Degler denkt:Die Angst der SPD vor der Macht

Statt den Auftrag ihrer Wähler zu erfüllen und in Hessen eine Wende herbeizuführen, versinkt die SPD im Richtungsstreit. Ihr Gestaltungswille ist schwach.

Dieter Degler

Kaum haben die Sozialdemokraten bei einer Landtagswahl mal wieder einigermaßen gut abgeschnitten und Aussicht auf Teilhabe an der Macht in Hessen, geht die innerparteiliche Debatte los: Treibt die Partei zu weit nach links, wie ihr ehemaliger Vorsitzender Platzeck und die Parteivizes Steinmeier und Steinbrück fürchten? Oder muss sie noch viel weiter hin zu den Themen der sozial Schwachen und Ausgegrenzten, wie Frau Ypsilanti oder der designierte Sprecher der SPD-Linken, Björn Böhning, fordern?

Degler denkt: Zögerliche SPD: Der Parteivorsitzende Kurt Beck und Hessens Frontfrau Andrea Ypsilanti.

Zögerliche SPD: Der Parteivorsitzende Kurt Beck und Hessens Frontfrau Andrea Ypsilanti.

(Foto: Foto: Reuters)

Darf sie mit der Linken koalieren, kooperieren oder sich wenigstens tolerieren lassen, wie der Berliner PDS-Partner Klaus Wowereit meint? Oder ist die Linke die Partei der Unberührbaren, wie noch immer die offizielle SPD-Linie lautet?

Es ist ja wahr: Wahlen werden in der Mitte entschieden. Aber politische und parlamentarische Mehrheiten entstehen nur, wenn klare inhaltliche Profile gepaart mit unbeirrbarem Gestaltungswillen genügend Überzeugungskraft in die Wählerschaft ausstrahlen. Und mit dem Gestaltungswillen hat die SPD erkennbar massive Probleme.

Während der große Wahlverlierer Roland Koch mit aller Kraft ums politische Überleben kämpft, zaudert die SPD aus Angst vor der eigenen Courage, sich von der Mehrheit links von Union und FDP inthronisieren zu lassen, deren Parteiprogramme passagenweise deckungsgleich mit dem eigenen sind.

Es ist eine SPD-typische Crux: Wann immer sich den Sozialdemokraten Chancen bieten, Stärke zu demonstrieren oder stärker zu werden, verfallen sie in Selbstzweifel und Streit.

Nur ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel: Als im November 1989 die Mauer fiel, zögerte die Union unter Helmut Kohl keine Sekunde, die ostdeutsche SED-Schwesterpartei CDU zu integrieren. Das waren Mitglieder einer Blockpartei, die inhaltlich dieselben Positionen vertraten wie die Genossen Honecker und Krenz, Einheitssozialisten eben. Und niemand kam auf die Idee, die CDU deshalb in die kommunistische Ecke zu stellen.

Zugleich prägten Bild-Zeitung und Union den öffentlichen Meinungschor, nach dem die Mitglieder der SED allesamt mehr oder minder lupenreine Kommunisten seien, mit denen sich ein Demokrat nicht an einen Tisch setzen dürfe. Die Folge: Den Sozialdemokraten unter Hans-Jochen Vogel fehlten der politische Mumm und der Machtinstinkt, Türen und Arme weit für die Mitglieder der 1946 auch aus der SPD hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei zu öffnen, was das politische Gefüge in Gesamtdeutschland entscheidend zu ihren Gunsten verschoben hätte.

Stattdessen förderte sie die Gründung einer Ost-SPD, mit der sie sich anschließend vereinigte. Die Folgen: Im Osten Deutschlands lag die SPD bei Wahlen häufig hinter der PDS, im Westen ist sie nun erstmals auf die Abgeordneten der Linkspartei angewiesen, wenn sie regieren will.

Gegen die verpasste Chance von 1990 ist die Hessenfrage eine Kleinigkeit. Aber schon jetzt ist erkennbar, dass Taktierer, Angsthasen und Kleingeister aus Furcht vor Roten-Socken-Kampagnen in Hamburg, Bayern und anderswo den halben Sieg zu verspielen drohen.

Das alte Verhaltensmuster arbeitet wieder. Diesmal sollte die Partei allerdings bedenken: Ignoriert sie das Momentum, das sie sich durch einen Kurswechsel erarbeitet hat und das ihr durch Fehler der Union zugefallen ist, missachtet sie den Wählerwillen. Die Bürger haben sie zum Regieren gewählt, nicht zum Opponieren.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: