Parteitag diese Wahrheit auszusprechen: Es mangelt Union und Kanzlerin an "finanzpolitischer Kompetenz".

Was die überforderte Zauderin im Kanzleramt übersieht, ist dies: Es geht bei den Rettungsschirmen für Finanz-, Automobil- und andere Branchen zwar auch um Krisenbewältigung - aber nicht nur, nicht ohne Sinn und nicht ohne Hintersinn. Denn die globale Wirtschaft wird nach der Krise eine andere sein als zuvor. Und deshalb implizieren die Lösungsansätze von heute weitreichende Entscheidungen darüber, wer morgen auf dem Planeten welche Marktanteile hat.

Beispiel Autoindustrie: Merkel lässt sich einerseits Zeit mit verbindlichen Bescheiden für die Bittsteller der großen Kraftfahrzeug-Konzerne, die allein im November Umsatzeinbußen zwischen 15 und 35 Prozent verzeichneten. Bei Frankreichs Regierungschef Nicolas Sarkozy, dessen offensive Vorstöße zur Krisenbewältigung sie sonst in Bausch und Bogen ablehnt, mutiert sie aber zu Madame Oui und setzt in Brüssel eine vermeintliche Entlastung der Branche durch, die aus der Klima-Kanzlerin eine Auto-Kanzlerin macht.

Das ist erstens unglaubwürdig für ein Land und einen Kontinent, die sich gerne als ökologische Vorkämpfer auf die Schultern klopfen. Und es ist nicht klug, ja es könnte den europäischen Autobauern sogar schaden: Schon länger verschieben sich Marktanteile der Branche nach Asien, weil dort etwas umweltfreundlichere und klügere Fahrzeuge gebaut werden. Kleinstwagen und Hybridantrieb sind keine deutschen Erfindungen.

Könnte doch sein, dass der Wahnsinn, sich alle ein oder zwei Jahre einen Neuwagen zuzulegen, allmählich aufhört und zeitloses Design und Haltbarkeit damit wieder zu zentralen Produkteigenschaften werden. Könnte doch sein, dass immer weniger Menschen 220 Stundenkilometer fahren wollen und stattdessen Sprit sparen und die Umwelt schonen wollen.

Und was geschieht mit den tollen Exportraten der edlen Stinker aus "Deutsch-Südwest", wenn Barack Obama kommenden Monat ein Rettungspaket gegen den Detroit-Blues schnürt, das die US-Autobauer zwingt, ihre anachronistischen Gefährte auf den Müll zu werfen und technisch-ökologische Top-Standards einzuführen?

Gleiches gilt für die Finanzbranche, die bestenfalls die Hälfte der Subprime-Verluste aufgedeckt und hinter sich hat, und alle anderen Bereiche: Nur wer die Krise mit aller Kraft und Macht bewältigt und sie zugleich nutzt, weit nach vorne zu sehen und seine Lösungen kreativ am wirtschaftlich und politisch Wünsch- und Machbaren von Morgen und Übermorgen auszurichten, wird im internationalen Vergleich gestärkt aus ihr hervorgehen.

Im Augenblick sieht es nicht so aus, als werde Deutschland zu den Gewinnern gehören.

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